Tröglitz ist nicht überall

Auslnderfeindliche Einstellungen sind in Deutschland laut einer Untersuchung der Uni Leipzig weit verbreitet. Baden-Wrttemberg zeigt sich vergleichsweise weltoffen. Woran liegt das? Eine Spurensuche.

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Fred Sauter koordiniert die Arbeit der Ehrenamtlichen in Mestetten.

Foto: Muschel

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Fred Sauter koordiniert die Arbeit der Ehrenamtlichen in Mestetten. 

“Spielen”, sagt das Mdchen und schaut lchelnd auf. Fred Sauter, 56, greift nach einem Schwarzwaldhof-Puzzle. “Wie heit Du? Ich bin der Fred.” Elona, erwidert die Kleine, und: “Danke!” Fr mehr reicht es auf Deutsch offenbar noch nicht. Sie kommt aus dem Kosovo.

Nun versucht sich Elona im beschaulichen Mestetten auf der Schwbischen Alb an einem Puzzle und der neuen Sprache, und Fred Sauter ist einer der Menschen, die ihr und hunderten weiteren Flchtlingen aus Syrien, Iran, dem Balkan, helfen. Dabei, in Deutschland anzukommen und dieses Land zu verstehen, das ihre neue Heimat werden soll. Dabei, die vielen Puzzleteile zu einem Bild zusammenzufgen. Mglichst zu dem idyllischen, das auf der Verpackung abgebildet ist. Nicht zu einer hsslichen Fratze.

“Trglitz ist berall”, hat Sachsen-Anhalts Ministerprsident Reiner Haseloff (CDU) nach dem Brandanschlag auf eine Asylbewerberunterkunft in seinem Bundesland gewarnt. Fremdenfeindlichkeit sei ein bundesweites Problem. Die neue “Mitte”-Studie der Uni Leipzig besttigt das im Kern. Die Autoren testen Einstellungen anhand von Aussagen wie dieser: “Die Auslnder kommen nur hierher, um unseren Sozialstaat auszunutzen.” Oder: “Eigentlich sind die Deutschen anderen Vlkern von Natur aus berlegen.” Danach sind auslnderfeindliche Einstellungen weit verbreitet. Am strksten in Sachsen-Anhalt mit 42 Prozent Zustimmung, gefolgt von Bayern mit 33 Prozent. Mit knapp 17 Prozent steht Baden-Wrttemberg im Lndervergleich noch am besten da.

“Mensch ist Mensch”, erklrt der pensionierte Berufssoldat Sauter seine Motivation, die Arbeit der vielen freiwilligen Helfer im Begegnungszentrum gegenber der Landeserstaufnahmestelle (LEA) fr Flchtlinge in Mestetten zu koordinieren. “Bei uns fliet noch Milch und Honig – ich mchte mit den Kriegsflchtlingen nicht tauschen.”

So sehen das viele hier. Etwa 75 Ehrenamtliche bringen sich im umfunktionierten ehemaligen Soldatenheim fr Asylbewerber ein. Sie bieten im Groen Saal, wo Sauter vor ber 35 Jahren seine Hochzeit gefeiert hat, Deutschkurse an, oder richten ein Stockwerk drunter einen Computerraum ein. Andere sortieren die Flut an Kleiderspenden.

Dabei hatten die Rechten auch in dem 5000-Einwohner-Ort versucht, Widerstand gegen den Plan zu organisieren, 1000 Flchtlinge in der frheren Kaserne unterzubringen. Bei der ersten Info-Veranstaltung wollten sie punkten. Stattdessen wurden sie ausgebuht. Mestetten hatte nach dem Zweiten Weltkrieg Heimatvertriebene aufgenommen. Der Ort ist zudem dank der meist nur fr wenige Jahre stationierten Soldaten samt Familien Durchlauf einerseits und eine gewisse Weltlufigkeit andererseits gewohnt.

“Die Brger waren nicht gewillt, sich von den Rechten vereinnahmen zu lassen”, blickt Integrationsministerin Bilkay ney, 44, zurck. Damals hatte sie “groen Respekt”; sie hatte die Stimmung vor Ort nach eher alarmierenden Medienberichten schwer einschtzen knnen, erzhlt sie in ihrem Ministerbro in der Stuttgarter Innenstadt. Sie hatte sich damals darauf konzentriert, die Herzen der Menschen zu erreichen, an ihre Mitgefhl zu appellieren. Es hat funktioniert. Die Voraussetzung dafr hatten viele geschaffen, “der Brgermeister, der Landrat, die Kirchen”. Fr sie selbst war es “ein Schlsselerlebnis meiner Ttigkeit als Integrationsministerin”. Sie spricht seither von den “Mutbrgern von Mestetten”. An jenem Abend hat die trkischstmmige ney, selbst aus Berlin ins Schwabenland zugewandert, Mittlerin in einem heiklen politischen Feld, ihren Frieden mit vielem gemacht.

Wenn man so will, ist Mestetten der Gegenentwurf zu Trglitz. Nicht die Rechten bestimmen den Diskurs. Sondern Ehrenamtliche, die Kirchen und pragmatische Politiker, unabhngig von der Parteizugehrigkeit.

Dass die Auslnderfeindlichkeit im Land des Ehrenamts vergleichsweise gering ist, hat noch weitere Ursachen. Der relative Reichtum und die Tatsache, dass nahezu Vollbeschftigung herrscht und sich die Brger keine groen Zukunftssorgen machen mssen, die sie auf andere projizieren, spielen eine groe Rolle – gerade im Vergleich zu den neuen Lndern. “Aber es liegt nicht nur am Wohlstand”, sagt Gkay Sofuoglu, 53, der Bundesvorsitzende der Trkischen Gemeinde in Deutschland. “Das zeigen die erschreckenden Werte fr Bayern.”

Mit 18 ist Sofuoglu aus politischen Grnden aus der Trkei nach Stuttgart geflchtet, wo sich CDU-OB Manfred Rommel bereits Gedanken ber die Integration der Zuwanderer machte, als viele noch am irrigen Bild vom “Gastarbeiter” pinselten. “Das Thema war auch unter der alten schwarz-gelben Landesregierung liberal besetzt”, sagt Sofuoglu. “Die Migrantenfrage ist hier nie polarisiert worden.”

Keine Unterschriftenaktion gegen die doppelte Staatsangehrigkeit, wie sie die hessische CDU 1999 angezettelt hat. Kein Wahlkampf fr eine “Auslndermaut”, wie ihn die CSU in Bayern jngst betrieben hat. Als die Republikaner in den 1990er Jahren im Landtag saen, hat ihnen keine der etablierte Parteien auch nur den kleinen Finger gereicht.

Die Ergebnisse der Studie der Uni Leipzig und sein persnliches Erleben wrden sich decken, sagt Sofuoglu. Er war gerade ein paar Tage in Berlin, nun sitzt er vor dem Cafe Knstlerbund im Herzen Stuttgarts in der Abendsonne. Obwohl das Positive berwiegt: Nur auf gut Wetter will Sofuoglu angesichts der dunklen Wolken am Horizont nicht machen. So sind allein 2014 im Sdwesten 14 rechtsextremistisch motivierte Anschlge auf Flchtlingsunterknfte registriert worden. Und die Aufarbeitung der Mordserie des rechtsterroristischen NSU und dessen Verbindungen ins Land lsst zumindest den Schluss zu, dass hiesige Behrden vorhandene Spuren nur nachlssig verfolgt haben. “Das spricht fr Desinteresse oder Angst, an einem Tabuthema zu rhren”, sagt Sofuoglu. Sollte nicht sein, was nach der positiven Selbstwahrnehmung der weltoffenen Baden-Wrttemberger gar nicht sein konnte?

Fr die Zukunft wnscht sich Sefuoglu mehr Migranten in Entscheidungsgremien und in Fhrungsfunktionen im ffentlichen Dienst – Partizipation auf Augenhhe. “Baden-Wrttemberg hat da noch viel nachzuholen.”

Und auch in Mestetten ist nicht nur Heile-Welt-Stimmung: Noch in diesem Monat soll ein Streetworker seine Arbeit aufnehmen, um Konflikten zwischen Brgern und Flchtlingen vorzubeugen.

Nordosten vorn beim Extremismus

2014 mehr Gewalt Im Bericht des Bundesamtes fr Verfassungsschutz fr 2013 wird ein Nord-Sd-Geflle in Sachen Extremismus von Rechts dokumentiert. Neben dem bevlkerungsreichsten Land Nordrhein-Westfalen sowie Berlin und Niedersachsen finden sich auch die Lnder im Osten mit weitaus weniger Einwohnern vorn auf der Liste wieder. Baden-Wrttemberg, nach der Einwohnerzahl nach NRW und Bayern drittgrtes Land, taucht in der Statistik erst auf Rang 10 auf. Die Zahl der rechtsextremistisch motivierten Gewalttaten ist nach aktuellen Angaben 2014 gegenber 2013 deutlich gestiegen. Der entsprechende Jahresbericht des Bundesamtes fr Verfassungsschutz wird erst im Juni vorgelegt. H

SWP

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