Flüchtlinge
Die CSU will von der Schweiz lernen, die auf schnelle Verfahren setzt. Es bleibt trotzdem gerecht, versichert Thomas Kreuzer.
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Herrmann sieht die EU in Zugzwang
Zürich.CSU-Landtagsfraktionschef Thomas Kreuzer ist am Mittwoch nach Zürich gekommen, um sich über beschleunigte Asylverfahren zu informieren. Die Schweiz testet gerade mit Erfolg ein Modell, bei dem spätestens nach 140 Tagen feststehen soll, ob Flüchtlingen Asyl gewährt oder sie abgeschoben werden. In manchen Fällen liegt der Bescheid schon nach 30, 40 Tagen vor. Für Asylbewerber aus Balkanstaaten und anderen als sicher deklarierten Herkunftsländern gibt es zudem seit 2012 ein Turboverfahren, das binnen 48 Stunden abgeschlossen sein kann. Abschreckung von Zuwandern ist ein gewünschter Nebeneffekt. Die Zahl der Asylbewerber aus dem Balkan ist in der Schweiz drastisch zurückgegangen, seit die neue Regel gilt. Das spiegelt sich in der Gesamtstatistik wieder. „Die Wirkung ist, dass wir heuer in Richtung 30 000 und nicht in Richtung 50 000 Asylanträge gehen“, sagt Pius Betschart, Vizedirektor des Staatssekretariats für Migration (SEM).
Drohkulissen sind Konzept
Drohkulissen aufzubauen, passt auch in Kreuzers Konzept. Er sieht darin eine Art von Befreiungsschlag in Zeiten, in denen die Asylbewerberzahlen in Deutschland drastisch nach oben schnellen. 800 000 sollen nach einer neuen Prognose des Nürnberger Bundesamts für Migration und Flüchtlinge in diesem Jahr in der Bundesrepublik eintreffen. Das wäre eine Vervierfachung im Vergleich zu 2014. „Der Anstieg ist rasant. Ich weiß nicht, ob es nächstes Jahr nicht schon zwei Millionen Flüchtlinge sind.“ Deutschland ist aktuell das Zielland Nummer Eins. Kreuzer drängt auf eine europaweite Verteilung der Flüchtlinge und macht Druck. Wenn die EU dauerhaft versage, könnte Deutschland europäische Vereinbarungen wie die Flüchtlingsrichtlinie aufkündigen. Die zeitweise Einführung von Grenzkontrollen sind ein weiteres Szenario. Er bringt auch Änderungen am Asylrecht ins Spiel – etwa den Zusatz, dass Asylgesuche von Flüchtlingen aus sicheren Herkunftsländern nur mehr in den dortigen deutschen Auslandsvertretungen gestellt werden können.
Bayern mit eigenem Testlauf
Wichtigster Punkt aber sind für ihn im Moment beschleunigte Asylverfahren. „Ich glaube, wir können uns in der Schweiz viel abschauen“, sagt Kreuzer am Mittwoch in Zürich. Bayern starte mit den geplanten Abschiebezentren in Bamberg und Manching demnächst einen eigenen Testlauf. „Ein schnelleres Verfahren bedeutet nicht, dass es nicht gerecht zugeht“, betont er.
Eine Einschätzung, die die Schweizer teilen. „Es geht um schnelle Verfahren, nicht um Schnellverfahren“, sagt Betschart. Teil seines Pilotprojekts ist, dass jeder Flüchtling Anspruch auf einen Rechtsbeistand hat. Die Zahlen der Beschwerden von Flüchtlingen sind tatsächlich geringer als im regulären Verfahren.
Denn schnelle Verfahren bedeuten nicht nur potenziell rasche Abschiebungen, die in der Schweiz „Wegweisung“ heißen. Ein Ehepaar aus Syrien hält am Mittwoch nach nur 40 Tagen einen positiven Asylbescheid in Händen. Rund 360 andere Asylbewerber stecken noch mitten im Verfahren. Sie sind in einer Barackensiedlung am Stadtrand von Zürich untergebracht, in der früher Gastarbeiter daheim waren. Wann immer es das zügige Verfahren verlangt, pendeln sie ins drei Kilometer entfernte Bundesamt für Migration. Die CSU-Besuchergruppe aus Bayern erweckt am Mittwoch die Neugier eines jungen Mannes aus Algerien. „Wer sind diese Leute?“, fragt er. Weiter reichen seine Sprachkenntnisse nicht. Männer, Frauen, Familien und auch 70 unbegleitete Minderjährige sind in den flachen Holzbauten untergebracht, nach Nationen bunt gemischt. Die meisten kommen aus Eritrea, aus Syrien und Sri Lanka. Das Pilotprojekt soll ab 2019 in der ganzen Schweiz gelten. Vom alten Verfahren werden – so hofft Betschart – die 48-Stunden-Verfahren für sichere Herkunftsländer Bestand haben. „Ein Wundermittel.“
Wie passt Modell auf Deutschland?
Ob das Schweizer Modell die Probleme Deutschlands und Bayerns löst? Die Rechtslage ist nicht Eins zu Eins übertragbar. Die Eidgenossen können bei Fehlentwicklungen relativ problemlos umsteuern. Sollte ein Herkunftsland das Rückkehrgeld von bis zu 2000 Franken missbräuchlich verwenden, könnte es für die betreffende Nation gestrichen werden, sagt Betschart. CSU-Vizefraktionschefin Gudrun Brendel-Fischer verweist auch auf die weit höheren Asylbewerberzahlen in Deutschland.
Erschwerend kommt hinzu. Das Nürnberger Bundesamt für Migration und Flüchtlinge schiebt aktuell ohnehin einen Berg von 255 000 Asylanträgen vor sich her, über die noch nicht entschieden ist. Hinzugerechnet müssen weitere 100 000 Verfahren von Flüchtlingen, die zwar bereits in Deutschland sind, ihren Antrag aber noch nicht eingereicht haben.
Um den Antragsstau abzutragen und Verfahren zu beschleunigen werden in diesem Jahr zwar 1000 neue Mitarbeiter eingestellt. Nächstes Jahr sollen noch einmal bis zu 1000 weitere hinzukommen. Doch solange die Zahl der Asylbewerber weiter nach oben schnellt, verpufft die Wirkung.
Bayerns Sozialministerin Emilia Müller, die am Mittwoch in Zürich nicht mit dabei ist, verfolgt das Schweizer Modell seit 2014 mit Interesse. „Kern des Testbetriebes in Zürich ist die Bündelung der Elemente Unterbringung, Asylverfahren, Rechtsschutz und Rückführung unter einem Dach, um die Abläufe schneller und effizienter zu machen“, sagt sie auf Anfrage. Bayern verfolge mit den zwei geplanten Zentren für Asylbewerber aus Balkanländern eine ähnliche Strategie. „Dort sind alle nötigen Verwaltungseinrichtungen sowie das Verwaltungsgericht vor Ort.“
Neumeyer sieht Knackpunkt
Der bayerische Integrationsbeauftragte Martin Neumeyer (CSU) sieht als Knackpunkt des Schweizer Modells die Frist von nur zehn Arbeitstagen, binnen der Rechtsbeistände von Flüchtlingen Bescheide auf den Prüfstand stellen können. „Das könnte zeitlich knapp werden.“
Margarete Bause, Fraktionschefin der Grünen im Landtag und generell unverdächtig Kreuzer-Vorschlägen etwas abzugewinnen, sieht beim Züricher Pilotprojekt dagegen vor allem eine Reihe von Vorteilen. „Es ist sicherlich sinnvoll, die Verfahren zu straffen und unnötige Bürokratie abzubauen“, sagt sie. Die unterschiedlichen Zuständigkeiten von Kommunen, Bezirken, Bundesländern und Bund stifteten in Deutschland ein „Bürokratie-Wirrwarr“. Gut gefällt ihr auch, dass die Eidgenossen den Anspruch aller Flüchtlinge auf Rechtsschutz verbindlich geregelt und finanziert haben.
Von Bescheiden binnen 48 Stunden hält sich allerdings gar nichts. „Das lehnen wir natürlich ab. Schnelle Verfahren, die die Rechte von Flüchtlingen beschneiden, sind nicht sinnvoll.“ Zur Entlastung des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge bringt sie stattdessen ins Spiel, Flüchtlinge aus Syrien das Asylverfahren zu ersparen – eine Idee des Parteifreundes und baden-württembergischen Ministerpräsidenten Winfried Kretschmann, die kürzlich auch CSU-Mann und Landkreistagspräsident Christian Bernreiter gut hieß. „Sie werden ohnehin zu fast 100 Prozent anerkannt“, sagt Bause.
SPD sieht Schuld bei CSU
SPD-Landtagsfraktionschef Markus Rinderspacher geht am Mittwoch dagegen gegenüber der CSU auf Konfrontationskurs. „Herr Kreuzer hätte gar nicht erst bis in die Schweiz fahren müssen, um sich erklären zu lassen, wie Asylverfahren beschleunigt werden können“, sagte er. „Es hängt alles am Personal: An genügend Polizisten, an ausreichenden Verwaltungsrichtern und an mehr Stellen in den Erstaufnahmeeinrichtungen.“ Wenn es in Bayern schon 72 Stunden dauere, bis allein Fingerabdrücke der Asylbewerber registriert sind, müsse man sich nicht wundern, wenn über Anträge nicht binnen 48 Stunden entschieden sei.
Christine Schröpf
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