Historie – Majestätische Wächter

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Seit Schengen und dem Wegfall von Kontrollen empfinden Menschen Grenzen als weniger bedrohlich. Jahrhunderte alte Grenzsteine erzählen bis heute von ihrer Bedeutung für Nachbarschaft und Trennung

Fährt ein Bus von München nach Moskau, so legt er ungefähr 2300 Kilometer zurück. Kurvt er dagegen einmal rund um Bayern, dann spult er sogar noch etliche Hundert Kilometer mehr herunter. Schließlich erstreckt sich die Landesgrenze des Freistaats Bayern an drei Ländern und vier Bundesländern entlang auf eine Länge von 2705 Kilometer. Bis 1990 hatte ein Teil dieser bayerischen Grenze weltpolitischen Rang, nämlich jener Abschnitt entlang von Thüringen, Sachsen und der damaligen Tschechoslowakei, der den Eisernen Vorhang markierte. Die dort installierten Grenzsicherungsanlagen stellten eine physisch nahezu unüberwindbare Trennung zwischen den Militärbündnissen Nato und Warschauer Pakt dar. Jahrzehntelang erweckte diese Grenze den Eindruck, als markiere sie das Ende der Welt.

“Grenzkontrollen hat es in Bayern bis zum Inkrafttreten des Schengener Abkommens im Jahr 1995 eigentlich immer gegeben”, sagt Wolfgang Blum vom Landesamt für Digitalisierung, Breitband und Vermessung, zu dessen Aufgabenbereich auch die Bundes- und Landesgrenzen zählen. Freilich, seitdem die Grenzkontrollen vor 20 Jahren weggefallen sind, empfinden die Menschen die Grenze immer weniger als Bedrohung und als Hindernis, sondern mehr als eine Reminiszenz. Die Wahrnehmung der Grenze ist erst durch die Zuspitzung der Flüchtlingskrise und durch die Wiedereinführung von Grenzkontrollen im vergangenen Sommer wieder virulent geworden.

Die einstige Bedeutung der Grenzen spiegelt sich in den historischen Grenzsteinen wider, wie sie in Bayern noch zu Hunderten in der Landschaft stehen. Nicht nur die Landesgrenzen wurden einst durch markante Grenzsteine sichtbar gemacht, sondern auch die Grenzen von Grafschaften, Herzogtümern und Bistümern. “In Zeiten der Kleinstaaterei gab es viele Zollgrenzen und Zollstationen”, sagt Blum, die Reisenden wurden oft innerhalb von wenigen Kilometern mehrmals abkassiert.

Die meisten Grenzsteine, an denen wegen drakonischer Strafen bei Grenzvergehen und Schmuggelei auch tragische Geschichten kleben, wurden bereits vor 200 Jahren anlässlich der ersten Landesvermessung Bayerns systematisch erfasst. Der Ursprung der ältesten bekannten Grenzsteine reicht bis ins 16. Jahrhundert zurück. Der älteste Wappenstein an Bayerns Grenzen überhaupt ist der sogenannte Kurfürstenstein, der 1513 an der Grenze zu Thüringen gesetzt wurde. Das erhabene Schild auf bayerischer Seite zeigt das Wappen des Bamberger Fürstbischofs Georg III. Schenk von Limburg (1505-1522). Eine erste Grenzbeschreibung aus diesem am Rennsteig gelegenen Gebiet existiert bereits aus dem Jahr 1071. In der Folge flammte um dieses Waldgebiet immer wieder Streit auf, weshalb die sächsischen Landesfürsten sowie der Bischof von Bamberg 1513 ihre Räte anwiesen, diesen Streit durch Verhandlungen endlich beizulegen.

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Wolfgang Blum ist bei seinen Recherchen zu den historischen Grenzsteinen auf zahlreiche kuriose Zusammenhänge gestoßen. Zwischen Burghausen und Tittmoning steht am linken Salzachufer zum Beispiel eine mannshohe Grenzsäule, die so gar nicht in die heutige Zeit passt. Errichtet im Jahr 1721, gilt sie als das älteste Grenzzeichen an der sogenannten nassen Grenze zwischen Bayern und Österreich. Das Besondere sind die Wappen, die Säule trägt auf bayerischer Seite das Wappen des Fürsterzbistums Salzburg, auf österreichischer Seite jedoch das kurbayerische Wappen. Das ist kurios, stellt diese Grenzsäule doch die heutigen Grenzverhältnisse auf den Kopf.

Bemerkenswert ist auch der Freisinger Mohr bei Scharnitz. Am dortigen Grenzübergang ist die Staatsgrenze als solche nicht mehr zu erkennen. Nur der am östlichen Berghang stehende Landesgrenzstein weist als einzig sichtbarer Zeuge darauf hin. Die Grenze in der Scharnitzer Enge zu Österreich wurde 1766 vertraglich festgelegt und mit Grenzsteinen aus Marmor vermarkt. Auf österreichischer Seite ziert den Stein ein rot-weißes Streifenwappen. Auf bayerischer Seite prangt der Mohrenkopf des Freisinger Fürstbistums, der den Habsburgern ein halbes Jahrtausend lang die Grenzen aufzeigte. Der Mohrenkopf im Rokokoschild ist bis heute im Originalzustand von 1766 belassen worden. Er ist in seiner Art der einzig Verbliebene auf einem Landesgrenzstein.

Auch der südlichste Punkt Deutschlands im Dreiländerpunkt Bayern-Tirol-Vorarlberg ist gut sichtbar markiert. Auf Initiative des Landes Vorarlberg wurde 1986 an Stelle des alten Grenzsteins eine imposante Dreiländersäule aus Granit auf einer Höhe von knapp 1900 Metern errichtet. Der historische Stein von 1844 wurde gesichert und befindet sich heute am Landesamt für Digitalisierung, Breitband und Vermessung in München.

Es gibt auch eine vergessene Grenze, und zwar jene im eigentlichen Dreiländerpunkt zwischen Deutschland, Österreich und der Schweiz. Sie müsste sich im Obersee, einem Teil des Bodensees, befinden, wurde aber nie festgelegt, sagt Blum. Die Staatsgrenze zu Österreich verläuft in der Mitte des Flüsschens Leiblach und verliert sich bei dessen Mündung in den Fluten des Bodensees.

Die historischen Grenzsteine strahlen auf ihre Weise majestätische Würde aus, so, als ob sie sich ihrer jahrhundertealten Bedeutung auch heute noch bewusst wären, sagt Blum. Sie trennen und verbinden auch im Zeitalter der Digitalisierung noch immer Staaten und Länder. Offiziell aber werden Grenzen heute in digitalen Geoinformationssystemen der Bayerischen Vermessungsverwaltung dargestellt und nachgewiesen.

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