Kriminelle Geschäfte im großen Stil

Vortrag

Die Organisierte Kriminalität mischt überall mit. Das wurde bei einem Forum des Rotary Clubs in Blaibach deutlich.

Von Dagmar Unrecht, MZ

Im Jahr 2014 habe es laut Bundeskriminalamt 571 Ermittlungsverfahren mit 8700 Verdächtigen aus dem Bereich der Organisierten Kriminalität in Deutschland gegeben. Foto: dpa

Blaibach.Gut 2000 Kilometer liegen zwischen dem kleinen Dorf Blaibach im Bayerischen Wald und dem sizilianischen Palermo. Doch am Samstag rückten beide Orte eng zusammen. Anlass war das Thema „Organisierte Kriminalität“. Der Rotary Club Cham unter der Leitung von Reinhard Höpfl hatte zu einem Diskussionsforum ins Konzerthaus in Blaibach geladen. Unter den Gastrednern war auch der langjährige Bürgermeister von Palermo, Leoluca Orlando. Rund 170 Besucher kamen, um zuzuhören.

Mit dabei waren als Vortragende auch Jürgen Storbeck, ehemaliger Präsident von Europol, Waldemar Kindler, Ex-Polizeipräsident von Bayern, und der Journalist und Geheimdienstexperte Wilhelm Dietl. Im Gedenken an die Opfer der Attentate von Paris begann die Veranstaltung mit einer Schweigeminute.

Dietl, ehemaliger Mitarbeiter des Bundesnachrichtendienstes (BND), erinnerte daran, dass Kriminalisten vor 30 Jahren noch ausgelacht worden seien, wenn sie sich zu sehr mit dem Thema Organisierte Kriminalität beschäftigten. „Es war die Welt der Visionäre, mit denen die Politik lange nicht Schritt halten konnte“, so der Geheimdienstexperte. Im Jahr 2014 habe es laut Bundeskriminalamt 571 Ermittlungsverfahren mit 8700 Verdächtigen aus dem Bereich der Organisierten Kriminalität in Deutschland gegeben, Schwerpunkte seien dabei vor allem der Drogenhandel und Wirtschaftsverbrechen.

Strikter Anti-Mafia-Kurs

Als Sizilianer beobachtet Leoluca Orlando die kriminellen Machenschaften der Organisierten Kriminalität seit Jahrzehnten. Orlando, der unter anderem in Heidelberg studiert hat und Jura-Professor ist, wurde als Politiker vor allem mit seinem strikten Anti-Mafia-Kurs bekannt – und machte sich damit viele Feinde. Dietl bezeichnete den Italiener in Blaibach als „seltenen Glücksfall der Politik“: Orlando lasse einen hoffen, dass am Ende alles gut werde. Menschlichkeit und Zivilcourage seien für ihn nicht nur leere Worte.

Orlando kam zu Beginn seines Vortrags, den er in Deutsch hielt, auf die Anschläge in Paris zu sprechen, wo seine Tochter mit ihrer Familie lebt. Von der Terrorgruppe Islamischer Staat (IS), die sich zu den verheerenden Attentaten bekannt hat, spannte Orlando den Bogen zur Organisierten Kriminalität: Die Mafia pervertiere die sizilianische Identität und ihre Werte – so zum Beispiel die Familie, den Glauben und die Freundschaft. „Der IS ist wie die Mafia: Er pervertiert die islamische Kultur und den Koran“, sagte Orlando. Die Organisierte Kriminalität sei weltweit aktiv, überall werde versucht, auf kriminelle Weise Geschäfte zu machen. Diese Entwicklung mache vor Bayern nicht Halt. Die Mafia arbeite auch hier daran, in deutsche Institutionen zu kommen.

Jürgen Storbeck, ehemaliger Präsident von Europol, ging in seiner Einschätzung noch einen Schritt weiter. „VW, die Fifa, die Deutsche Bank – das ist alles ist Mafia“, so Storbeck. „Wir arbeiten mit ihnen zusammen, wir sind ihre Kunden, also sind auch wir die Mafia“, spitze er zu. Daher stimme er Orlando zu, dass nicht nur Polizei, Justiz und Geheimdienste bei der Bekämpfung der Organisierten Kriminalität gefragt seien, vielmehr müsse „die Gesellschaft die Mafia bekämpfen“. Als Beispiel nannte er unter anderem die Baumafia, „die es natürlich hier in der Region nicht gibt“, wie er

augenzwinkernd hinzufügte und dafür einige Lacher erntete.

Vieles läuft über das Internet

Die Mafia hat nach Ansicht von Storbeck ihr Bild radikal geändert: Sie betreibe heute eine Vielzahl von Wirtschaftsunternehmen und arbeite mit modernsten Methoden. Mafia-Mitarbeiter würden erstklassig ausgebildet, studierten an den besten Universitäten der Welt, um schließlich möglichst großen Profit zu machen. „Die Mafia arbeitet heute im legalen Bereich und versorgt Kunden mit illegalen Dienstleistungen“, so Storbeck. In großen Wirtschaftsunternehmen bis hin zu kleinen Händlern, die gefälschte Zigaretten oder medizinische Produkte verkaufen, sei die Mafia präsent. Viele Geschäfte- „etwa ein Drittel bis zur Hälfte“- laufen nach Einschätzung von Storbeck inzwischen über das Internet. „Die soziale Toleranz gegenüber gefälschten und geschmuggelten Produkten, zum Beispiel Luxusartikel, ist dabei ein großes Problem“, so der Europol-Experte.

Seiner Ansicht nach verschmelzen Terrorismus und Organisierte Kriminalität immer mehr. Beide brauchten ähnliche Dienste wie zum Beispiel Schmuggler. Große Sorgen macht Storbeck „die Schwäche der Industrie und der Staaten, sich gegen den Einfluss der Organisierten Kriminalität zu wehren“. Düster war daher auch sein Blick in die Zukunft: Laut einer Europol-Studie würden sich die kriminellen Geschäfte künftig immer mehr ins Internet und auch in den Bereich Logistik verlagern. Die Fälschung von Gütern werde sich fortsetzen, so Storbeck. Überdies würden sich die Opfer ändern: Betroffen seien künftig besonders ältere Menschen, die sich in der virtuellen Welt nicht so auskennen.

„Die Mafia geht überall dorthin, wo Geld zu verdienen ist“, sagte Waldemar Kindler, ehemaliger Polizeipräsident in Bayern, in Blaibach. In Bayern lägen die Schwerpunkte der Organisierten Kriminalität derzeit im Bereich der Eigentumsdelikte – vor allem bei Kfz-Verschiebungen und Wohnungseinbrüchen – und bei den Drogendelikten. Als „katastrophal“ bezeichnete Kindler die Aufklärungsquote bei den Wohnungseinbrüchen, die in Bayern bei nur 15 Prozent liege. Die Zahl der Einbrüche habe sich in Bayern seit dem Jahr 2010 verdoppelt. Zwar werde bei der Polizei viel getan, aber wichtig seien seiner Ansicht nach auch juristische Werkzeuge. Als Beispiele nannte Kindler die Telefonüberwachung und die Vorratsdatenspeicherung. „Wie soll man in einer anonymisierten Gesellschaft ermitteln, wenn man keine Daten hat und zum Beispiel keine Handyverbindungen überwachen darf.“ Ein Architekt, der nur eine Wasserwage benutzen dürfe, könne schließlich auch auch keine vernünftigen Häuser bauen, sagte Kindler. „Die Mafia kann nur von der Gesellschaft bekämpft werden, aber auch die Polizei braucht die Unterstützung der Gesellschaft.“

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