Vor den Wanderern liegt ein weißes Nichts. Die Grenze zwischen den schneebedeckten Feldern und dem grauen Himmel ist im dichten Nebel nicht zu erkennen. Auch Bäume werden vom Dunst verschluckt. Trotzdem stapfen die Wanderer mit ihren Schneeschuhen mutig ins unbekannte Nirgendwo der Rhön. Die Gruppe wird angeführt von Rolf Barthelmes. Der 56-Jährige ist in dem Mittelgebirge im Dreiländer-Eck von Bayern, Hessen und Thüringen daheim. Er kennt jeden Baum und jeden Strauch. Nun führt er die neugierige Wandergruppe bei geringer Sicht rund um den höchsten Berg – die Wasserkuppe.
Die Teilnehmer wollen die Orientierungslosigkeit erleben, wenn man die Hand vor Augen nicht mehr sieht – und natürlich Tipps mit nach Hause nehmen, damit sie sich im Notfall selbst helfen können. Die Rhön bietet erstmals Wanderungen dieser Art. Die gibt es nach Einschätzungen des Deutschen Alpenvereins (DAV) und der Bergwacht deutschlandweit nur sehr selten.
Die Nebel- und Sturmwanderungen werden organisiert von der Rhön-Marketing GbR, einem Zusammenschluss der Tourismusorganisationen der drei Bundesländer. Die Rhön ist prädestiniert dafür. Denn vor allem zwischen November und März versinkt sie oft in dichten Wolken. „Es sollen – rein statistisch – rund 200 Tage im Jahr sein, aber da wird wohl jede Wolke mitgezählt, die die Wasserkuppe mal für fünf Minuten in Nebel hüllt“, sagt Barthelmes.
„Wir haben nun einfach aus der Not eine Tugend gemacht und nutzen die Nebeltage, um eine neuartige Erfahrung in der Natur anbieten zu können“, sagt Roland Frormann, Vertreter der Rhön-Marketing GbR. „Es muss aber keiner Angst haben – wir schnüren ein Rundumsorglospaket. Aber es soll auch zeigen, dass das Wandern im Nebel nicht ungefährlich ist und den persönlichen Stressfaktor erhöhen kann.“
Das bestätigt Wanderer Roland Müller nach den ersten Minuten der Wanderung. „Man nimmt alle Geräusche ganz anders wahr. Es ist spannend, diesen Effekt zu erleben.“ Wenn man plötzlich im Nebel steht, muss man sich auf seine anderen Sinne verlassen – und auf ein paar Hilfsmittel. „Ein Kompass schadet nicht und Ortskenntnis ist auch hilfreich“, sagt Wanderführer Barthelmes. Wenn man beides nicht hat, dann soll man die Notrufnummer 112 wählen und Hilfe rufen. Und wenn im Nirgendwo der Berge das Mobiltelefon streikt? „Weiter vorsichtig bergab gehen, nicht verharren und auf besseren Empfang hoffen.“ Im Winter sei die Kälte die größte Gefahr.
Doch auch das „einfach weitergehen“ erweist sich schwieriger als angenommen. „Man verschätzt sich total mit den Himmelsrichtungen, wenn man keinen Anhaltspunkt mehr in der Umgebung hat“, sagt Wanderer Müller. Gerade im Gebirge gilt deshalb: unbedingt auf den Wegen bleiben – so vorhanden.
Nebel und dichte Wolken können im Gebirge und in Höhenlagen schnell aufziehen. Und nicht immer kann man sie zuverlässig vorhersagen. „Hohe Luftfeuchtigkeit, möglichst windstill und klarer Himmel – wer die Wetterverhältnisse aufmerksam beobachtet, kann das zumindest für den Morgen erkennen“, sagt Volker Wünsche vom Deutschen Wetterdienst in München. Schwieriger sei es mit sogenanntem Mischungsnebel. Der entsteht, wenn sich kalte und milde Luftmassen begegnen. Die Luft ist feucht, Wind gibt es kaum. „Dann kann es auch eine plötzliche Sichtverschlechterung geben“, erklärt der Meteorologe weiter.
„Vor allem im Herbst werden die Wetterverhältnisse oft unterschätzt“, sagt Ludwig Lang, Geschäftsführer der Bergwacht im Chiemgau. Pro Jahr rückt die Bayerische Bergwacht meist mehr als 7300 Mal aus. Die meisten Todesfälle registriert die Organisation beim Wandern. 2011 kamen dabei 41 Menschen ums Leben. 105 waren es insgesamt. „Oft überschätzen sie sich selbst und ihre eigene Kondition“, so Lang. Es sei deshalb das A und O, dass sich Wanderer vor jeder Tour über die Strecke und das Wetter informieren und ihre Kraft ehrlich einschätzen.
Dass es in der Rhön nun einen Kurs gibt, der sich dem Gefühl und den Gefahren bei schlechten Sichtverhältnissen und Sturm widmet, bewertet die Bergwacht als „absolut positiv“. „Das hilft den Leuten auf jeden Fall weiter“, sagt Lang. Es sei wichtig, dass sich die Leute mit ihrem Vorhaben auseinandersetzen. „Das ist ja auch das, was die Alpenvereine mit ihren Kursen erreichen wollen.“