Ist der BVB bereit für Bayern? Was wird entscheiden? Goal beantwortet vor dem German Clasico wichtige Fragen. Zwei Reporter – zwei Meinungen.
Ruhig ist es vor dem Bundesliga-Kracher. Fast verdächtig ruhig. In der jüngeren Vergangenheit flogen die Giftpfeile quer durch Deutschland. Vom Süden hoch in den Ruhrpott – oder zurück. Meist Wochen zuvor. Einzig Hans-Joachim Watzke, Geschäftsführer von Borussia Dortmund, meldete sich via Bild: “Wir sahen und sehen uns nicht als Bayern-Jäger.” Punkt. Kein böses Wort.
Aber: Wie ist die Stimmung wirklich? Mit welchen Erwartungen geht man in das Gigantentreffen? Ist der BVB bereit für Sternstunden wie 2011 und 2012? Wer avanciert zum Matchwinner? Im Vorfeld des German Clasicos am Sonntag (17.30 Uhr im LIVE-TICKER ) widmet sich Goal vier Fragen – mit zwei Korrespondenten und zwei Meinungen.
- Wie ist die Stimmung?
Christoph Köckeis: Sieben Spiele, 21 Punkte, 23:3 Tore – die Situation könnte für Bayern prächtiger nicht sein. Passend zur bierseligen Wiesn-Atmosphäre präsentierte man sich in Torlaune. Fünf Stück schenkte man Wolfsburg und Zagreb ein, drei den Mainzern. Dass Robert Lewandowski und Co. dem Laissez-faire verfallen, ist ausgeschlossen. Jeder Spieler, der Trainer und seine Entourage wissen die Resultate einzuordnen. Dortmund wird ein echter Prüfstein. Man wird sich dem Lieblingsfeind mit Demut, auch mit reichlich Selbstvertrauen stellen. Ob der FCB-Dominanz flaute zuletzt die Rivalität ab – zumindest in München.
Stefan Döring: Nach dem richtig starken Beginn war im Umfeld des BVB wieder Euphorie spürbar. Doch nach dem Unentschieden gegen die TSG Hoffenheim und vor allem dem dummen Punktverlust gegen Darmstadt wurde es auf den Rängen wieder unruhig. Die Fans wollen Bayern-Jäger sein. Im Team reagierte man aber entspannt, man wolle sich ohnehin “nur” einen Platz “unter den ersten vier Plätzen” sichern, so die Spieler. Druck ist vor dem Duell am Sonntag daher kaum vorhanden, auch wenn man den Rivalen sicherlich ärgern möchte.
- Was sind die Erwartungen?
Köckeis: Ich bemühe mal die Fakten: Dortmund strauchelte zuletzt. Der rote Bulldozer hingegen rollt unaufhaltsam, konnte sich in der Liga absetzen. Vier Punkte beträgt der Abstand. Mit einem Dreier würde man den BVB zumindest vorerst aus dem Weg räumen. Genau das ist das erklärte Ziel. Die jüngere Vergangenheit lehrte jedoch, dass sowohl Jürgen Klopp als auch Nachfolger Thomas Tuchel durchaus erkannt haben, wie der Pep’sche Code zu knacken ist. Man ist gewarnt. Allerdings in einer komfortablen Position.
Döring: Natürlich möchte jeder in Dortmund den Bayern ein Schnippchen schlagen. Doch man weiß um die Stärke der Münchner. Kapitän Mats Hummels fasste es am vergangenen Wochenende so zusammen: “In München hatten wir in den vergangenen Jahren viele geile Spiele. Wir haben einige gewonnen, andere verloren. Da gibt es keine eindeutige Tendenz. Es wird auf jeden Fall ein guter Kick.” Einen Punkt würde man sicher gerne mitnehmen wollen. Eine Niederlage wüssten die Spieler und das Trainerteam ebenso einzuordnen.
- Kann der BVB Bayern herausfordern?
Köckeis: Nein – obgleich das nicht zuträglich für die Spannung ist. Die Qualität des bayrischen Kaders wirkt für mich schlicht erdrückend. Jede Position wurde im Sommer doppelt besetzt. Klar, die BVB-Führungsetage hat im Rahmen der Möglichkeiten gut nachjustiert. Nur Kaliber á la Arturo Vidal oder Douglas Costa sind finanziell utopisch. Klar, Thomas Tuchel brachte neue Impulse. Nur das Konstrukt ist (noch) zu wackelig. In München hat man zudem mit Wohlwollen vernommen, dass Dortmund kurz vom geträumt hat, vom Titel, davon den übermächtigen Konkurrenten vom Thron zu stoßen. Für Bayern ist das eine Extra-Motivation.
Döring: Ja! Borussia Dortmund ist gut in Form. Das haben sie in dieser Saison unter Beweis gestellt. Trotz Unentschieden in der Bundesliga sind die Spieler gewillt, Gas zu geben. Dass Thomas Tuchel in der Europa League auf fünf Stammspieler verzichtete, dürfte kein Nachteil für das Match gegen den FC Bayern gewesen sein. Und es verdeutlicht, wie wichtig dem Trainer diese Partie ist. Langeweile dürfte kaum aufkommen, das bewiesen die Spiele in der Vergangenheit. Auf die Saison gesehen wird es für den BVB ebenfalls schwierig. Dass ist aber auch nicht der Anspruch. “Wir sind nicht dafür verantwortlich uns Gedanken um die Meisterschaft zu machen. Wir sind verantwortlich für unsere Leistung. Wir sind nicht angetreten, den Bayern 34 Spieltagen die Stirn zu bieten”, sagte Tuchel am Samstag.
- Wer / was wird entscheiden?
Köckeis: Ich erwarte ein Spiel taktisch höchster Güte, mit offenem Visier. Beide Trainer sind gewiefte Strategen. Sie lieben es, offensiv zu verteidigen, definieren sich mitunter über ansehnlichen Fußball. Und sie kennen sich. Während Tuchels Sabbatical trafen sie einander in München, philosophierten stundenlang über ihre Ansichten, über Gott und die Welt. So bleibt es eben den Individualisten vorbehalten, dem Spiel entscheidende Wendungen zu verpassen. Davon haben beide zahllose. Bayern aber ist in sich gefestigter. Speziell Douglas und Coman könnten Ginter und Schmelzer überfordern.
Döring: Nicht ganz vernachlässigen dürfen wir, dass der FC Bayern am Dienstag ein Heimspiel hatte und Borussia Dortmund am Donnerstag in Griechenland auflaufen musste. Da Tuchel aber aufgrund individueller Belastungssteuerung auf viele Stammspieler verzichtete, dürften die wichtigen Leute für Sonntag ausgeruht sein. Wichtig für den BVB wird es sein, Robert Lewandowski unter Kontrolle zu halten. In der Defensive haben die Schwarz-Gelben trotz guter Form immer wieder Probleme. Aber auf Tuchels Matchplan konnten sich das Team in der Regel verlassen. Dass Spieler wie Aubameyang und Mkhitaryan seit Wochen in überragender Form agieren, dürfte ein Vorteil sein.
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