SOS-Kinderdorf – "Meine Mutter ist meine Kinderdorfmutter"

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Immenreuths Bürgermeister Heinz Lorenz ist in einem SOS-Kinderdorf aufgewachsen. Zum 60. Jubiläum der Einrichtung erinnert er sich an Sicherheit, Geborgenheit – und einen Stoffhund.

Lisa Schnell, geboren 1984, ist ein Münchner Kindl und in dritter Generation an der Isar ansässig. Zumindest hat die Überprüfung des Stammbaumverlaufs das ergeben. Sie studierte Politik, Soziologie und Geschichte in München und Prag. Nebenbei fuhr sie mit einem blauen BR-Bus über’s Land und hielt den Leuten in Bayern das Mikro für die Sendung quer unter die Nase. Der Weg über die Deutsche Journalistenschule führte sie zurück zum geschriebenen Wort. Nach einem Jahr als Bayernkorrespondentin für die taz, schreibt sie jetzt für die SZ-Bayernredaktion.

Vor 60 Jahren wurde der Verein SOS-Kinderdorf in Deutschland gegründet, 10 000 Kinder haben in den Einrichtungen seither eine neue Heimat gefunden. 96 Kinderdorf-Mütter gibt es derzeit in Deutschland, Kinderdorf-Väter aber nur wenige. Heinz Lorenz, 41, ist im Kinderdorf in Immenreuth in der Oberpfalz aufgewachsen. Ein Vater ist das einzige, was er vermisste. Heute ist er dort Bürgermeister.

SZ: Herr Lorenz, wer sind Ihre Eltern?

Heinz Lorenz: Für mich gibt es biologische Eltern und es gibt die Herzensmama, meine Kinderdorfmutter.

Erinnern Sie sich noch an Ihre biologischen Eltern?

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Meine Mutter kam einmal im Kinderdorf vorbei, da war ich sechs. Es war ein sehr komischer Besuch, wie von einer fremden Frau, nicht emotional. Sie hatte eine neue Familie, für uns war kein Platz. Als ich etwa 20 war, bekam ich den Anruf, dass mein Vater gestorben sei. Ich kümmerte mich um die Beerdigung. Meine Schwestern wollten auch unsere Mutter besuchen. Sie sagte, mein Vater sei an allem Schuld, dass unsere Kinderdorfmutter ihre Briefe versteckt hätte. Ich wusste, das stimmt nicht. Da war für mich die Barriere gefallen. Es war ein Versuch, mehr nicht.


SOS-Kinderdorf in Dieen am Ammersee, 2015Bild vergrößern

Kinderdorfmütter werden nach Tarif bezahlt, angelehnt an den Öffentlichen Dienst.


(Foto: Catherina Hess)

Warum kamen Sie 1978 ins Kinderdorf?

Ich war damals vier und weiß alles nur aus Erzählungen. Ich hatte fünf Schwestern, zwei jüngere, drei ältere. Häusliche Gewalt war das Thema. Kindesmisshandlung. Ich war der einzige Junge, der erwünschte Stammhalter. Ich bekam keine Schläge, wenn ich etwas aus dem Kühlschrank nahm, meine Schwestern schon. Also besorgte ich ihnen immer Essen. Raus kam die Sache dann, als meine Schwestern statt im Sport-T-Shirt im Pulli zum Turnunterricht kamen. Die Lehrerin fragte nach, meine Schwester zog den Pulli aus und die Lehrerin sah die Misshandlungen. Sie meldete es. Da schon eine Strafakte vorhanden war, wurden wir unter Polizeischutz rausgeholt, meinen Eltern wurde das Sorgerecht entzogen.

Wie war Ihr erster Tag im Kinderdorf?

Da wurde gleich das ganze Dorf rebellisch gemacht, weil ich am nächsten Tag Geburtstag hatte. In der Nacht haben sie Kuchen gebacken, Geschenke organisiert. Eins war ein Stoffhund, ein Beagle, so ein flacher, den man sich aufs Bett legen konnte. Er ist mir ewig geblieben, bestimmt bis ich 20 Jahre alt war lag er auf meiner Tagesdecke.

Wie war die Begegnung mit Ihrer Kinderdorfmutter?

Mit dem Vertrauen ist es ziemlich schnell gegangen. Ich habe sofort den liebevollen Umgang gespürt. Wir hatten Glück. Unsere Kinderdorfmutter hat es als Berufung gesehen, nicht als Job. Sie war 28, als sie uns bekam, hat sich nur um uns gekümmert, nie einen Partner gehabt. Ich fühlte mich so sicher und geborgen, dass ich mein anderes Leben komplett ausgeblendet habe. Nie habe ich in die Akte vom Jugendamt geschaut, in der steht, was genau mit mir passiert ist. Mein Leben ist das im Kinderdorf gewesen, meine Mutter ist meine Kinderdorfmutter. Inzwischen hat sie 13 Enkelkinder.


Hilfsorganisation Hilfsorganisation


Hilfsorganisation

Manager der Not

Wilfried Vyslozil ist Vorstandsvorsitzender der SOS-Kinderdörfer weltweit – in der Zentrale in München gehen gerade vor Weihnachten Millionen von Spenden ein.

Wie war das Leben im Dorf?

Wir hatten ein Zimmer zu zweit. In den Urlaub sind wir mit der Arbeiterwohlfahrt Nürnberg gefahren. Eine Fahrradtour nach Ungarn oder Kajakfahren in Frankreich. Immer dann, wenn unsere Mutter offiziell Urlaub hatte. Sonst war sie ja 24 Stunden für uns da. Wenn mich Freunde gefragt haben, wie es ist, habe ich immer gesagt: Wie bei euch daheim, nur: Wir haben keinen Vater.

Hat Ihnen der sehr gefehlt?

In Form von Ratschlägen definitiv. Das fängt mit Kleinigkeiten an. Ich gehe heute mit meinem Neffen in die Werkstatt, das gab’s bei mir nicht. Es war schon eine große Lücke. Ich bin sehr technikversiert und habe mir dann viel selber beigebracht und eine Schreinerlehre gemacht.

Jetzt sind Sie Bürgermeister von Immenreuth. Das Kinderdorf ist auf Ihrem Hoheitsgebiet. Was haben Sie verändert?

Ich versuche, die Kinder mehr ins Dorfleben zu integrieren, etwa über den Sportverein. Ich war damals das einzige Kind im Kinderdorf, das im Verein war. Außerdem kommen im September Wandergesellen zu uns. Schreiner, Schmiede und Schneider, die mit den Kindern dann einen Spielplatz bauen. Das hat mir selbst immer am besten gefallen: Wenn man etwas selbst errichtet und am Ende bleibt es auch noch stehen.

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