Zeitreise: Als beim FC Bayern, 1860 München und SpVgg Unterhaching einmal …


München – DFB-Pokal, die dritte Runde – und die drei ranghöchsten Münchner Vereine sind noch dabei: Bayern, klar, aber überraschenderweise auch 1860 und Unterhaching. Alle drei Teams auf Erfolgskurs – das erinnert an den 20. Mai 2000, den besondersten Tag des Münchner Fußballs. Eine Zeitreise.

  • Die Bayern liefern sich in der Saison 1999/2000 einen spannenden Zweikampf mit der Mannschaft von Bayer Leverkusen, die am 30. Spieltag die Tabellenführung übernimmt – der FC Bayern hat überraschend eine 1:2-Niederlage im Derby gegen den TSV 1860 erlitten. Am letzten Spieltag, am 20. Mai 2000, ist der SV Werder Bremen zu Gast im Olympiastadion. Der 3:1-Sieg der Bayern ist das eine, die 0:2-Niederlage der Leverkusener wenige Kilometer weiter in Unterhaching das entscheidende Ergebnis. Im Bild feiern Paulo Sergio Paulo (von links), Bixente Lizarazu und Stefan Effenberg die 16. Meisterschaft, später geht es auf den Rathausbalkon am Marienplatz.
  • Unterhaching wird in einem der legendärsten Spiele der Bundesliga zum Meistermacher! Leverkusen spielt im Sportpark der SpVgg (oben), bräuchte nur noch einen Punkt, um Meister zu werden. Die Schale ist bereits aufgebaut (rechts), doch der damalige Manager Reiner Calmund darf sie nicht in Empfang nehmen – denn die kleinen Hachinger gewinnen mit 2:0 gegen seinen Club. Als das Ergebnis im Olympiastadion (links) eingeblendet wird, ist der Jubel bei den Bayern-Fans riesig.
  • Die Löwen erleben am 20. Mai 2000 einen der triumphalsten Momente der Vereinsgeschichte. Der TSV 1860 (hier kämpft Daniel Borimirov gegen Marian Hristov) spielt auswärts gegen Kaiserslautern, das 1:1 reicht für den vierten Tabellenplatz – und den Einzug in die Champions League-Quali. Die Mannschaft von Trainer Werner Lorant (links) scheidet später gegen Leeds United aus.


20. Mai 2000: Fußball-München spielt verrückt!

Und plötzlich blickten an diesem klaren und sonnigen Samstagnachmittag, am 20. Mai 2000, alle zum Himmel. Da oben knatterte was: ein kleines Flugzeug, eine Cessna, und sie zog ein Spruchband hinter sich her.

Praktisch, dass Münchner Olympiastadion und Hachinger Sportpark Luftlinie nur ein paar Kilometer auseinander liegen. So konnte man kurz nacheinander von beiden Örtlichkeiten aus lesen: „Die Toten Hosen gratulieren dem FC Bayern zur Deutschen Meisterschaft.“

Es lief die zweite Halbzeit, und noch war’s nicht amtlich. Man war auf dem Weg dorthin, aber schon das war eine Sensation. Weil die Saison, so das Fazit nach 33 Spieltagen, gegen die Bayern gelaufen war. Leverkusen lag vorne, mit drei Punkten. Und müsste schon verlieren. In Unterhaching. Beim Neuling. Haha. Ulm, den anderen Aufsteiger, hatte Leverkusen ein paar Wochen zuvor 9:2 abgefieselt.

Dann das: Die Bayern spielten gegen Werder Bremen. Sie legten einfach mal los. 2. Minute – 1:0. 12. Minute – 2:0. 16. Minute – 3:0. Schnell ins andere Stadion, in den Sportpark: 21. Minute: 1:0 für Unterhaching – durch Michael Ballack. Eigentor des Leverkuseners, der damals jung und aufstrebend war.

Die Konstellation, die es brauchte – und die zum flatternden Schriftzug hinter der Cessna im Münchner Luftraum passte. So wären die Bayern Deutscher Meister.

Aber warum gratulieren die Toten Hosen? Nun, die Düsseldorfer Punkband hatte ein Jahr vorher ein freches Lied geschrieben – Refrain: „Ich würde nie zum FC Bayern München geh’n“; es fiel dann auch noch das Wort „Scheißverein“. Bayern-Manager Uli Hoeneß explodierte erwartungsgemäß. Leisteten die Hosen mit dem Glückwunsch nun spontane Abbitte? Oder hatten sie den Flieger in der Erwartung gechartert, den Bayern noch richtig einen mitgeben zu können – was sie nicht mehr stoppen konnten, als die Lage sich veränderte?

Christian Ude ist die Cessna damals sofort aufgefallen. Er war einer der 63.000 Zuschauer im Olympiastadion bei Bayern – Bremen. Am letzten Spieltag und bei zumindest mathematisch nicht auszuschließender Meisterschaft war quasi Stadtoberhauptsanwesenheitspflicht – und der heutige OB a.D. hat diesen 20. Mai noch sehr präsent. „Am Anfang war verunsicherter Beifall“, erinnert er sich. Handys hatten noch nicht alle, die Führung von Unterhaching war zuerst mal ein Gerücht. „Es musste eine Spielunterbrechung abgewartet werden, ehe eine Durchsage erfolgen konnte“, erzählt Ude, „dann aber brach gewaltiger Jubel aus.“

Unterhaching macht Leverkusen zu “Vizekusen”

Muuml;nchen, Fuszlig;ball, 2000, historisch
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Unterhaching! Da muss Christian Ude was klarstellen. Nämlich: Unterhaching gehört nicht zu München. „Das war nur eine Außenansicht. Mir sind die Selbständigkeitsbestrebungen des Umlands durchaus vertraut.“ Die Medien schlugen Unterhaching der Einfachheit halber München zu. Weil es das noch nicht gegeben hatte in Deutschland: drei Vereine aus einer Stadt in der Bundesliga. Fast schon Verhältnisse wie in London oder Buenos Aires, den Fußballwelthauptstädten. Unterhaching war im Deutschland außerhalb Oberbayerns „die Münchner Vorstadt“. Dazu der lustige Name. Die „Bild“ spielte jeden Montag bei der Veranschaulichung der Tabelle damit: Dortmund unter Haching, Frankfurt unter Haching, Stuttgart unter Haching – wie es sich gerade ergab.

In Unterhaching stand der Bus der Gästemannschaft immer schräg hinter dem Tor, neben dem Vereinsheim. Dorfplatz-Ambiente in der Bundesliga – obwohl Unterhaching nicht so minderbemittelt war, wie es schien. Der Chip-Unternehmer Erich Lejeune (Consumer Electronics, einer der Durchstarter im boomenden Börsensegment Neuer Markt) tummelte sich im Umfeld des Klubs, und Landesvater Edmund Stoiber hatte zehn Millionen Mark aus dem Haushalt abgezweigt, damit das Hachinger Stadion aufgemöbelt werden konnte – was man wiederum in Nürnberg für politisch unkorrekt hielt.

Sportlich schwamm die Spielvereinigung Unterhaching, die im Vereinswappen den Bobfahrer führte, weil ihr langjähriger Mäzen, der Bauunternehmer Toni Schrobenhauser, einer gewesen war, die Saison über im Mittelfeld mit. Ihr Trainer Lorenz-Günther Köstner ließ den Fußball spielen, der zu einer Mannschaft passte, die sich nicht auf ihr Talent verlassen konnte, denn davon hatte sie nicht viel.

Wohl aber Leverkusen: Ballack! Ze Roberto, Jens Nowotny, Emerson, Oliver Neuville, Bernd Schneider, der weiße Brasilianer, Tormonster Ulf Kirsten. Sie rannten dem 0:1-Rückstand hinterher. Doch es traf nur noch ein Unterhachinger: Markus Oberleitner, Eigengewächs, ein Jahr mal bei Bayern gewesen, Meister geworden, ohne eine Pflichtspielminute gespielt zu haben. In der 72. Minute köpfte er für Unterhaching und somit auch für Bayern das 2:0 gegen Leverkusen.

Es gab hinterher die wildesten Theorien, warum Leverkusen so versagt hatte – darin gipfelnd, dass Bayer-Trainer Christoph Daums Lebensgefährtin, die Musicalsängerin Angelika Camm, die Mannschaftsbesprechung im Unterhachinger Hotel Huber unflätig gestört habe. Unbestätigt und, nun ja, es war halt typisch Leverkusen, zu versagen, wenn es nicht hätte sein dürfen. „Kontrollierter Käse“, sagte Bayer-Manager Reiner Calmund zu großen Enttäuschungen. Jahre später ließ sich Leverkusen die Bezeichnung „Vizekusen“ in einem Anflug von Selbstironie markenrechtlich schützen.

Die Bayern zum Meister 2000 gemacht zu haben, war die Bonusleistung der Unterhachinger. Uli Hoeneß gefiel zudem, dass seinem Intimfeind Christoph Daum der Titel verwehrt blieb. Ein halbes Jahr darauf verhinderte er ihn auch noch als Bundestrainer – die wohlbekannte Kokainaffäre. Daum hatte weißes Pulver geschnupft, dummerweise wies er es selbst mit einer in der Erregung abgegebenen Haarprobe nach.

3:1 gewannen die Bayern gegen Bremen, begossen sich wie üblich mit Bier und feierten die Hachinger. Am Abend durften die „Vorstädter“ dann auch als Ehrengäste auf der Bayern-Feier in der „Alten Gärtnerei“ aufschlagen. Bayern und Haching – allerbeste Freunde.

Löwen ab in die Qualifikation zur Champions League

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Der Klub zwischen den beiden spielte am 20. Mai 2000 auswärts: 1:1 in Kaiserslautern. Das bedeutete für den TSV 1860 den größten Erfolg in der jüngeren Vereinsgeschichte. Er wurde Vierter und erreichte die Qualifikation zur Champions League (in der er auf Leeds United treffen sollte). Die Blauen waren – kein Geheimnis – der Verein, dem der Oberbürgermeister Ude am nächsten stand. Er weiß, dass manche Löwen-Fans den 20. Mai 2000 in gemischter Gefühlslage erlebten. „Wie immer gab es zwei Reaktionsweisen. Manchen Sechz’gern geht’s nur gut, wenn den Bayern Schlechtes geschieht.“ Doch am frühen Abend hat er vom Rathausbalkon, auf dem er mit den Meister-Bayern stand, „auch etliche Blaue gesehen, die bekennende Lokalpatrioten waren und die sich in die Feier auf dem Marienplatz mischten“.

Für diesen einen Tag war alles gut. Jeder war ein Sieger, jeder mit sich so zufrieden, dass ihn der Erfolg des anderen nicht störte. Die Bayern, die unter Ottmar Hitzfeld den Titel verteidigt hatten – emotional wie selten zuvor. Die Löwen, die es unter dem barocken Präsidenten Wildmoser und mit dem knorrigen Trainer Werner Lorant ins internationale Business geschafft hatten – ein großes Comeback nach Jahrzehnten. Das kleine Unterhaching, das gallische Dorf, das in den Umfragen dieser Zeit als beliebtester Bundesligaklub genannt wurde – das Kindchenschema funktionierte also auch im Fußball.

„Oft kannte man den Termin für Meisterfeiern Monate im voraus“, blickt Christian Ude zurück, „es hat mich immer gewundert, dass noch so viele Leute kamen.“ Am 20. Mai 2000 gab es die spontanste Sause auf und unter dem Rathausbalkon. „Vorbereitet“, so Ude, „waren wir aber schon.“

Es sei seinerzeit auch noch ein viel „unverkrampfteres Verhältnis“ zwischen Rathaus und FC Bayern gewesen. Schlechter sei es geworden, als der Klub begonnen habe, immer mehr Forderungen an die Stadt zu stellen. Fortan haben sich Meisterfeiern der Bayern und die Mykonos-Urlaube von Familie Ude auch mal überschnitten.

20. Mai 2000 – ein Tag für die Geschichte

Der 20. Mai 2000 wirkt heute wie ein Tag, der in einer untergegangenen Welt spielte. Die Bayern sind zum global agierenden Unternehmen geworden, der TSV 1860 sitzt seit elf Jahren in der Zweiten Liga fest und ist mittlerweile der Dritten näher als der Ersten. „Beim Löwen sind die Strähnen bekanntlich lang, vor allem die Pechsträhnen“, unkt Ude. Unterhaching stieg 2001 aus der Bundesliga ab, 2007 aus dem Unterhaus (wofür man auch die Löwen verantwortlich machte, die keine Schützenhilfe leisteten), 2015 aus der Dritten Liga. Dabei konnte die SpVgg immer wieder prominente Namen aufbieten: Schweinsteiger, Hummels und Götze spiel(t)en dort – die Brüder. Oder Köpke, der Sohn vom Torwart. Und es versuchten sich Trainer, die Nationalspieler, ja sogar Weltmeister waren: Heiko Herrlich, Christian Ziege, Andreas Brehme, Klaus Augenthaler. Präsident ist Manni Schwabl – auch er mal eine Spielergröße.

Ach ja, und was war gleich wieder mit dem Flugzeug am 20. Mai 2000? Gechartert von den Toten Hosen? Deren Management weiß – auch auf neue Anfrage hin – von nichts.

Es war mehr als ein Jahr vor 9/11, die Welt war eine unschuldigere, in einem Flugzeug überm Stadion sah man keine Bedrohung. „Aber es war eine Luftgesetzwidrigkeit“, sagt Ude, „klar, dass niemand auf sich aufmerksam gemacht hat. Der Auftraggeber konnte nie gefunden werden.“

Der 20. Mai 2000 behält sein letztes Geheimnis.

Günter Klein

E-Mail:Guenter.Klein@merkur.de

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