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Hubert Weinzierl kämpft seit den Fünfzigerjahren für die Umwelt. Mit nun 80 Jahren denkt er, dass im klassischen Naturschutz nichts erreicht wurde und der Mensch zu borniert sei, um beim Klimaschutz eine Umkehr zu schaffen. Und doch glaubt er noch an eine Chance für die Natur
Hubert Weinzierl, der an diesem Donnerstag seinen 80. Geburtstag feiert, ist der Nestor der deutschen Ökologiebewegung. Seit den Fünfzigerjahren engagiert sich der studierte Forstwirt für den Naturschutz. Sein größter Verdienst ist die Umformung der einst betulichen Naturschutzverbände in schlagkräftige politische Organisationen. Auch die Gründung des ersten deutschen Nationalparks, des Nationalparks Bayerischer Wald, wäre 1969 ohne ihn nicht möglich gewesen. Weinzierl, der vor vier Jahren erblindet ist, lebt mit seiner Frau Beate in Wiesenfelden im Bayerischen Wald.
SZ: Beim aktuellen Welt-Klima-Gipfel in Paris hoffen alle auf den Durchbruch beim Klimaschutz. Zugleich ist klar, dass eine Begrenzung der globalen Erwärmung auf zwei Grad nicht mehr erreichbar ist. Was sagen Sie dazu?
Hubert Weinzierl: Das bedrückt mich sehr. Zumal die Zusammenhänge und Warnungen seit Jahrzehnten bekannt sind. 1972 gab es die UN-Konferenz in Stockholm über die Umwelt des Menschen, 1992 den Nachhaltigkeitsgipfel in Rio, 1997 den ersten Klima-Gipfel in Kyoto, 2002 folgte Johannesburg. Seit damals konnten alle wissen, was uns erwartet, wenn wir weiter solchen Raubbau an der Natur betreiben.
Wie gehen Sie damit in Ihrem Alltag um?
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Es macht mich traurig. Inzwischen denke ich manchmal, die Menschheit ist einfach zu borniert dafür, dass sie die Umkehr schafft. Aber selbst wenn es so ist, werde ich mich damit nicht abfinden. Ich bin ein pathologischer Optimist. Ich hoffe immer noch, dass wir der Natur eine Chance geben. Ich bin zerrissen.
Aber Ihr pathologischer Optimismus gewinnt immer noch die Oberhand?
Bis jetzt schon. Wobei ich oft an meine Grenzen komme. Ich bin vor vier Jahren erblindet. Dadurch sehe ich all das, was passiert, nicht mehr – was ja auch sein Gutes hat. Aber wenn ich jedes Frühjahr weniger Vogelstimmen höre, wenn ich plötzlich an einem Dorfrand, wo früher Wiesen waren, in einem Baugebiet stehe, wenn an einer schmalen Straße eine Riesenkreuzung entsteht, dann bricht es über mich herein. Ich bin in großer Sorge um unsere Zukunft, in Bayern und auf der ganzen Welt, denn der Raubbau passiert ja weltweit.
Dabei weiß ein jeder, wie dramatisch die Lage ist. Warum kann die Menschheit dennoch nicht umsteuern?
Das ist die zentrale Frage, die ich mir stelle, gerade jetzt, wo ich 80 Jahre alt werde und immer öfter Bilanz ziehe. Früher habe ich immer gesagt, die Menschheit hat es noch nicht verstanden, die Leute wissen nicht, was sie tun. In den Sechzigerjahren, da war es ja noch Konsens, dass Naturschutz ein Schmarrn ist, den es nicht braucht.
Das würde sich heute keiner mehr zu sagen trauen.
Nein, schon lange nicht mehr, die Menschheit weiß genau, was sie tut. Ein jeder sagt, wir brauchen die Natur, wir brauchen die Vögel und die Blumenwiesen. Aber wenn dann eine Straße gebaut werden soll, ist die Mehrheit dafür. Die Politiker genauso wie die sogenannten einfachen Menschen.
Aber es gibt auch Erfolge.
Sicher. Unser wohl größter ist der Ausstieg aus der Atomkraft. Die Energiewende war überfällig, sie ist ein Muss. Wir dürfen jetzt nur nicht den Fehler machen, dass wir ihr jetzt all die Naturräume opfern, für deren Erhalt wir die Jahrzehnte vor ihr gekämpft haben, indem wir zum Beispiel jetzt alles mit Windrädern zupflastern. Aber auch vor der Energiewende hatten wir Erfolge. In den Fünfzigerjahren, als ich angefangen habe im Naturschutz, war der Müll ein Riesenthema. Da gab es 50 000 wilde Abfalldeponien, keiner wusste, was aus ihnen werden soll. Oder die Flüsse, Bäche und Seen, sie waren alle zwei oder drei Güteklassen schlechter als heute. Das haben wir gut hingekriegt.
Warum hadern Sie dann so mit sich und dem Naturschutz?
Weil wir im klassischen Naturschutz nichts erreicht haben, überhaupt nichts.
Klassischer Naturschutz?
Der Erhalt unserer Tier- und Pflanzenwelt. Immer mehr Arten, in Bayern wie weltweit, wird der Lebensraum genommen, der Druck auf sie wird immer stärker, die Roten Listen werden immer länger. Die Menschheit lässt ihren Mitgeschöpfen keinen Platz mehr zum Leben. Der eine Grund ist der immense Flächenverbrauch für Siedlungen und Infrastruktur. Der andere ist die moderne Landwirtschaft mit ihren gigantischen Strukturen und ihrem immensen Einsatz von Chemie. Wir leisten uns weltweit eine Landwirtschaft, die nur einige paar Kulturpflanzen und Nutztiere im Blick hat. Alles andere ist ihr egal. Die moderne Landwirtschaft ist der größte Feind der Natur und der Artenvielfalt.
Das ist doch das immer gleiche Lamento der Naturschützer.
Nein, das ist es nicht. Das ist eine Tatsache. Wir können uns dabei auf viele Tausend Daten berufen, das ist alles erhoben und dokumentiert. Und zwar nicht von uns Naturschützern, sondern von Regierungen, Behörden und anderen Fachstellen. Das ist sozusagen amtlich.
Aber auch im klassischen Naturschutz gibt es Erfolge. Die Wiederansiedlung des Bibers, der Störche. Und zwischen Straubing und Vilshofen bleibt die frei fließende Donau erhalten, der Freistaat verzichtet auf ihren Ausbau für die Schifffahrt.
Das sind alles wichtige Einzelerfolge von starker symbolischer Bedeutung. Aber in der Summe reichen sie nicht aus, um die ungeheuren Verluste an Landschaft, an Tier- und Pflanzenarten auszugleichen. Zumal es immer öfter um Allerweltsarten geht. Was ist mit den Lerchen, den Kuckucken? Ich höre von Jahr zu Jahr immer weniger Lerchen singen, immer weniger Kuckucke rufen.
Es ist noch nicht lange her, da haben Sie erwartet, dass die Menschheit ihren Umgang mit der Natur ändern wird, wenn nur ausreichend viele Leute den Raubbau an ihr begreifen.
Es ist überfällig, dass wir den Schritt von der Erkenntnis zur Tat tun. Dass wir den Schritt zu Lebensstilen und Wirtschaftsweisen schaffen, die unsere Lebensgrundlagen nicht weiter zerstören, sondern erhalten. Dieser Schritt ist bis jetzt nicht gelungen. Und anders als früher werde ich skeptischer, ob er uns gelingt. Es gibt so viele, die beklagen die Verluste, manche treten einem Umweltverband bei, andere spenden, aber dann hat es sich. Offenbar ist der Leidensdruck immer noch nicht groß genug.
Was könnte den Umstieg befördern?
Ich setze immer noch auf Einsicht. Ich hoffe immer noch darauf, dass immer mehr Menschen erkennen: Wir dürfen die Natur nicht länger zerstören, denn sie ist unsere Lebensgrundlage. Der Weg dahin könnte über mehr Umweltbildung gehen. Die Menschen, gleich ob Kinder oder Erwachsene, müssen wieder lernen, was Natur ist und welchen Wert sie hat. Nicht den Wert des Baumstamms für das Sägewerk. Sondern den Wert der Blumenwiese für unser Empfinden, unsere Gefühle, unsere Gesundheit. Naturschutz hat nicht nur mit Einsicht zu tun, sondern mit Liebe, Liebe zu unseren Mitgeschöpfen.
Und wenn Einsicht und Liebe ausbleiben?
Dann wird der Schritt unter Druck passieren. Schon jetzt geraten wir durch unseren Raubbau in immer stärkere finanzielle Zwänge. Der Zeitpunkt wird kommen, dass wir den Raubbau mit Geld nicht mehr kompensieren können. Spätestens dann werden wir unser Handeln entscheidend ändern müssen.
Herr Weinzierl, gibt es eigentlich etwas, auf das Sie sich freuen?
Aber natürlich. Auf den nächsten Frühling, wenn ich zum ersten Mal wieder eine Amsel singen höre.