06.09.13, 09:04
DFB
Der besessene Musterprofi: Gegen Österreich läuft Kapitän Philipp Lahm zum 100. Mal für die deutsche Fußball-Nationalmannschaft auf. Auch ein ehemaliger HSV-Profi lobhudelt.
Foto: pa/dpa/PAP

In seinen bisherigen 99 Länderspielen konnte Philipp Lahm als Torjäger nur selten glänzen. Gerade mal fünf Länderspieltore hat der Münchner bislang erzielt
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München. In der heutigen Zeit gilt es noch immer als ein wenig ungewöhnlich, wenn ein Mann Blumen bekommt. Noch ungewöhnlicher ist es wahrscheinlich nur, wenn gleich zwei Männer Blumen bekommen. Und am ungewöhnlichsten, um die Steigerung bereits an dieser Stelle auf die Spitze zu treiben, ist es wohl, wenn mit DFB-Kapitän Philipp Lahm und dessen Vorgänger Michael Ballack ausgerechnet die beiden Männer bei ein und derselben Veranstaltung Blumen bekommen, die sich noch vor gar nicht allzu langer Zeit spinnefeind waren.
Bevor beim WM-Qualifikationsspiel zwischen Deutschland und Österreich in München an diesem Freitagabend (20.45 Uhr/ZDF) der Ball rollt, wird also “Capitano” Ballack für die Vergangenheit und dessen Nachfolger Lahm als Jubilar für die Gegenwart und die Zukunft geehrt. Zum 100. Mal wird der Bayer wenige Minuten danach für die deutsche Nationalmannschaft auf dem Platz stehen. Ein Jubiläum, das vor Lahm gerade mal zehn Deutschen gelungen ist – und Ballack, dies ist nur eine Fußnote dieser Geschichte, gehört mit 98 Länderspielen nicht dazu.
“Natürlich ist es etwas Schönes, sein 100. Länderspiel direkt vor der Haustür zu machen”, sagt der gebürtige Münchner aus dem Stadtteil Gern, der bei der Frage-und-Antwort-Runde am Tag vor seinem Jubiläumsspiel so richtig Spaß zu haben scheint. Der sonst immer so ernste Lahm lacht, kichert und albert herum, wie er es möglicherweise nicht mehr seit seinem ersten Länderspiel vor neun Jahren am 19. Februar 2004 gegen Kroatien in Split getan hat. Bundestrainer war Rudi Völler, in der Abwehr spielten Christian Wörns und Jens Nowotny – und wie bei allen folgenden Länderspielen durfte der damals 20-jährige Lahm auch bei seinem ersten DFB-Einsatz von Anfang an auflaufen: “Für mich war das etwas Besonderes, da ich ja sieben Monate zuvor noch Amateurspieler war.”
Überhaupt nicht als besonders, vielmehr als vorhersehbar empfand Roman Grill die Länderspielkarriere Lahms. Der Agent, der Lahm als U19-Spieler bei den Bayern trainierte und ihn seit seinen 17. Lebensjahr berät, betont im Gespräch mit dem Abendblatt, dass das Talent seines Schützlings bereits in jungen Jahren außergewöhnlich gewesen sei: “Philipp überzeugte schon als Jugendspieler mit einer ungewöhnlich großen Spielintelligenz, er konnte Spielzüge vorausahnen”, lobt Grill. An die Anekdote von Bayerns damaligem Amateurtrainer Hermann Gerland, der vor wenigen Wochen im ZDF-“Sportstudio” behauptet hatte, dass er den jungen Lahm in der Bundesliga wie Sauerbier anbieten musste, ehe der VfB Stuttgart den Münchner für zwei Jahre auslieh, kann sich Grill jedenfalls nicht erinnern. “Philipp war seiner Zeit um fünf bis zehn Jahre voraus. Er erinnerte bereits als Jungprofi in seiner Spielweise an die heutigen Superstars Iniesta und Xavi, aber er ist noch vielseitiger”, lobhudelt Grill, der seit damals neben Lahm auch den früheren Hamburger Piotr Trochowski berät.
Trochowski: Noch nie ein schlechtes Spiel gesehen
Trochowski, der mittlerweile beim FC Sevilla unter Vertrag steht, spielte in der U17, in der U19 und bei den BayernAmateuren mit Lahm zusammen. “Mich hat seine mentale Stärke beeindruckt. Er hat die Gabe, vieles ausblenden zu können”, sagt Trochowski und ergänzt: “Philipp spielt nicht in jedem Spiel Weltklasse, aber ich habe noch nie eine schlechte Partie von ihm gesehen.”
Tatsächlich kann man noch mit unzähligen weiteren Weggefährten, Mannschafskollegen oder Trainern über die Karriere Lahms sprechen, ein Haar in der Suppe lässt sich einfach nicht finden. Das eindrucksvollste Kompliment ließ sich gerade erst Bayerntrainer Pep Guardiola entlocken, der sich nach dem Supercup-Sieg über Chelsea zu einer regelrechten Liebeserklärung hinreißen ließ: “Philipp ist für mich der intelligenteste Spieler, den ich je trainiert habe. Ich bin froh, hier zu sein, nur weil ich ihn trainieren darf. Auch wenn ich viele wunderbare Spieler habe – Lahm ist auf einem besonderen Niveau.” Guardiola ist der Überzeugung, dass eher kleine Spieler die wahren Riesen im Weltfußball sind. Messi ist 1,69 Meter, Lahm 1,70 Meter groß.
Ein echter Makel lässt sich bei Lahm also nicht finden – und vielleicht ist genau das der Makel. Der 29-Jährige ist ein Musterprofi, ein Besessener, ein Topathlet, kurzum: Lahm gilt als der perfekte Fußballer. Ein Fußballer aber ohne Ecken und Kanten. In 285 Bundesligaspielen und 99 Länderspielen ist Lahm kein einziges Mal vom Platz geflogen, noch nicht einmal Gelb-Rot hat der Alleskönner gesehen. Seine Interviews lesen sich häufig wie die Gespräche mit Politikern, die “Welt” nannte ihn unlängst den “Merkel des deutschen Fußballs”. Öffentlich ist Lahm stets bemüht, niemandem auf den Schlips zu treten, es irgendwie allen recht zu machen.
Dass der nette Herr Lahm aber auch anders kann, zeigte er während der WM 2010 in Südafrika. Dort sagte der damalige Vertreter des verletzten Michael Ballack in einer Presserunde, er würde auch gern nach der WM Kapitän der deutschen Mannschaft bleiben. Als die aufgeschreckte Presseabteilung des DFB, die sich der Bedeutung dieser Aussage natürlich bewusst war, die Passage bei der Autorisierung “glätten” wollte, soll Lahm interveniert haben. Ballack schäumte, Lahm aber blieb Kapitän. Bis heute. Somit ist kurioserweise einer der wenigen Spieler, mit dem Lahm in seiner langen Karriere aneinandergeriet, ausgerechnet derjenige, mit dem er vor dem Österreichspiel am Abend ausgezeichnet wird. “Wir werden uns nicht bekriegen”, versichert Lahm, der vor seinem 100. Auftritt artig auch ein paar verbale Blumen an seinen Vorgänger überreicht: “Michael Ballack hat sich diese Auszeichnung verdient. Er ist ein verdienter Nationalspieler.” Ein Hunderter ist er aber nicht.
1. Lothar Matthäus: 150 Länderspiele von Juni 1980 und Juni 2000
2. Miroslav Klose: 128 Länderspiele seit März 2001
3. Lukas Podolski: 111 Länderspiele seit Juni 2004
4. Jürgen Klinsmann: 108 Länderspiele von Dezember 1987 und Juli 1998
5. Jürgen Kohler: 105 Länderspiele von September 1986 bis Juli 1998
6. Franz Beckenbauer: 103 Länderspiele von September 1965 bis Februar 1977
7. Joachim Streich: 102 Länderspiele (DDR-Auswahl) von Dezember 1969 bis Oktober 1984
8. Thomas Häßler: 101 Länderspiele von August 1988 bis Juni 2000
9. Hans-Jürgen Dörner: 100 Länderspiele (DDR-Auswahl) von Juni 1969 bis Mai 1985
9. Ulf Kirsten: 100 Länderspiele (49 Länderspiele für den DFB, 51 für die DDR-Auswahl) von von Mai 1985 bis Juni 2000
11. Philipp Lahm: 99 Länderspiele seit Februar 2004
12. Michael Ballack: 98 Länderspiele von April 1999 bis März 2010
12. Bastian Schweinsteiger: 98 Länderspiele seit Juni 2004
14. Berti Vogts: 96 Länderspiele von Mai 1967 bis Juni 1978
15. Sepp Maier: 95 Länderspiele von Mai 1966 bis Mai 1979
15. Karl-Heinz Rummenigge: 95 Länderspiele von Oktober 1976 bis Juni 1986