Wie gut Julian Draxler wirklich ist, lässt sich exemplarisch an einer Szene dokumentieren, die sich im Testspiel der Schalker gegen Al-Saad aus Katar am 27. Juli 2013 ereignete: Es steht bereits 7:0 für den Revierklub, als der 20-Jährige eine Flanke von rechts artistisch im 16-Meter-Raum annimmt, zwei Gegenspieler wie Slalomstangen umkurvt und auf Höhe der Grundlinie per doppelter Hacke auf Raúl querlegt, der den Ball nur noch einschieben muss.
Diese Aktion bringt Julian Draxler zusammen mit Raúl den Preis für das Tor des Jahres 2013 ein – es ist erst das zweite Mal, dass ein Spieler in Deutschland die Auszeichnung erhält, der nicht selbst getroffen hat. 1972 legte Gerd Müller per Hacke für Nationalmannschaftskollege Günther Netzer auf.
Nicht erst seit Bekanntgabe der Ehrung reißen sich Europas Top-Klubs um den Jungstar der Gelsenkirchener. Draxler, der 2011 die begehrte Fritz-Walter-Medaille in Gold als bester deutscher Spieler seiner Altersklasse erhielt, kann sich seinen kommenden Verein aussuchen. Doch wohin führt der Weg für das Supertalent?
“Ohne Gehirnwäsche nie nach Dortmund!”
Ein Wechsel zum Ligakonkurrenten Bayern München kommt offenbar nicht infrage, wenn man Schalkes Aufsichtsratsvorsitzendem Clemens Tönnies Glauben schenken darf. Dieser ließ kürzlich auf dem Business-Kongress SpoBis verlauten: “Ich glaube nicht, dass Julian zum FC Bayern wechseln will.”
National stellt rein sportlich gesehen wohl nur noch Borussia Dortmund eine ernstzunehmende Alternative dar, die Westfalen kündigten bereits an, im Sommer groß investieren zu wollen. Jürgen Klopp soll sich in der Vergangenheit um Draxler bemüht haben, Letzterer stellte jedoch wenig später klar: “Sollte ich keiner Gehirnwäsche unterzogen werden, wechsle ich nie nach Dortmund!”
Bleibt wohl nur das Ausland. Für den ambitionierten Jungstar kann die Wahl nur auf Spanien oder England fallen. Technisch gesehen stellt der flexibel einsetzbare Youngster für jeden Spitzenklub der beiden Ligen eine Bereicherung dar, körperlich muss der nur 72 Kilogramm leichte Profi aber noch zulegen, um bei physisch agierenden Vereinen wie dem FC Chelsea oder Manchester United bestehen zu können.
Arsenal und Draxler – das passt!
Ein weiterhin kolportierter Wechsel zum FC Arsenal gehört zu den wahrscheinlichsten Varianten, da Arsene Wengers Konzept eines schnellen und auf Direktpässen basierenden Spiels perfekt zu Draxlers Fähigkeiten passt. Zudem gilt Wenger als Trainer, der – im Gegensatz zu beispielsweise Chelsea-Coach José Mourinho – unfertige Spieler in ihrer Entwicklung voranbringen kann. Nicht zuletzt dürfte die Eingewöhnung mit fünf deutschen Mitspielern vergleichsweise leicht fallen.
Auch Manchester City erscheint aufgrund seiner Spielanlage zunächst als geeignetes Ziel für den Mittelfeldmann. Jedoch steht hinter den “Citizens” mit Eigentümer Scheich Mansour bin Zayed Al Nahyan eine Person, die beim Streben nach Erfolg keine Rücksicht auf einzelne Persönlichkeiten nimmt – wer nicht konstant Top-Leistungen bringt, wird in der nächsten Transferperiode durch einen neuen Starspieler ersetzt. Allein in der letzten Sommerpause gab der Öl-Milliardär aus Abu Dhabi 115 Millionen Euro für neues Personal aus. Ob dieses Umfeld einen 20-Jährigen weiterbringt, ist fraglich.
Özil-Nachfolger in Madrid?
In der Primera División, laut eigener Aussage Draxlers Traum-Liga, erfüllen nur Real Madrid und der FC Barcelona die Kriterien der sportlichen und wirtschaftlichen Konkurrenzfähigkeit. Bei Real könnte das Supertalent die kreative Lücke auf der Zehnerposition füllen, die Mesut Özil nach seinem Abgang zum FC Arsenal hinterlassen hat. Doch auch hier stellt sich die Frage, ob der 20-Jährige mit dem speziellen Umfeld der “Königlichen” zurechtkommt.
Ein Wechsel zum FC Barcelona hingegen erscheint aus zwei Gründen unwahrscheinlich: Zum einen kommt das praktizierte 4:3:3-System mit vielen Rochaden dem meist positionsgetreu agierenden Draxler nicht ganz entgegen, zum anderen sind die Katalanen auf den Offensivpositionen mit Iniesta, Fàbregas, Pedro, Sanchez, Neymar und Messi bereits hervorragend besetzt.
Gesicht des FC Schalke
Trotz der verlockenden Angebote aus Europa ist auch ein Verbleib des Jungstars beim FC Schalke nicht ausgeschlossen. Für den Verein wäre dies extrem wichtig: Draxler ist in Gladbeck geboren, nur einen Steinwurf von Gelsenkirchen entfernt. Seit seinem neunten Lebensjahr trägt er das königsblaue Trikot.
In einer Zeit, in der schon elfjährige Kicker zu Vereinen transferiert werden, die hunderte Kilometer von ihrem Zuhause entfernt sind, stellt der 20-Jährige einen fast vergessenen Typus Spieler dar: Den, der bei seinem Heimatverein auf- und mit ihm gewachsen ist. Eine Identifikationsfigur.
Jeder Fußballverein dürstet nach solch einer Persönlichkeit. Doch im Ruhrgebiet ist eine solche besonders gefragt. Hier ist Fußball Religion, er bestimmt das Lebensgefühl und Selbstverständnis seiner Bewohner. Auf den Kickern lastet die Hoffnung und Erwartungshaltung einer ganzen Region.
Kommt ein Wechsel zu früh?
Julian Draxler ist jemand, der – so scheint es – mit diesem Druck umgehen kann. In Gelsenkirchen weiß man: Einen Spieler dieses Formates wird es vermutlich in den nächsten 20 bis 30 Jahren nicht mehr auf Schalke geben. Trotz der für einen Teenager exorbitanten Ablösesumme von 45,5 Millionen Euro und dem großen Schuldenberg der “Königsblauen” wird sich der Verein dreimal überlegen müssen, ob er sein Juwel im Sommer verkauft.
Auch Draxler selbst wird genau abwägen, ob der Schritt zu einem großen Klub in Europa nicht ein oder zwei Jahre zu früh kommt. Selbst die beiden Ex-Schalker Manuel Neuer und Mesut Özil haben sich erst mit 22 respektive 25 Jahren für einen Wechsel zu einem Top-Verein entschieden. Die Gelsenkirchener Identifikationsfigur kann in den kommenden Jahren auf Schalke reifen, zur Klub-Ikone werden – und dann bei einem der Top-Klubs in Europa zu einem Weltklassespieler avancieren.
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