2011 ein moralloser Wortbrecher, nun 35 Millionen Euro wert: Bayern angelt sich Vidal. Goals Juve-Reporter spricht über den Krieger, den Exzentriker Trainer-Liebling.
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“Vidal verarscht Bayern“, titelte die Bild . Kurz zuvor hatte Arturo Vidal, begehrtes Mittelfeld-Ass, bei Juventus Turin unterschrieben. Es war die Sommerposse 2011, an deren Ende die Münchner Führungsriege tobte. “Hätte der Spieler zu seinem Wort gestanden und Charakter gezeigt wie Neuer oder Boateng, wäre er ein Mann mit Moral, wäre er bei uns”, empörte sich Karl-Heinz Rummenigge. Einen wie Vidal wolle er gar nicht im roten Trikot sehen.
Vier Jahre ist das her. Vier Mal pushte der Chilene seither Juve zum Scudetto, der italienischen Meisterschaft, und sein Land zur Copa America. Nun überweist ausgerechnet der FCB rund 35 Millionen Euro, bindet ihn bis 2019. Eine Ironie des Schicksals? “Michael Reschke (zuvor Leverkusen, Anm.:) hat mir die ganze Wahrheit über 2011 erzählt”, so Rummenigge. Nämlich, dass Leverkusen, Vidals damaliger Arbeitgeber, einen Wechsel verhindert habe.
Am Dienstag schwärmte er bei der Vertragsunterzeichnung: “Ich wollte einen weiteren großen Schritt in meiner Karriere machen.” Den Triple-Traum möchte er sich erfüllen. Was aber erwartet Bayern: Traumfußball oder eher Disko-Schlägerei? Im Interview gibt Romeo Agresti, Juventus-Korrespondent bei Goal Italien , Einblicke.
Romeo, für Vidal gibt es viele, teils martialische Spitznamen: Krieger, König Arturo, Bad Boy – welcher ist der treffendste?
Romeo Agresti: Krieger. Gianluigi Buffon brachte es vor Wochen auf den Punkt. Er sagte: “Wenn ich in einen Krieg ziehen müsste, würde ich Arturo mitnehmen.” Genau das offenbart, wofür Vidal steht: Er kann Fußball nicht nur zaubern, er kann ihn arbeiten. Für seine Kollegen opfert er sich auf, deshalb war er in Mannschaftskreisen ein Sympathieträger.
Auf dem Feld ist er ein Genie, abseits eher Wahnsinn. Wie hast Du Vidal während seiner Zeit bei Juve miterlebt?
Agresti: Wir alle wissen genau: Der Mensch Arturo Vidal hat mit dem Kicker nichts zu tun. Das ist ein riesiger Unterschied. Eines sollte man ihm trotzdem zugutehalten: Vidal ist ein Charakterkopf, genau solche braucht es im Fußball. Natürlich hat er abseits des Platzes unrühmlich auf sich aufmerksam gemacht – zuletzt etwa mit seiner Alkohol-Fahrt während der Copa America in Chile. Sobald er die Schuhe schnürt, ist er jedoch unwiderstehlich gut.
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SAMMER SCHWÄRMT VON VIDAL
Was hat Dich als Journalist beeindruckt?
Agresti: Dass er gar nicht hochnäsig ist. Unabhängig von seinen Eskapaden trat er uns Journalisten in Italien stets professionell gegenüber. Die meisten Zeitungen waren ihm vermutlich auch deshalb positiv gesinnt, weil er sich nicht versteckte und mit viel Herzblut auftrat. Das hinterlässt Eindruck …
Im Oktober vergangenen Jahres prügelte sich Vidal in einem Club und kam zu spät zum Training. Er musste 100.000 Euro berappen …
Agresti: Ja, das ist einmal passiert und er hatte Juventus darüber informiert. Er weiß, was er als Profi zu tun hat. Leider geht mit ihm manchmal das Temperament durch. Meines Erachtens ist das keine große Sache. In Italien sehen wir vielleicht einen nächtlichen Ausflug lockerer. In München, beim FC Bayern, könnte das ein Problem werden. Vidal, glaube ich, kennt allerdings die deutschen Medien aus seiner Zeit in Leverkusen und wird erfolgreich sein.
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Es war zu lesen, Juve wollte ihn ob privater Negativ-Schlagenzeilen loswerden …
Agresti: Natürlich waren die Fehltritte ein Grund, warum der Verein letztlich bereitwillig dem Transfer zugestimmt hat, obwohl eine der wichtigsten Stützen verloren geht. Man wollte ihn aber sicher nicht loswerden. Einer wie er ist sehr schwer zu finden. Entscheidend für das “Ja” war, dass Vidal um die Freigabe gebeten hatte. Er wollte zu Bayern, deshalb hat ihn Juventus verkauft.
Wie sehr schmerzt der Abgang sportlich?
Agresti: Die Lücke, die er reißt, ist enorm. Er konnte letzte Saison eindrucksvoll zeigen, wie wertvoll er ist: als Antreiber, als Taktgeber, als Abräumer. In vier Jahre führte er das Team vier Mal zum Scudetto, mit herausragenden Leistungen ins Champions-League-Finale und holte zuletzt das Double. Bayern wird mit ihm große Freude haben, wenngleich er ein anderer Spielertyp wie Schweinsteiger ist. Er wird Pep Guardiola gefallen. Für mich ist er der weltbeste Box-to-Box-Player – dazu verfügt er über unheimliche Abgebrühtheit.
Juventus-Korrespondent bei Goal Italien: Romeo Agresti (Folgt Ihm bei Twitter )
Guardiola hatte mit schwierigen Persönlichkeiten wie Zlatan Ibrahimovic so seine Probleme. Könnt es bei Vidal ähnlich sein?
Agresti: Nein, da sollte es keine Spannungen geben. Vidal ist einer, der den Fußball in allen Facetten beherrscht – kämpferisch und technisch. Nicht umsonst genoss er unter Antonio Conte und später Massimiliano Allegri höchstes Ansehen. Sie vertrauten ihm blind. Guardiola hält ebenfalls viel von ihm, nicht zuletzt deshalb hat sich Vidal für Bayern entschieden. Er ist ein Teamplayer.
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37 Millionen lassen ihn sich die Münchner kosten. Warum hat Juventus nicht mehr rausgeholt?
Agresti: Man kann nicht sagen, dass er ein Schnäppchen ist. Ich würde sagen, er ist preiswert für Bayern. Solche Akteure sind auf dem Markt rar gesät, daher hätte er wesentlich teurer über den Ladentisch gehen können, wenn man die Ablösesummen heranzieht, die zuletzt bezahlt wurden, und die Nachfrage. Wir sollten trotzdem nie vergessen: Vidal hat um die Freigabe gebeten, das veränderte die Situation erheblich.
Wie reagiert die Chefetage in Turin jetzt?
Agresti: Das ist fraglich. Ich persönlich bin ein Fan von Julian Draxler. Wie wir berichtet hatten, standen die Chancen auf einen Kauf Draxlers wesentlich besser als bei Götze. Er sollte 35 Millionen Euro kosten. Juve ist aber nicht bereit, das zu bezahlen. Und deshalb erklärte Horst Heldt die Verhandlungen für beendet. Es wird jedenfalls einer gesucht, der Kreativität, Dynamik und Unberechenbarkeit mitbringt. Das ist das schwer zu finden.