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Durch die Alpen windet sich immer mehr Metall: Klettersteige boomen. So sehr, dass es sich staut am Berg – und Ungeübte sich überschätzen.
Schulter an Schulter stehen sie am Eingang der Nebelhornbahn auf der Mittelstation. Eine neonfarbene Funktionsjacke nach der anderen reiht sich in einer langen Schlange die Metalltreppe hinunter. Noch müde Augen lugen zwischen bunten Rucksäcken hindurch. Blicke aus der menschlichen Enge in die Weite der Natur: Die Morgensonne spielt auf den Bergrücken der Allgäuer Hochalpen, wandert über grüne Hänge und schroffe Felsen.
Die Gondel ist da. Gedränge und Gestolper. Den Arm am Nachbarn vorbeigezwängt und in die Plastikschlaufe an der Decke eingehängt. Schweiß, dicke Luft. Ein Sehnsuchtsblick durchs verkratze Fenster zum Ziel, dem Hindelanger Klettersteig: ein langer Gratweg, über ihm nur der Himmel, links und rechts die Tiefe. Schon jetzt in der Früh blitzen am Fels bereits ein paar Helme in der Sonne. Oben angekommen haben die meisten ihre Beine noch nicht in die zwei Fußschlaufen ihres Klettergurts gefädelt, da wirft die Gondel hinter ihnen schon die nächste Ladung aus.
Der Klettersteig-Boom ist ungebrochen. Das langweilige Wandern, zu dem Opa die Enkel noch an den Berg prügeln musste, war gestern. Jetzt sind die Berge wieder aufregend, spektakulär, eine Grenzerfahrung, auch für junge Leute attraktiv. An mit Leitern, Haken und Drahtseilen ausgestatteten Klettersteigen hangeln sie sich, gesichert mit zwei Karabinern, in schwindelige Höhen hinauf. An einem Spitzentag gehen etwa 100 Klettersteigler allein den Hindelanger.
Ideal “für Einsteiger” – und um sich zu überschätzen
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In nur vier Jahren zwischen 2008 und 2012 wurden in den bayerischen Alpen 15 neue Klettersteige in den Berg gehauen, in Österreich waren es sogar 73. Der Hindelanger im Allgäu ist besonders beliebt. Die Gondel fährt direkt zum Einstieg, es gibt zwei Notabstiege für diejenigen, die keine sechs Stunden laufen wollen oder denen die Tiefe dann doch zu tief ist. Ideal für “Einsteiger” wie es im Flyer der Bergbahn heißt. Auch ideal, um sich zu überschätzen, sich gar gehörig wehzutun. Aber dazu später. Jetzt erst mal zurück in die schöne Bergwelt.
Schwarze Dohlen segeln um die Felsspitzen, am Horizont erscheint ein Gipfel prächtiger als der andere, von unten glitzert der grüne Bergsee. Das kann man alles wunderbar beobachten, denn hoch oben auf dem Hindelanger herrscht: Stau. Auf dem Gratweg, nicht breiter als ein halber Meter, steht ein Bergschuhpaar hinter dem anderen, etwa zwölf Männer und Frauen blicken unter ihren Helmen hervor, ob da jetzt mal was weiter geht. Vor ihnen mühen sich zwei an einer kniffeligen Stelle ab. “Ich hätt’ gern einen Eisstand hier”, sagt ein Junge in der Schlange. “Oder ein Weißbier”, ergänzt sein Vordermann in lila Holzfällerhemd.
Wartezimmerstimmung auf 2000 Metern Höhe. Man kommt ins Plaudern. Als erstes in der Schlange stehen Andi und Tobi aus der Nähe von Duisburg. Nach ihrer Ausrüstung zu urteilen: Vollprofis. Zugegeben – es zeichnet sich ein leichter Bierbauch ab. Dafür steckt der im Hightech-Super-Shirt und an den Füßen prangen Schuhe, geeignet für eine Gletscherüberquerung. Ob Andi die schon gemacht hat? Auf dem Klettersteig ist er jedenfalls zum ersten Mal, in den Bergen vielleicht einmal im Jahr. Ein bisschen Höhenangst hat er außerdem. Ob sie sich die Strecke auch ohne Sicherung zutrauen würden? Entsetztes Kopfschütteln. So reagieren fast alle in der Gruppe. Ohne das Ratschen der Karabiner, wenn sie an den Seilen entlangschleifen, ohne ihr beruhigendes Klicken beim Umhängen würde hier wohl keiner stehen. Es ist ihre Ausrüstung, die ihnen Sicherheit gibt, weniger ihre Erfahrung.
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