Berlin/München –
Nach ihrem Fiasko in Bayern ringt die FDP mit dem Koalitionspartner CDU/CSU um die Zweitstimmen im Bund. FDP-Spitzenkandidat Rainer Brüderle und Parteichef Philipp Rösler kündigten einen Kampf «bis zur letzten Sekunde» an: «Jetzt geht’s ums Ganze.»
Bundeskanzlerin und CDU-Chefin Angela Merkel blieb am Montag jedoch hart: «Wir haben keine Stimme zu verschenken.» «Beide Stimmen für die CDU» – das sei das Motto. Der Wahlsieger, Bayerns Ministerpräsident Horst Seehofer (CSU), ergänzte: «Es gibt keine Leihstimmen.» Die SPD wittert nach dem leichten Zuwachs in Bayern doch noch Chancen für Rot-Grün.
Die seit fünf Jahren in München mitregierende FDP war am Sonntag nach einem dramatischen Absturz und nur fünf Parlaments-Jahren erneut aus dem bayerischen Landtag geflogen. Auf Bundesebene werden für die FDP derzeit Umfragewerte mal unter und mal über der entscheidenden Fünf-Prozent-Hürde ermittelt.
Brüderle sagte, wer Merkel als Kanzlerin behalten wolle, könne dies mit der Zweitstimme für die FDP sicher erreichen. Rösler ergänzte: «Wir wollen, dass Deutschland aus der Mitte heraus für die Mitte regiert wird.» Die FDP hofft auf Absprachen mit Unions-Kandidaten in rund 80 Wahlkreisen, in denen es am kommenden Sonntag besonders eng werden könnte.
Die CSU von Ministerpräsident Seehofer hatte am Sonntag die absolute Mehrheit im Landtag zurückerobert. Die Union will Kanzlerin Merkel an diesem Sonntag eine dritte Amtszeit sichern – am liebsten mit der FDP. Angesichts der Umfragen, der FDP-Absage an eine Ampel mit SPD und Grünen sowie inhaltlicher Hindernisse für ein schwarz-grünes Bündnis scheint eine große Koalition aus CDU/CSU und SPD am wahrscheinlichsten, falls es für Schwarz-Gelb nicht reicht.
SPD-Chef Sigmar Gabriel sagte: «Wäre die FDP nicht im Bundestag, steigen die Chancen deutlich für Peer Steinbrück, Kanzler zu werden.» Der Parlamentarismus gehe es «ohne diesen Lobbyismus der FDP» besser. Zur Frage nach Vorbereitungen auf eine große Koalition sagte er, es gehe nur um Rot-Grün. «Alles andere sind alberne Spekulationen.»
Die CDU will in der letzten Wahlkampfwoche Briefe Merkels an mehr als fünf Millionen Haushalte senden. In einem Wahlaufruf wirbt sie ausdrücklich um beide Stimmen für die Kanzlerin. Unionsfraktionschef Volker Kauder (CDU) sagte im ZDF: «Es gibt keine Koalitions-Wahlkämpfe. Jeder kämpft für sich allein.» Auch Seehofer sagte, Ziel bleibe die Fortsetzung von Schwarz-Gelb in Berlin. Die FDP habe ein riesiges Wählerpotenzial. Spekulationen über eine große Koalition stoßen in der CSU auf Ablehnung.
FDP-Präsidiumsmitglied Wolfgang Kubicki sagte der «Leipziger Volkszeitung» zur Zweitstimmenkampagne: «Wir machen das nicht auf Kosten der Union. Wir werden den Menschen erklären, dass es in den Wahlkreisen Sinn macht, gesplittet zu wählen, wenn man die bürgerliche Koalition an der Regierung halten will.»
Gesundheitsminister Daniel Bahr (FDP) sagte dem «Tagesspiegel», für seine Partei gehe es «ums Ganze, es geht auch um die Existenz einer freiheitlichen Partei». Er malte wie andere führende Politiker von FDP und Union eine rot-rot-grüne Mehrheit an die Wand. SPD und Grüne haben eine Zusammenarbeit mit der Linkspartei allerdings ausgeschlossen.
Grünen-Chef Cem Özdemir sagte nach dem für seine Partei enttäuschenden Ergebnis in Bayern, nun müssten noch deutlicher die Alternativen etwa in der Energiepolitik aufgezeigt werden. In der Steuerdebatte sei es nicht immer gelungen, deutlich zu machen, dass 90 Prozent der Menschen entlastet werden sollten. «Das haben wir nicht so richtig gut geschafft.»
Der Spitzenkandidat der Grünen, Jürgen Trittin, geriet in der Pädophilie-Debatte seiner Partei unter Druck. Als Stadtratskandidat in Göttingen hatte er 1981 presserechtlich das Kommunalwahlprogramm der Alternativen-Grünen-Initiativen-Liste (AGIL) verantwortet. Darin wurde dafür geworben, gewaltfreie sexuelle Handlungen zwischen Kindern und Erwachsenen nicht zu bestrafen. Trittin sprach von einem Fehler, den er bedauere.
Linkspartei-Chef Bernd Riexinger warb nach dem Scheitern in Bayern beim Sender n-tv erneut für ein rot-rot-grünes Bündnis im Bund. «Die SPD ist mit ihrer Ausschließeritis die Garantie, die Lebensversicherung für Angela Merkel.» Der Chef der Piratenpartei, Bernd Schlömer, sagte nach dem Scheitern in Bayern: «Ich hoffe, dass wir nicht den Mut verlieren und noch einmal Gas geben.»
Nach dem vorläufigen amtlichen Endergebnis kam die CSU in Bayern auf 47,7 Prozent (2008: 43,4). Die SPD erzielte 20,6 Prozent (2008: 18,6). Die FDP flog mit 3,3 Prozent (2008: 8,0) aus dem Landtag. Die Grünen erhielten 8,6 Prozent (2008: 9,4) und die Freien Wähler 9,0 Prozent (2008: 10,2). Linke (2,l Prozent) und Piratenpartei (2,0 Prozent) verpassten den Sprung ins Parlament deutlich. Daraus ergibt sich folgende Sitzverteilung: Die CSU kommt auf 101 Mandate (2008: 92), die SPD auf 42 (39), die Freien Wähler auf 19 (21) und die Grünen auf 18 (19). Die Wahlbeteiligung lag mit 63,9 Prozent deutlich über der von 2008, als sie 57,9 Prozent betrug. (dpa)