
Der Rosenheimer Landrat Wolfang Berthaler wollte noch vergangene Woche die Notbremse ziehen: Er hatte gedroht, keine weiteren minderjährigen Flüchtlinge, die ohne ihre Eltern nach Bayern geflohen sind, aufnehmen. Zuletzt kamen teils 30 Jugendliche pro Tag. Der Landrat forderte mehr Unterstützung von Bund und Freistaat.
Sozialministerium will in Vorleistung gehen
Der Appell hat offenbar gewirkt. Nach einem Gespräch zwischen Berthaler und Sozialministerin Emilia Müller werden die minderjährigen Flüchtlinge nun schneller auf andere Landkreise verteilt. Welche Landkreise die Jugendlichen aufnehmen und ob es einen Verteilerschlüssel gibt, konnte der Pressesprecher des Landratsamtes Rosenheim noch nicht sagen.
Das Sozialministerium hat laut einer Sprecherin darüber hinaus angeboten, für die Unterbringung und Versorgung der unbegleiteten Minderjährigen in den Erstversorgungseinrichtungen in Vorleistung zu gehen. Hierzu würden noch weitere Gespräche stattfinden.
Zelte für Flüchtlinge in München
Auch in diesem Sommer werden Flüchtlinge möglicherweise in Zelten schlafen müssen. Das sagte die Sozialreferentin der Stadt, Brigitte Meier, dem Bayerischen Rundfunk. Hintergrund sei, dass die Regierung von Oberbayern in der Erstaufnahmeeinrichtung in der Bayernkaserne Plätze schaffen müsse. In den kommenden vier Wochen müssen pro Woche 150 Flüchtlinge aus der Bayernkaserne im Stadtgebiet untergebracht werden. Meier zufolge sind die Notfallunterkünfte eine gute Möglichkeit, um den Ansturm zu bewältigen etwa in der Richard-Strauss-Straße oder im VIP-Bereich des Olympiageländes. Dadurch stünden 600 Plätze für Asylbewerber zur Verfügung.
“Aber dann hat die Stadt München keine Notfallkapazitäten mehr,” sagte die Sozialreferentin. Deshalb wolle die Stadt die sogenannten Leichtbauhallen zur Verfügung stellen. Sie seien “wie aufblasbare Tennishallen mit festen Wänden”. Wenn der Münchner Stadtrat in seiner Vollversammlung am 1. Juli das Sozialreferat damit beauftragt, will Meier diese Pläne “sofort in die Realität umsetzen”. Vergangenes Jahr waren vergleichbare Unterkünfte im Kapuzinerhölzl aufgestellt worden.
Rosenheim besonders belastet
750 Flüchtlinge, die ohne ihre Eltern nach Bayern geflohen sind, sind vergangenes Jahr allein im Landkreis Rosenheim gestrandet. Das stelle die Behörden vor eine riesen Herausforderung, bekräftigte Landrat Berthaler.
“Das ist schwierig, weil die alle bei der Bundespolizei Rosenheim aufschlagen – und damit sind wir, sprich auch die Stadt Rosenheim, zuständig. Das fällt dann auch in unsere Kollektivhaftung, weil wir die Einrichtungen miteinander haben.”
Landrat Wolfgang Berthaler
Die Stadt und der Landkreis Passau, die Stadt München, der Landkreis Berchtesgadener Land und eben Rosenheim waren bisher die Hauptbetroffenen.
Keine jugendgerechte Betreuung mehr
Rosenheims Landrat Wolfgang Berthaler
Bisher musste sich das Jugendamt um die jungen Menschen kümmern, in dessen Zuständigkeit sie aufgegriffen wurden. Dort müssen sie jugendgerecht betreut werden. Gerade in der Anfangszeit heißt das, ein Sozialpädagoge ist für zwei Minderjährige zuständig. Doch das ist seit langem nicht mehr möglich. Denn im Landkreis Rosenheim, wie in vielen anderen Teilen des Freistaats auch, fehlen dafür die Fachkräfte. Und auch bei der Unterbringung sieht es nicht besser aus. Die Behörden müssen auf Wohnungen, Hotels und Pensionen zurückgreifen.
“Das kann nicht sein, dass wir für ganz Bayern beziehungsweise ganz Deutschland leiden müssen. Die Kapazitäten unserer Mitarbeiter sind absolut erschöpft. Sie stehen oftmals auch vor einer großen körperlichen Herausforderung, ideeler Natur auch, wo man einfach sagt, sie können dieses Spektrum nicht mehr bewältigen.”
Landrat Wolfgang Berthaler
Der Rosenheimer Landrat fordert eine sofortige deutschlandweite Verteilung der minderjährigen Flüchtlinge – und nicht erst kommendes Jahr, wie es vom Bund geplant ist.