(dpa) – Zehn Tote, zwei zerstörte Züge und die Frage nach dem Warum: Nach dem schwersten Zugunglück in Deutschland seit fünf Jahren suchen Experten nach der Ursache der Katastrophe von Bad Aibling. Bisher gebe es keine Hinweise auf einen technischen Fehler oder auf Fehler bei der Signalbedienung durch einen der Lokführer, sagte Bundesverkehrsminister Alexander Dobrindt (CSU) am Mittwoch bei einem Besuch in dem Unglücksort in Oberbayern.
Polizei und Staatsanwaltschaft betonten, es könne noch Wochen dauern, bis Klarheit herrsche. Fest stand am Mittwoch hingegen, dass kein weiteres Todesopfer mehr zu erwarten ist. «Es wird niemand mehr vermisst.» Die Bahn begann mit der Bergung der Wracks.
Bayerns Ministerpräsident Horst Seehofer (CSU) bezeichnete das Zugunglück erneut als furchtbare Tragödie. «Bayern trauert», sagte er in Bad Aibling. «Wir beten und hoffen, dass die Verletzten ihre Verletzungen überwinden.» Auch bei einem ökumenischen Gottesdienst soll der Opfer gedacht werden; Zeit und Ort waren zunächst aber noch offen. Bei dem Zusammenstoß zweier Pendlerzüge der privaten Bayerischen Oberlandbahn waren am Dienstagmorgen zehn Menschen gestorben sowie 17 schwer und 63 leicht verletzt worden.
Damit ist es das folgenreichste Bahnunglück in Deutschland seit Januar 2011. Damals waren zehn Menschen gestorben, als ein Nahverkehrszug bei Oschersleben in Sachsen-Anhalt mit einem Güterzug zusammenstieß. Ein Lokführer hatte zwei Haltesignale übersehen.
Nach einem Abgleich der Vermisstenliste mit den Krankenhausdaten stand am Mittwoch fest, dass entgegen der Erwartungen keine weitere Leiche in den Trümmern von Bad Aibling liegt. Auch die Schwerverletzten würden wohl alle überleben, hieß es.
Um die Ursache für die Kollision zweier Züge der Bayerischen Oberlandbahn auf der eingleisigen Strecke zwischen Holzkirchen und Rosenheim zu klären, arbeitet eine 50-köpfige Sonderkommission an dem Fall. Das Unglück ist nächste Woche auch Thema im Verkehrsausschuss des Bayerischen Landtags.
Zu den bisherigen Ergebnissen der Ermittlungen wollten die Pressestellen von Polizei und Staatsanwaltschaft keine Stellung nehmen. Ein Polizeisprecher vor Ort sagte jedoch, ein Fehler oder Vergehen – etwa des diensthabenden Fahrdienstleiters – könne zwar nicht ausgeschlossen werden. Doch sei der Fahrdienstleiter bereits unmittelbar nach dem Zusammenstoß befragt worden. Daraus ergebe sich noch «kein dringender Tatverdacht», sagte Polizeisprecher Jürgen Thalmeier.
Die Deutsche Presse-Agentur hatte aus zuverlässiger Quelle erfahren, dass die Tragödie im oberbayerischen Landkreis Rosenheim durch menschliches Versagen ausgelöst worden sein soll. Am Mittwoch ermittelten die Beamten auch im Stellwerk von Bad Aibling. Sie werteten zudem die zwei gefundenen Blackboxes aus; die Bergung des dritten Datenschreibers wurde für den späten Nachmittag erwartet. Die Blackboxes sammeln ähnlich wie in Flugzeugen Informationen über das Fahrzeug. An den Untersuchungen waren auch Experten der Eisenbahn-Unfalluntersuchungsstelle des Bundes beteiligt.
Die Polizei stellte die Identität von neun der zehn Todesopfer fest. Dabei handelt es sich ausschließlich um Männer im Alter von 24 bis 60 Jahren, wie Polizeisprecher Thalmeier sagte. Alle stammten aus der Region. Unter ihnen seien auch die zwei Lokführer sowie ein Lehr-Lokführer, der routinemäßig einen der beiden Männer auf einer Kontrollfahrt begleitet hatte. Die Opfer sollten am Mittwoch in München obduziert werden.
Von den Leichtverletzten konnten viele das Krankenhaus nach einem kurzen Aufenthalt bereits wieder verlassen. Zugleich waren die Verantwortlichen überwältigt von den zahlreichen Menschen, die dem Aufruf zum Blutspenden trotz langer Wartezeiten gefolgt waren.
Am Mittwoch traf schweres Gerät, darunter zwei Spezialkräne, für die Bergung der Zugwracks ein. Die Aufräumarbeiten werden durch die gleichen Umstände erschwert wie die Rettung der Opfer: Die Unglücksstelle liegt in einem Waldstück an einer Hangkante, die steil zu einem Kanal abbricht, und ist nur schwer zu erreichen. Die Bergung der Trümmer wird daher wohl mehrere Tage dauern.
Wegen des Unglücks hatten sich die Parteien in Bayern entschieden, auf den Politischen Aschermittwoch zu verzichten, bei dem traditionell mit markigen Worten in Bierzeltatmosphäre der politische Gegner ins Visier genommen wird. «Das bezeichne ich als Format, als Stil in der Politik», lobte Ministerpräsident Seehofer. «Die Parteien stehen in solchen Fragen zusammen und über den parteipolitischen Fragen.»