Tempelglocken am Starnberger See Der japanische Arzt Ôgai Mori in Bayern

1884 bricht der junge Militärarzt Ôgai Mori (1862-1922) auf, um als Stipendiat des japanischen Kaiserreichs das deutsche Heeressanitätswesen und die westliche Zivilisation im Allgemeinen zu erforschen. In München studiert er die Hygiene bei Max von Pettenkofer, skizziert die Belüftungsanlagen im Odeon und das Haidhausener Kunstbutterwerk, pflichteifrig, bedachtsam, reserviert. In seinem Tagebuch notiert er, was ihm auffällt: die Leute, die Stadt, die Kunst, das Leben, die Spatzen in Nymphenburg, die schöne Anna, die im Finsterwalder Café bedient und ihn immer den “braven Doctor” nennt. Manchmal, etwa angesichts von Krautsalat oder Studentenduellen, übermannt Dr. Mori ein ethnologisches Grauen. Dann übermannt ihn das Heimweh. Manchmal übermannt ihn auch die Schwärmerei.

Er vermisste Soyasauce …

Mori mochte keinen Krautsalat und keine Polenta. Fräulein Bland, die im Hoftheater die Elektra gibt, fand er “künstlerisch wertvoll”. Er vermisste Soyasauce. Er trank gerne und viel. Zu Begeisterungsstürmen riss ihn die bayerische Landschaft hin. Mit Wohlwollen betrachtete er die bayerischen Kellnerinnen.

“Mit Kato und Iwasa war ich nach dem Mittagessen im Finsterwalder Café in der Schwanthaler Straße. Eine Bedienung dort, Anna mit Namen und gebürtig aus Dachau, ist sehr hübsch. Sie nennt Kato den ‘schönen Doctor’, Iwasa den ‘bösen Doctor’ und mich den ‘braven Doctor’. Kato hat nämlich einen sehr hellen Teint, Iwasa macht schlimme Witze, und ich bin immer sachlich und ernsthaft.”

(Ôgai Mori)

Sein literarisches Werk umfasst achtunddreißig Bände




Blick vom Starnberger See aus auf Starnberg mit der Rokokokirche Sankt Joseph

Er verliebt sich in Nathan den Weisen, in den Starnberger See, in die große grüne Bavaria, die von ferne in sein Schlafzimmerfenster schaut. Den tragischen Tod Ludwigs II. besingt er in elegischen Versen in klassischem Chinesisch. Nach seiner Heimkehr verfasst Ôgai Mori – ohne seine stromlinienförmige Militärkarriere auch nur einen Augenblick zu vernachlässigen – ein literarisches Werk, das achtunddreißig Bände umfasst, und wird einer der berühmtesten japanischen Schriftsteller seiner Generation.

Ôgai Mori starb 1922, sechzigjährig, an Tuberkulose. In seinem Testament verbot er, seinen militärischen Rang auf seinen Grabstein zu schreiben. Auch den Künstlernamen wollte er nicht mehr. Jetzt hieß er wieder Rintarô.

“Aus der Haut von einer,
die ich nie berührte
nähe ich einen Beutel
für den Sake, den ich nie trank.

Als Gefäß,
um mein Herz darin zu verwahren,
bestelle ich mir
einen feuerfesten Schmelztopf aus Platin.”

(Ôgai Mori)

Literaturhinweise:

  • Mori Ogai, Deutschlandtagebuch 1884-1888, konkursbuchverlag Tübingen 2008
  • Mori Ogai, Das Ballettmädchen, be.bra verlag Berlin, 2010
  • Mori Ogai, Wellenschaum – Eine japanische Erzählung aus dem München Ludwigs II., übersetzt und herausgegeben von Wolfgang Schamoni, Schriftenreihe der Deutsch-Japanischen Gesllschaft in Bayern e.V. 1976
  • Mori Ogai, Youth and Other Stories, University of Hawaii Press 1994
  • Not a Song Like Any Other, An Anthology of Writing by Mori Ogai, University of Hawaii Press 2004
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