Erinnert ihr euch noch an die Kinder in eurer Klasse, die immerzu nach Aufmerksamkeit gierten, aber nicht das geistige Potenzial zum Streber hatten?
Die in der kleinen Pause mit Schwämmen um sich warfen und im Unterricht mit Papierkugeln? Die allein schon deswegen den Unterricht störten, weil jede Ermahnung des Lehrers für sie eine Daseinsberechtigung war und sie nicht eher Ruhe gaben, bis ihr Name häufiger im Klassenbuch stand als das Unterrichtsthema?
Tauscht man das Klassenzimmer gegen den Bundestag aus und die Papierkugeln mit populistischem Unsinn, landet man schnell bei der deutschlandweit bedeutendsten Vereinigung politischer Profilneurotiker: der CSU. Eine Partei, die ihre gesamte bundespolitische Bedeutung aus dem Nichtvergessenwerden schöpft.
Die Doppelrolle als bayerische Quasi-Staatspartei und ständig etwas zu laut für Bayern blechtrommelnder Lederhosen-Lobbytruppe in Berlin beschert der CSU schon seit Jahrzehnten Erfolge, die den Rest der Republik mit einem Gefühl zwischen Maulsperre, Sodbrennen und Schluckauf zurücklässt.
Kabarettisten sind begeistert von der CSU
Nur die Kabarettisten danken jedem Morgen ihrem Schöpfer und dem seligen Franz Josef Strauß, dass es die Christsozialen gibt. Witze über gesampelte Doktorarbeiten, adenauermiefige Rollenbilder in der Familienpolitik oder die in völliger Geistesabwesenheit ausgedachte „Ausländermaut“ haben der Humorbranche nach dem Abtritt von Bundeskanzler Gerhard Schröder die Existenz gesichert.
Seit etwa zwei Jahren jedoch ist die CSU mehr als nur das Sozialamt der weltweiten Satire-Szene. In Bayern hat sie nämlich parallel zum Aufstieg der AfD den Populismus für sich wiederentdeckt.
Richtig ist nicht mehr, was politisch gut ist. Sondern nur noch das, wofür es Applaus gibt. Und ob der aus Richtung der Wertkonservativen kommt oder von der Nostalgiereisegruppe am Obersalzberg, das ist dabei von eher nachgeordneter Bedeutung.
CSU macht Stimmung gegen Zuwanderer
So machte die CSU schon Stimmung gegen Sinti und Roma, gegen Bulgaren und Rumänen, gegen Kosovaren, Bosnier, Mazedonier, Montenegriner, Serben und gegen „kriminelle Ausländer“ im Speziellen. Gegen Griechen. Gegen „Asylbetrüger“.
Der Parteivorstand traf sich auf einer Klausurtagung gar mit dem ungarischen Ministerpräsidenten Viktor Orbán (Spitzname im politischen Berlin: „Gulasch-Putin“), der sein Land nach autokratischem Vorbild umformt, nun die Grenzen abgeriegelt hat und Asylbewerbern mit dem Einsatz der Armee droht.
Jüngstes Beispiel: Markus Söder, bayerischer Finanzminister und so etwas wie die Sollbruchstelle der politischen Vernunft. Der 48-Jährige gilt seit einiger Zeit als potenzieller Nachfolger für CSU-Chef Horst Seehofer und als möglicher nächster Ministerpräsident von Bayern.
Ausgerechnet zur Einheitsfeier spricht Söder von Grenzzäunen
Dieser Markus Söder hat es geschafft, zwei Tage vor dem 25-jährigen Jubiläum der deutschen Einheit ein Hohelied auf Grenzzäune zu singen.
„Wir müssen darüber nachdenken, wer alles über die grüne Grenze kommt. Wir wissen nicht, wer ins Land kommt. Und deshalb müssen wir auch über grüne Grenzkontrollen an der deutschen Grenze nachdenken“, raunte Söder am Donnerstag im “Focus”.
„Ob das am Ende Zäune, Patrouillen oder andere Formen von Grenzkontrollen sind, muss man dann sehen. Wenn die EU-Außengrenzen nicht geschützt werden, muss eine deutsche Regierung auch darüber nachdenken, wie sie die deutschen Grenzen schützt.“
Auf die Idee muss man erst einmal kommen. Vor 25 Jahren standen dem CDU-Bundeskanzler Helmut Kohl und dem bayerischen Ministerpräsidenten Max Streibl die Tränen in den Augen, weil der Eiserne Vorhang endlich Geschichte war. Menschenschicksale endeten nicht mehr an befestigten Grenzen, die von Stettin bis Triest europäische Realität waren.
Kohls Lebenswerk ist neben der deutschen Einheit die Beseitigung von Grenzkontrollen und die Einführung des grenzübergreifend gültigen Euros. Sein politischer Enkel aus Nürnberg dagegen hat nicht den geringsten Skrupel, dieses Lebenswerk genau in dem Moment der ersten Prüfung aufs Spiel zu setzen.
Zwar wurde Söder mittlerweile von seinem populistischen Ziehvater Horst Seehofer zurückgepfiffen. Aber man darf sehr wohl davon ausgehen, dass dies ein unter Duldung der Parteispitze losgelassener Testballon war.
Die wahre Gefahr für das Grundgesetz kommt aus Bayern
Und spätestens seitdem dürfte klar sein, woher die eigentliche Gefahr für das Grundgesetz rührt: weniger aus Syrien, sondern eher aus Bayern. Nicht nur, dass die CSU seit langer Zeit das politische Klima in Deutschland vergiftet. Dass sie keine politische Lösung parat hat für die Flüchtlingskatastrophe, sondern ständig nur raunt und aufwiegelt.
Sie lässt auch fundamentale Rechtsgrundsätze unter den Tisch fallen. Das Recht auf Asyl etwa ist genauso Teil des Grundgesetzes wie die Menschenwürde und die Gleichheit vor der Justiz. Und kein einziger Halbsatz unserer Verfassung verliert seine Gültigkeit, nur weil die CSU das gerne so hätte.
Und waren es nicht die Bayern, die 1949 als einziges Bundesland dem Grundgesetz die Zustimmung verweigerten? Man will gar nicht wissen, was sich südlich des Mains derzeit zusammenbraut. Und dann noch das Oktoberfest. Dieser bis zur leibhaftigem Wahnsinn zelebrierte Alkoholkonsum. Bayern hatten beim Bier schon öfters mal finstere Gedanken.
Also: Wenn Markus Söder einen neuen Grenzzaun bauen will – dann kommen wir ihm doch einfach zuvor.
Lasst uns einen Zaun um Bayern bauen. Und die Visumspflicht für CSU-Politiker einführen. Vielleicht könnten wir uns dann endlich einmal auf die wirklichen Probleme konzentrieren.
So wie früher, als der Junge mit den Papierkügelchen vom Lehrer vor die Tür geschickt wurde.
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