Nach dem jüngsten Heimsieg über den SC Freiburg war auf den Tribünen ein Gesang zu hören, den Fans des VfL Bochum lange nicht mehr angestimmt hatten. „Zieht den Bayern die Lederhosen aus!“ Die Gelegenheit dazu bietet sich, wenn überhaupt, nur noch im DFB-Pokal. Bochum, einst fester Bestandteil der Ersten Fußball-Bundesliga, kickt schon das sechste Jahr nacheinander zweitklassig. Dennoch wirkt so mancher Spieler erstaunlich selbstbewusst. „Natürlich wollen wir im Pokal weiterkommen“, sagt Thomas Eisfeld vor dem Viertelfinale an diesem Mittwoch gegen den FC Bayern München (20.30 Uhr / Live in der ARD, bei Sky und im DFB-Pokal-Ticker bei FAZ.NET).
Als der eine oder andere Zuhörer belustigt grinst, zeigt der Bochumer Mittelfeldspieler sich irritiert: „Ja, nicht lachen, alles ist möglich“, sagt er. „Ich weiß nicht, ob wir den Bayern die Lederhosen ausziehen, aber gewinnen können wir das Spiel auf jeden Fall.“ Derart forsche Töne sind selbst von Erstligaprofis selten zu hören vor Begegnungen mit dem deutschen Rekordmeister. Vielleicht haben Eisfeld und andere Mutige sich einen Imperativ aus dem Leitbild des VfL zu eigen gemacht: „Seid unbeugsam“, heißt es dort. Und genau so wollen sie dem Favoriten entgegentreten – wie vor fast fünf Jahrzehnten.
1968 war es dem VfL als Regionalligaverein gelungen, erst den VfB Stuttgart, dann Borussia Mönchengladbach und schließlich, im Halbfinale, den FC Bayern zu besiegen. Natürlich ist die Chance minimal, dass sich so eine Sensation gegen das aktuelle Münchner Ensemble wiederholt. Dennoch elektrisiert die Partie in Bochum und Umgebung die Massen. Das Stadion ist mit 28.000 Zuschauern seit langem ausverkauft, der Revierklub hätte aber ungefähr hunderttausend Karten absetzen können.
Manche Leute sind sogar in den Verein eingetreten, um sich als Mitglied das Vorkaufsrecht für zwei Pokal-Karten zu sichern. Die Mitgliederkampagne „Wir wollen dich – du und dein VfL“ hat durch das Pokal-Viertelfinale eine Anschubhilfe erhalten. Seit der Auslosung sind ungefähr 1400 Mitglieder dazugekommen. Noch fehlen etwa dreitausend Aufnahmeanträge, um die angestrebte Zahl von zehntausend Mitgliedern zu erreichen.
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Gertjan Verbeek will den VfL in der Liga nach oben führen und im Pokal ins Halbfinale.
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Gertjan Verbeek will den VfL in der Liga nach oben führen und im Pokal ins Halbfinale.
Für den Fall, dass diese Marke geknackt wird, hat der Sänger und VfL-Anhänger Herbert Grönemeyer angekündigt, vor der Osttribüne die Hymne „Bochum“ zu singen, in der er seiner Heimatstadt huldigt. Sollte die Mannschaft gegen Bayern tatsächlich gewinnen oder dem Favoriten wenigstens einen spannenden Kampf liefern, würde das nicht nur Grönemeyer beeindrucken, sondern wohl auch Gertjan Verbeek.
Dem Cheftrainer des VfL liegt das Angebot vor, seinen zum Saisonende auslaufenden Vertrag zu verlängern. Doch der eigenwillige Niederländer zögert, als wäre er nicht sicher, ob er in Bochum seine erstklassigen Ambitionen mit dem nötigen (wirtschaftlichen) Nachdruck wird verfolgen können. Wenn man dem Bochumer Sport-Vorstand Christian Hochstätter glauben darf, sind es „nur Kleinigkeiten“, die aktuell noch ungeklärt sind. Andererseits sagt der Manager, in dieser Angelegenheit sei „alles möglich“.
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Im Pokal-Achtelfinale 2011 setzten sich die Bayern erst knapp in der Verlängerung durch.
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Im Pokal-Achtelfinale 2011 setzten sich die Bayern erst knapp in der Verlängerung durch.
Erst hieß es, Ende Januar werde eine Entscheidung fallen, inzwischen haben sich Verein und Trainer darauf verständigt, zumindest die Spiele gegen Freiburg, München und Nürnberg (am kommenden Montag) abzuwarten. Dank des Erfolgs über den Liga-Zweiten Freiburg besteht noch die (kleine) Hoffnung, noch in dieser Saison aufzusteigen. Der Tabellen-Dritte Nürnberg hat fünf Punkte mehr als Bochum, eine Niederlage dort würde den VfL und seinen Trainer vermutlich mehr schmerzen als das zu erwartende Scheitern im Pokal.
Bei aller Vorfreude auf das Viertelfinale setzt Verbeek Prioritäten: „Ich spiele lieber zweimal im Jahr gegen die Bayern, daran arbeiten wir.“ Der Niederländer zeigt sich mitunter ruppig im Umgang und vergreift sich auch schon mal im Ton. Das bekommen Journalisten zu spüren oder auch sein Freiburger Kollege Christian Streich, zu dem er schon seit Jahren ein angespanntes Verhältnis pflegt. Vor dem Auftritt gegen München aber fiel der Fußball-Lehrer durch einen feinsinnigen Umgang mit der deutschen Sprache auf.
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Ein Reporter fragte, ob das Bayern-Spiel der Höhepunkt der Saison sei. „Nein“, antwortete Verbeek. „Es ist nicht der Höhepunkt, sondern ein Höhepunkt.“ Er könne sich durchaus eine Situation vorstellen, in der ein Sieg noch wertvoller wäre als jetzt im Pokal – dann nämlich, wenn sich gegen Ende der Spielzeit die Chance bieten sollte aufzusteigen.
Unabhängig davon erwartet der Trainer gegen Bayern eine Bochumer Mannschaft, die an sich glaubt und so kickt, dass „bis zum Schluss etwas möglich ist“. Um das zu erreichen, „haben wir einen Plan“, sagt er. Seine Mannschaft werde so leidenschaftlich verteidigen wie zuletzt gegen Freiburg, „aber auch probieren, Fußball zu spielen“. Wenn es sein muss, hundertzwanzig Minuten lang. Falls das nicht reicht, hätten die Bochumer auch gegen ein Elfmeterschießen nichts einzuwenden. Torhüter Manuel Riemann erklärt sich gerne bereit, Überstunden zu machen: „Wir können auch vierhundert Elfmeter schießen, ich habe an diesem Abend Zeit.“
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