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Sebastian Koch, SPD-Bürgermeister in der Oberpfalz, hat Stress im Amt: Weil er einen Skandal im Rathaus aufklären will und sich für Flüchtlinge einsetzt, hetzen Bürger gegen ihn
Wenn Sebastian Koch in der Früh die Jalousien hochzieht, dann schaut er auf die Reichsflagge. Die Flagge weht im Garten seines Nachbarn, und sein Nachbar scheint ein ziemlich direkter Typ zu sein. In your face, würden die Amerikaner sagen, mitten ins Gesicht. Dass der Nachbar die Flagge wegen ihm gehisst hat, das weiß Sebastian Koch – und lacht trotzdem. Er lacht wie einer, der sich dran gewöhnt hat, auf die Fresse zu kriegen. Erst wegen seiner Asylpolitik, dann wegen seiner Aufräumpolitik. “Ich stehe schon ziemlich unter Feuer”, sagt Koch.
Der Mann, der so hart im Nehmen ist, trägt Hornbrille und Anzug, keine Krawatte. Eineinhalb Jahre ist Sebastian Koch (SPD) jetzt Bürgermeister in Wenzenbach, einer 8000-Einwohner-Gemeinde nördlich von Regensburg. Eineinhalb Jahre, in denen so viel passiert ist, dass man gelegentlich vergisst, wie jung Koch ist. Er ist erst 28, aber er muss den wohl größten Skandal aufklären, den Wenzenbach je erlebt hat. Im Zentrum des Skandals: Kochs Vorgänger Josef Schmid (Freie Wähler), den die Wenzenbacher nur “den Schmidsepp” nennen. Während seiner Amtszeit sollen der Schmidsepp und zwei seiner Mitarbeiter die Gemeinde um 150 000 Euro geprellt haben. Das Finanzamt und der Kommunale Prüfungsverband hatten die Sache im Frühjahr 2014 auffliegen lassen. Ein Bürgermeister bereichert sich auf Kosten des Steuerzahlers – man könnte jetzt denken, dass die Gemeinde auf die Barrikaden steigt. Das Gegenteil ist der Fall: Seit Monaten feuern einige Wenzenbacher gegen denjenigen, der die Dinge aufklären will: gegen Sebastian Koch, den neuen Bürgermeister.
Der Schmidsepp habe Schulden im großen Stil abgebaut, habe seinem Nachfolger eine volle Gemeindekasse hinterlassen – “moralisch gesehen hat er es nicht verdient, jetzt der Veruntreuung bezichtigt zu werden”. So hat es Anton Haimerl (Freie Wähler), früher Bürgermeister im Nachbarort Hagelstadt, in einem Leserbrief an die Lokalzeitung formuliert – und so sehen das viele Wenzenbacher. Im Ort sei der Alt-Bürgermeister weiterhin “maximal anerkannt, das ist irre”, sagt Sebastian Koch. Ein bisschen erinnere ihn das an die öffentliche Debatte im Fall Hoeneß: “Da wird einer zum Wohltäter verklärt, und das wird aufgewogen mit seinen Sünden.”
Sebastian Koch sitzt am Besprechungstisch in seinem Büro im Wenzenbacher Rathaus. An der Wand hängt ein Bild von Don Camillo und Peppone, er hat das Bild von seiner Mutter zu Weihnachten bekommen, und irgendwie trifft dieses Bild “ganz gut auf mich zu”, sagt Koch, “weil ich im ständigen Streit bin” – eben wie der katholische Pfarrer Camillo und der kommunistische Bürgermeister Peppone. Begonnen hat der Streit Ende 2014, als Koch ankündigte, eine “harte Gangart” zu fahren, um den Finanzskandal seines Vorgängers aufzuklären. Nicht jeder Gemeinderat sei davon begeistert gewesen, sagt Koch, es habe schon einige gegeben, “die ein Auge zudrücken wollten”.
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Seitdem höre er “immer wieder den Vorwurf, dass ich als Jungspund den alten, verdienten Bürgermeister in die Pfanne haue und überhaupt keinen Respekt vor seinem Lebenswerk hätte”. Dabei wolle er nur aufklären, er könne gar nicht anders: “Wenn ich Schwamm drüber gesagt hätte, was sich offenbar viele wünschen, dann wäre ich selbst ins Visier der Ermittler geraten”, sagt Koch, der von Amts wegen verpflichtet ist, die Gemeindebücher offenzulegen und den Behörden zu helfen, die Affäre aufzuklären. Dass inzwischen auch die Staatsanwaltschaft Anklage erhoben hat und “klar darauf hinweist, dass da etwas gemacht wurde, was inakzeptabel ist, das interessiert viele Leute nicht”, sagt Koch. “Da heißt es dann nur: Der junge Karrierist hat das alles nur aufgegriffen, damit er in der Zeitung steht”.
Und in der Zeitung war er oft in den vergangenen Monaten, er hat in ganz Deutschland Schlagzeilen gemacht. Nicht wegen der Finanzaffäre, sondern wegen seiner Flüchtlingspolitik. Besser gesagt: Weil er den Hass öffentlich machte, der ihm entgegenschlug. Und das nur, weil es ihm wichtig war, die 50 Asylbewerber im Ort vernünftig unterzubringen. Er hat deswegen viele Briefe bekommen, einer war an den “Asylantenbürgermeister” adressiert und darin stand, dass Asylanten die “Fressfeinde der Nation” seien. Anstelle des Doppel-S im Wort “Fressfeinde” schrieb der Absender die SS-Runen. Und als Koch auf Facebook einen Immobilienbesitzer kritisierte, weil der eine schlecht ausgestattete Asylunterkunft für zu teures Geld vermietet hatte, da warf ihm sogar die Lokalzeitung “billige Polemik” vor.
Die Mehrheit der Wenzenbacher stehe Flüchtlingen aufgeschlossen gegenüber, sagt Koch, das sei ihm wichtig zu betonen. “Aber diejenigen, die stänkern” – gegen seine Flüchtlingspolitik, gegen seinen Umgang mit dem Altbürgermeister – die seien lauter, “das sind diejenigen, die den Ton angeben” in Wenzenbach. Und diejenigen werden wohl weiter wettern, mindestens bis kommendes Jahr, bis der frühere Bürgermeister sich wahrscheinlich vor Gericht verantworten muss. Sebastian Koch hofft, dass sich die Gemüter bis dahin etwas beruhigt haben. Vor allem aber hofft er, dass das Gericht den Alt-Bürgermeister zur Rechenschaft zieht. “Wenn sich der Bürgermeister schon nicht an geltendes Recht hält”, sagt Koch, “dann weiß ich auch nicht, wer sich noch dran halten soll.”