Braunschweig: Vor dem schweren Gang nach München
kicker: Am Samstag trifft der Erste auf den Letzten, der Ligakrösus auf den Klub mit dem niedrigsten Etat – freuen Sie sich eigentlich auf Bayern München oder treibt Ihnen die Siegesserie des nächsten Gegners den Angstschweiß auf die Stirn, Herr Lieberknecht?
Torsten Lieberknecht: Es ist wahrscheinlich das Aufeinandertreffen der größten Gegensätze seit Jahren in der Bundesliga, aber wir freuen uns natürlich darauf. Ich erinnere mich noch an den 1. August 2011, der Tag, seit dem ich zu Herrn Heynckes Jupp sagen darf. Wir hatten als Zweitliga-Neuling Heimrecht im Pokal gegen die Bayern, und in ganz Braunschweig war Ausnahmezustand. Was meinen Sie, was los gewesen wäre, wenn wir den Leuten da gesagt hätten, in zwei Jahren machen wir ein Punktspiel gegen die?
kicker: Was meinen Sie, was los gewesen wäre?
Lieberknecht: Mindestens Land unter…
kicker: Daniel Davari sagt, die Partie gegen Bayern sei das einfachste Spiel, weil kein Erwartungsdruck bestehe. Geben Sie Ihrem Torhüter recht?
Lieberknecht: Nein, in dem Fall ausnahmsweise nicht.
„Wir fahren nach München und haben natürlich diesen Riesentraum, das ist doch klar.“Torsten Lieberknecht
kicker: Weil Sie sich etwas ausrechnen?
Lieberknecht: Wir fahren nach München und haben natürlich diesen Riesentraum, das ist doch klar. Aber wir sind auch Realisten, diesen Traum hatten vor uns schon ein paar andere, und nicht mal zwei von jenen Teams in Deutschland, die sich Hoffnungen machen können, an einem guten Tag Bayern zu schlagen, haben es in dieser Saison geschafft.
kicker: Das bedeutet für Ihre Arbeit in dieser Woche?
Lieberknecht: Dass ich unsere Mannschaft so einstellen will, dass sie das umsetzt, was ich von ihr verlangen kann. Aber selbst dann ist es gegen Bayern noch ein weiter Weg. Deshalb ist es nicht das leichteste Spiel. Wir hissen nicht die weiße Fahne, aber wir müssen realistisch sein – angenehm wird es am Samstag sicher nicht. Wenn die Bundesliga bisher für uns schon eine riesige Herausforderung ist, so stellt diese Partie sicher das Maximum an Herausforderung dar.
kicker: Mit der Herausforderung Bundesliga tut sich die Eintracht seit dem 0:4 gegen Stuttgart trotz des Rückschlags gegen Freiburg sichtbar leichter als zuvor. Was ist passiert seitdem? War allein Ihr emotionaler Ausbruch danach der Wendepunkt?
Lieberknecht: Wir haben danach in Wolfsburg gewonnen, das ist passiert. Die Mannschaft hat dort erstmals seit dem Aufstieg gespürt, dass es auch eine Liga höher funktioniert, dass sie mithalten kann. Wir haben seitdem zwar auch noch Spiele verloren, treten aber ganz anders auf. Wir sind unangenehmer geworden, machen viel weniger Fehler.
kicker: Dennoch reichte es gegen Freiburg nicht zum ganz großen Schritt – weil letztlich doch die Qualität fehlt?
Lieberknecht: Ich habe vor der Saison gesagt, wir werden einen langen Atem brauchen. Das gilt auch jetzt. Ein Sieg gegen Freiburg am 13. Spieltag hätte auch nicht den Klassenerhalt bedeutet. Wir dürfen uns durch dieses 0:1 unseren Optimismus nicht nehmen lassen. Denn der ist nicht gespielt, sondern belegbar. Bundesliga lernen – das haben wir verinnerlicht, wenn ich an die Leistungssprünge von Omar Elabdellaoui oder Mirko Boland, aber auch von älteren Spielern denke.
kicker: Brauchen Sie im Winter dennoch personellen Nachschlag?
Lieberknecht: Marc Arnold und ich sind uns einig, dass etwas möglich ist, wenn wir das Gefühl haben, ein Spieler hilft uns weiter – aber das darf nicht nur kurzfristig, sondern muss auch perspektivisch sein.
kicker: Um dann doch mehr als in erster Linie Sympathiepunkte zu sammeln?
Lieberknecht: Ich empfinde es tatsächlich so, dass wir überwiegend positiv wahrgenommen werden. Das macht uns stolz, und bei aller Bescheidenheit: Das ist irgendwo auch berechtigt – wir sind ein besonderer Verein. Unsere Gäste sagen nicht selten, in Braunschweig gibt es noch das pure Fußballerlebnis. Abgesehen davon sind wir entspannt, was die Erwartungshaltung anbelangt. Und wir wollen uns da nicht verändern.
kicker: Müssen Sie sich persönlich eigentlich verändern?
Lieberknecht: Weil ich gegen Freiburg zum zweiten Mal auf die Tribüne verwiesen worden bin?
„Ich glaube schon, dass in mir jemand gesehen wird, den man noch maßregeln möchte.“Torsten Lieberknecht
kicker: Genau. Am Samstag äußerten Sie den Verdacht, es werde bei Ihnen nur darauf gewartet.
Lieberknecht: Dazu stehe ich. Ich glaube schon, dass in mir jemand gesehen wird, den man noch maßregeln möchte. Aber meine Emotionalität werde ich mir nicht nehmen lassen.
kicker: Das heißt, Sie würden immer wieder so reagieren wie am vergangenen Samstag?
Lieberknecht: Ich versuche, Dinge besser zu machen. Aber ich habe mich lediglich aufgeregt, niemanden beleidigt. So wie gegen Freiburg würde ich wieder reagieren.
Interview: Sebastian Wolff