Ein Fußballfest sollte das Halbfinal-Rückspiel des FC Bayern gegen Real Madrid werden, ein Sturmlauf ins dritte Champions-League-Finale in Folge. Es wird ein Debakel. Im eigenen Stadion werden die Münchner von Madrid vorgeführt – und müssen nun eine unangenehme Systemdebatte führen.
In der 28. Minute hatte auch Josep Guardiola genug gesehen. Mit einer energischen Handbewegung schickte der Bayern-Coach Javi Martinez zum Warmmachen. Mit 2:0 führten die Gäste von Real Madrid, die Münchner brauchten nach der 0:1-Hinspielniederlage im Bernabeu also vier Tore, um doch noch ins Endspiel zu kommen. Und Josep Guardiola beorderte einen defensiven Mittelfeldspieler zum Aufwärmen.
Es war der Moment, in dem auch die größten Optimisten unter den 68.000 Zuschauern in der Münchner Arena verstanden: Der große Traum vom historischen Doppel-Triple für den FC Bayern, er war geplatzt. Auf dem Rasen hatten die Münchner längst kapituliert, gestand Arjen Robben nach der Partie: “Dann ist es 2:0, und dann ist es vorbei.” Das “Debakel”, wie es Vorstandschef Karl-Heinz Rummenigge später unverblümt nannte, war nicht mehr aufzuhalten.
Mit zwei Standardsituationen, jeweils per Kopf verwertet von Abwehrchef Sergio Ramos, hatten die Madrilenen die vermeintlichen Über-Bayern früh auf Schalke-Maß geschrumpft. 2:0 führten die Königlichen nach 20 Minuten, das war ihnen nicht einmal beim 6:1 in Gelsenkirchen geglückt. “Wir haben heute ein Stück weit unsere Grenzen aufgezeigt bekommen”, bilanzierte Rummenigge die unerwartet deutliche Schmach nach dem Abpfiff. Bis dahin hatte Real durch die Saisontore Nr. 15 und 16 von Rekordtorjäger Cristiano Ronaldo noch auf 4:0 erhöht – und seinen Coach Carlo Ancelotti verblüfft. “Ich habe lange darüber nachgedacht, wie wir dieses Spiel gewinnen können, aber so konnte ich es mir kaum vorstellen”, schwärmte der Italiener nach Reals erstem Finaleinzug seit 2002: “Diese Mannschaft hört nie auf, mich zu überraschen.”
Den Bayern blieb nach dem demütigenden Ende ihrer internationalen Dominanz nur Frust. Statt als erste Mannschaft zum vierten Mal in fünf Jahren ins Finale der Champions-League-Finale einzuziehen, sorgten die Münchner für ein unrühmliches Novum: die höchste Heimniederlage ihrer Europacup-Geschichte. “Wir haben heute 0:4 auf die Fresse bekommen”, fasste Robben das Spiel zusammen. Unmutsbekundungen der Fans gab es dennoch kaum. Nur in der 71. Minute, als Guardiola mit Nationalstürmer Thoms Müller den einsatzfreudigsten Bayern-Angreifer aus dem Spiel nahm, reagierte die Südkurve mit Pfiffen und demonstrativen “Müller”-Sprechchören.
Nach außen hatten sich die Münchner, von der Guardiola-Schelte für die schwache erste Halbzeit gegen Bremen abgesehen, betont harmonisch präsentiert. Sie hatten vor dem Anpfiff wirklich alles versucht, um die Stimmung in der Arena anzuheizen. Gleich zweimal wurde “Highway to hell” von AC/DC eingespielt, einmal Wolfgang Petri (“Hölle, Hölle, Hölle”). Raimund Aumann flehte die Fans per Brief um Unterstützung an und auf den Sitzen lagen Klatschpappen.
Alles war vorbereitet für die Hölle, die Vorstandschef Rummenigge für das Rückspiel versprochen hatte. Doch mit der beeindruckenden Choreographie, die das gesamte Stadion einschloss, erlebte das Halbfinal-Rückspiel seinen Höhepunkt aus Bayern-Sicht schon vor dem Anpfiff. Nach dem 0:1 in der 16. Minute war es dann kurzzeitig mucksmäuschenstill im Stadion. Nur die 4.000 mitgereisten Real-Fans sorgten für Weißes Rauschen. Danach wurde das Spiel für die Bayern mit drei weiteren Gegentoren zur Hölle dahaom.
Guardiola blieb am Ende nur die Erkenntnis, anders als Ancelotti trotz langen Grübelns erneut die falschen Waffen gewählt zu haben. “Wir haben schlecht gespielt, wenn wir den Ball hatten”, räumte der Spanier ein. Trotz der höchsten Niederlage seiner Trainerkarriere stellte er sich aber vor seine Mannschaft: “Das ist meine Verantwortung. Ich habe einen Fehler gemacht. Aber Gratulation an Real Madrid.”
Es stellt sich die Systemfrage
Dass sich die Bayern nach all den Vorab-Warnungen vor Reals Konterstärke durch zwei ruhende Bälle übertölpeln ließen, war für Guardiola an einem misslungenen Abend nur folgerichtig: “Wenn du schlecht spielst, verteidigst du auch schlecht.” Sportdirektor Matthias Sammer, sonst nie um klare Worte verlegen, stellte schwammig fest: “In der Regel sollte man nicht nur Konter, sondern auch Standardsituationen verteidigen.” Kampfbegriffe wie “Kuscheloase” und fehlende “Gier” verkniff sich der Münchner Chefmahner. Sie dürften intern zur Sprache kommen, auch von Guardiola selbst. Denn anders als bei seinen Halbfinal-Niederlagen mit dem FC Barcelona gegen Inter Mailand (2010) und den FC Chelsea (2012) war sein FC Bayern im Duell mit Real Madrid erstmals die schlechtere Mannschaft. Dieses Aus im Halbfinale 2014 war nicht unglücklich. Es war verdient.
Den Willen und die Passion, die Guardiola eingefordert hatte, zeigte nur Real Madrid. In der “verdammten Stadt” (‘Marca’) wurden die Gäste zur Weißen Bestie und feierten im elften Versuch den ersten Sieg in München. Das erkannte auch Vorstandschef Rummenigge an: “Wir haben ein Stück zu wenig Leidenschaft in die Waagschale geworfen, um den Gegner damit in Probleme zu bringen.” Obwohl Guardiola Müller hinter Sturmspitze Mario Mandzukic ins Mittelfeld beorderte und er sein Team mit der Doppelsechs Toni Kroos/Bastian Schweinsteiger extrem offensiv ausrichtete, fehlte es den Münchnern im Angriff erneut an Tempo, Ideen, Durchschlagskraft und Chancen. Das Rückspiel erschien phasenweise wie eine Kopie des Hinspiels, nur dass sich Real diesmal von Anfang an am Spiel beteiligte – und seine Chancen konsequent nutzte.
Der einzige Bayern-Treffer in 180 Minuten gegen Real Madrid blieb eine Ohrfeige von Franck Ribery gegen Real-Verteidiger Daniel Carvajal in der 1. Halbzeit. Schiedsrichter Pedro Proenca übersah die Tätlichkeit. So wie die Bayern vor dem Spiel zwischen Zweifel und Zuversicht geschwankt waren, schwankten sie nach dem Spiel zwischen Einsicht und Trotz. “Wir haben über zwei Spiele kein Tor gemacht. So kann man nicht weiterkommen”, stellte Mittelfeldspieler Toni Kroos fest. Kapitän Philipp Lahm verzichtete diesmal darauf, die positiven Aspekte des Spiels hervorzuheben. Es gab einfach keine. Er warnte aber auch davor, die Systemfrage zu stellen.
Die drängt sich nach dem Debakel gegen Real, das in der Gesamtabrechnung 5:0 gewann, freilich auf. Nach der letzten 0:4-Niederlage des FC Bayern in der Champions League, im Mai 2009 in Barcelona, hatten die Münchner ihren damaligen Trainer Jürgen Klinsmann entlassen. Davon sind sie im Moment weit entfernt. Dennoch ist unübersehbar, dass die Münchner nach dem Gewinn der Rekord-Meisterschaft in der Bundesliga am 28. März und Guardiolas Ansage, die Bundesliga sei “vorbei”, aus dem Tritt geraten sind. Statt weiter Rekorde aufzustellen und mit Lob überschüttet zu werden, sammelt der Spanier mit seinem Team gerade Negativbestmarken. So wie im Hinspiel, als die Bayern trotz 72 Prozent Ballbesitz verloren – Minusrekord in der Champions League.
Folge ist bislang nur ein Lobdefizit. Das aber, weiß der Spanier, kann schnell in offene Kritik umschlagen – wenn sich bis zum Pokalfinale am 17. Mai gegen Borussia Dortmund nichts ändert. “Bayern ist eine große Mannschaft. Ich werde versuchen, die Spieler wieder aufzubauen”, beschwichtigte Guardiola am Mittwochabend: “Für eine generelle Analyse ist es noch zu früh.” Arjen Robben schlug ganz pragmatisch vor: “Akzeptieren, weinen, nach Hause gehen. Dann geht’s wieder weiter.” So einfach.
Quelle: n-tv.de