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Als frisch gebackener deutscher Meister feiert der FC Bayern sich und seine Fans. Auf dem Münchner Rathausbalkon wird Arjen Robben geduscht, Pep Guardiola macht eine Liebeserklärung und hinter den Kulissen fallen historische Sätze.
Die Euphorie bricht in letzter Minute aus. Als Claudio Pizarro in der 90. Minute des letzten Bundesligaspiels der Saison das 1:0 für den FC Bayern schießt, jubeln die Fans auf der Leopoldstraße. Gefeiert hätten sie an diesem Tag zwar auch ohne Sieg (die Meisterschaft war den Bayern schon sicher), aber so fühlt sich die Party noch verdienter an: Der FC Bayern München begießt nach dem Spiel gegen Stuttgart seinen 24. Meistertitel – mit Konfetti-Regen und Bierduschen im Stadion und später einer rauschenden Nacht im Postpalast. Vorher aber feiert der Verein traditionell seine Fans. Mit einem Autocorso, einer Party auf dem Marienplatz und deutlichen Worten – an diesem Abend von Pep Guardiola: “Ich liebe euch. Ich bin ein Münchner. Mia san mia.” Die Reaktion: frenetischer Jubel und “Pep! Pep! Pep!”-Sprechchöre für den Trainer.
Überhaupt zeigen sich die Bayernfans recht begeisterungsfähig und ausdauernd. Schon am Morgen haben sich die ersten einen Platz auf dem Marienplatz mit guter Sicht auf den Rathausbalkon gesichert – selbstverständlich in Tracht und nach Möglichkeit in aktuellem Trikot. Beim Warten auf den Mannschaftsbus an der Münchner Freiheit entwickelt sich schnell Stadionstimmung: Einzelne Gruppen singen Fanlieder, rot-weiße Fahnen werden geschwenkt, ein stetiges Tröpfeln von oben wird ignoriert. Selbst als der Bus endlich anrollt und ihre Stars vom FC Bayern, nun ja, noch nicht gerade Euphorie ausstrahlen, jubeln die Vereinsanhänger.
Meisterschaft
Wie der FC Bayern feiert
Mit gezückten Smartphones setzt sich der Pulk in Bewegung und schiebt sich hinter dem Mannschaftsbus die Fanmeile entlang. Ganz vorne im offenen Doppeldecker stehen Arjen Robben und Thomas Müller, auch Philipp Lahm gesellt sich als pflichtbewusster Kapitän ab und an zu ihnen. Immer wieder versucht der Moderator auf dem Bus mit “Humba, Humba, Humba, Täterä”-Rufen die Stimmung anzuheizen.
Hollywoodreife Inszenierung
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Auf dem Marienplatz hat das schon längst geklappt: Gegen 19 Uhr werden alle Zugänge abgesperrt, etwa 13 000 Fans warten schon vor dem Rathausbalkon. Partymusik und BR-Moderator Stephan Lehmann beschallen die Menge. Um kurz nach neun setzt melodramatische Musik ein, donnernde Bässe und flackernde Scheinwerfer künden Großes an. Um Punkt 21.17 Uhr wird der erste Spieler begrüßt, jeder wird einzeln aufgerufen, darf die Meisterschale in die Luft recken und dazu johlen. Ein Meer aus roten Fähnchen winkt ihnen entgegen.
Gedankt wird nicht nur Fans und Spielern. Auch das Team im Hintergrund wird beklatscht – sowie die Leute an der Spitze des Vereins. Als auch Karl Hopfner erwähnt wird, der neue Präsident des FC Bayern, kommen Pfiffe aus der Menge. Laut wird Uli Hoeneß Name aber nicht ausgesprochen, nur gezeigt wird er nochmal, als Claudio Pizarro and Javi Martinez einen Schal hochhalten auf dem “Danke Uli – Du bist der beste Mann” steht. Sehen lässt sich Uli Hoeneß bei der Meisterfeier auch nicht, erst bei der Party im Postpalast schließt sich der Ex-Präsident seinem Verein wieder an.

Perspektivwechsel: Der Blick vom Rathausbalkon während der Meisterfeier.
(Foto: Alessandra Schellnegger)
Als Arjen Robben auf dem Rathausbalkon an der Reihe ist, die Meisterschale in die Hand zu nehmen, jubeln die Fans auf dem Marienplatz besonders laut – und das sogar zweimal. Als alle schon auf dem Balkon stehen, geht die Blödelei so richtig los. Und wie schon im vergangenen Jahr sorgt Franck Ribéry als Pausenclown für Stimmung – und kippt seinem Kollegen mal eben ein Riesenglas Weißbier über den Kopf. Einen Abend lang dürfen sich die Superstars wie kleine Jungs aufführen – sogar Sportdirektor Matthias Sammer hat seine Erlaubnis gegeben.
Hausherr voll kindlicher Freude
Mindestens genauso viel Spaß hat einer, der keine Minute auf dem Rasen stand, und der trotzdem mit mehr kindlicher Freude feierte als die meisten Spieler. Tatsächlich geht für Dieter Reiter an diesem Abend ein Kindheitstraum in Erfüllung. Seit 50 Jahren Bayern-Fan, seit zehn Tagen Münchner Oberbürgermeister darf er als Hausherr seine Stars im Rathaus begrüßen. Jedem erzählt er von seiner Freude, den Reportern im Rathaus, den Spielern auf dem Weg zum Balkon, schließlich auch den Fans auf dem Marienplatz.
Um staatsmännisch-neutrale Distanz zu den Fußballheroen des einen großen Münchner Fußballklubs bemüht er sich erst gar nicht, der Jubel der Zehntausende, der aufbrandet, als er sich auf dem Balkon als bekennender Bayern-Fan outet, genießt er ebenso wie das Kompliment des Bayern-Vorstandsvorsitzenden Karl-Heinz Rummenigge: “Wir halten einen Rekord, weil wir schon nach dem 27.Spieltag Meister wurden, Sie halten einen Rekord, weil Sie schon nach zehn Tagen eine Meisterfeier des FC Bayern im Rathaus haben.”
Das sagt Rummenigge im kleinen Sitzungssaal des Rathauses, während auf dem Rathausbalkon die Spieler noch tanzen und soeben BR-Moderator Lehmann mit Weißbier duschen. Sie verpassen Historisches: Viele Jahre lang piesakten sich der FC Bayern und Oberbürgermeister Christian Ude gegenseitig, wer wem zu wenig Respekt zolle. Dieter Reiter macht damit Schluss und sagt den Satz, auf den die Bayern so lange aus dem Rathaus gewartet hatte: “Die Stadt ist stolz auf diesen FC Bayern.” Und Rummenigge erwidert: “Der FC Bayern ist stolz auf diese Stadt”. Mehr noch: “Wir wünschen Ihnen viel Erfolg für die nächsten sechs, wahrscheinlich aber 12 oder 18 Jahre.” So viel Liebe war noch nie zwischen Stadt und Klub.
Xherdan Shaqiri und Diego Contento lassen sich da schon in ein lederbespannten Ratssessel fallen – offenbar müde von der altbekannten Balkonprozedur. Die anderen Spieler schauen anstandshalber noch bei Reiter und den wenigen Stadträten vorbei, halten ihr Gesicht in jede Handy-Kamera und lassen die Meisterschale betatschen. Das klubinterne Protokoll drängt zum Aufbruch in den Postpalast, wo Funktionäre und Spieler nebst Frauen unter sich feiern wollen. Schweinsteiger macht ein Höflichkeitshandschütteln mit Reiter, Arjen Robben bedenkt sorgfältig jeden Fan mit Autogrammen – nur Pep Guardiola sitzt ein wenig abseits auf einem schweren Holztisch im neogotischen Rathaussaal und sinniert. Vielleicht über das Spiel gegen Borussia Dortmund, vielleicht über diese merkwürdigen Münchner Feier-Riten.
FC Bayern in der Einzelkritik
Tapfer der Bierdusche gestellt
Und das nächste steht schon nächste Woche an: Die Pokalfeier ist für kommenden Sonntagnachmittag im Rathaus angesetzt. Dieter Reiter freut sich schon.