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Er besaß die größte Wurstfabrik Europas. Dann dachte Karl Ludwig Schweisfurth über die industrielle Lebensmittelproduktion nach, verkaufte seine Firma und fing mit den “Hermannsdorfer Landwerkstätten” an. Erst wurde er dafür belächelt – heute boomt das Geschäft.
“Wie heißt der Kleine von VW?”, fragt Karl Ludwig Schweisfurth, wenn man wissen will, wie er denn von München zu seinem Hof hinaus kommt. “Nein, kein Golf. Richtig! Ein Polo!” Jawohl, so stellt man sich einen Ökobauern auch vor: wenn schon Auto, dann ein kleines, und dann nicht mal die Marke wissen! Ein erfolgreicher Unternehmer, der schon mal 5500 Arbeiter in zehn Fabriken beschäftigt hat, kann das nicht sein. Aber Schweisfurth ist dieser Unternehmer ja auch nicht mehr. Vor bald 30 Jahren hat er die Firma verkauft an den Lebensmittel-Multi Nestlé, hat mit dem Geld eine Stiftung gegründet und sich einen Hof gekauft.
Nun gut: ein großes landwirtschaftliches Gut bei Glonn. “Herrmannsdorfer Landwerkstätten” heißt es, macht einen Jahresumsatz von 15 Millionen Euro und beschäftigt 120 Mitarbeiter. Kein Vergleich zu den Herta-Wurstfabriken mit 1,5 Milliarden Mark Umsatz, über die Schweisfurth in seinem früheren Leben einmal herrschte. Aber Geld ist nicht das Entscheidende, das ist heute sonnenklar für ihn.
Karl Ludwig Schweisfurth wird in diesem Sommer 84 Jahre alt, und man gewinnt gleich den Eindruck, hier einen Menschen vor sich zu haben, der in sich ruht. Was doch erstaunlich ist für jemanden, der immer noch so viele Aktivitäten entwickelt. Gerade eben hat er ein neues Buch veröffentlicht, das seine Ideen unter die Leute bringen soll. “Der Metzger, der kein Fleisch mehr isst . . .” (Oekom-Verlag, 232 Seiten, 19,95 Euro) heißt es. Der Titel geht auf der Rückseite des Schutzumschlags noch weiter, dort steht: ” . . . wenn er nicht genau weiß, wo es herkommt, und wie das Tier gelebt hat.” Das ist für einen Vorder- und Rücktitel recht ausführlich, beschreibt aber gut, worum es Schweisfurth seit 30 Jahren geht.
Seine Mission, die ihm den Dauer-Beinamen “Öko-Pionier” eingebracht hat, ist “der achtsame Umgang mit den Tieren, die wir essen”. Er weiß, dass der Begriff “achtsam” mittlerweile inflationär gebraucht wird, aber er beschreibt halt einfach am besten, sagt er, was gemeint ist. Da nimmt er es auch in Kauf, dass manche ihn vielleicht für etwas esoterisch halten. Er ist es gewöhnt, dass die Leute mit Unverständnis auf seine Ideen reagieren. Seine Augen funkeln belustigt, wenn er erzählt, wie verstört der eine oder andere Unternehmerkollege reagierte, als er vom Grund für den Verkauf der Herta-Fabriken erfuhr: “Die sagten: ,Der Schweisfurth hat doch einen Vogel, was hat denn Ethik in der Wirtschaft zu suchen?'”
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Bio-Lebensmittel waren für die Latzhosen-Fraktion
Biologisch erzeugte Lebensmittel: Damit verband man in den Achtzigerjahren die Lila-Latzhosen-Fraktion. Gesund halt, aber was für die Nische. Außerdem viel zu teuer, um jemals irgendeine Bedeutung zu erlangen. Und für so einen Kram hat dieser Schweisfurth, der langjährige Präsident der europäischen Fleischwarenindustrie, seine hochmodernen Herta-Werke, die er ja selbst nach dem Muster amerikanischer Mega-Schlachthöfe aufgebaut hatte, einfach weggegeben?
Karl Ludwig Schweisfurth sagt, er sei durchaus heute noch stolz auf seinen unternehmerischen Erfolg mit Herta. Aber er hat eben auch eine Entwicklung durchgemacht. Er bereue es keine Minute, die Firma verkauft zu haben, das nicht. “Hier ist es ja auch nicht ganz schlecht”, grinst er und zeigt aus dem Fenster. Draußen sieht man das Schloss Nymphenburg im Sonnenschein vor sich hinstrahlen. Die Schweisfurth-Stiftung hat ihren Sitz in einem ehemaligen Kavaliershaus am Schlossrondell. Schweisfurth hat es nach ökologischen Kriterien umbauen lassen, hier finden Veranstaltungen statt, an den Wänden hängt zum Teil recht wertvolle zeitgenössische Kunst, von Wolf Vostell etwa. Schweisfurth ist auch ein Liebhaber der Moderne.
Was auf den ersten Blick wirkt wie ein radikaler Bruch mit der Vergangenheit, ist in Wirklichkeit durchaus schlüssig und konsequent. Schweisfurth sagt, er glaube, dass sein Vater, der den Verkauf von Herta 1986 nicht mehr erlebt hatte, mit seiner Entscheidung einverstanden wäre: “Der Mensch stand für ihn noch im Mittelpunkt.”
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