André Schubert war auch eine Stunde nach dem Abpfiff erfüllt von der süßen Energie, die so ein ganz großer Coup freisetzen kann. Der Körper des Mönchengladbacher Trainers wippte rastlos auf und ab, die Stirn kräuselte sich, und die Hände leisteten Schwerstarbeit. Bei den Erläuterungen zum erstaunlichen 3:1-Sieg gegen Bayern München. Schubert wirkte, als würde er am liebsten mit den vielen tausend Leuten draußen umher springen und den herrlichen Rausch der kleinen Sensation auskosten. Aber jetzt war erstmal seine Fachanalyse gefragt. Denn nach diesem Spiel war kein überragender Spieler der gefeierte Held und auch nicht der entscheidende Siegtorschütze. Der Star des Nachmittags war eindeutig der 44-jährige Mönchengladbacher Fußballllehrer.
Denn diese erste Saisonniederlage der Münchner war ziemlich eindeutig das Resultat einer guten Traineridee. „Wir beschäftigen uns schon eine ganze Zeit lang mit anderen Systemen, haben immer gesagt, dass wir ein bisschen flexibler werden wollen, nicht so systemabhängig“, sagte Schubert, der die Borussia in einem in Deutschland recht unüblichen 3-5-2-System hatte spielen lassen. In Duellen mit den Bayern probieren ja viele Trainer irgendwelche Innovationen aus, Woche für Woche sucht ein Anderer nach wirksamen Mitteln gegen den ultravariablen Fußball des Rekordmeisters. Zuletzt hatten viele versucht, die Münchner Ballzirkulationen mit einer Fünferkette zu bremsen, Schubert ist mit seiner Dreierkette nun ein echter Coup gelungen, bei dessen strategischer Vorbereitung sich auch die Spieler unter der Woche intensiv einbringen konnten.
Räume eng gemacht
Veredelt wurde das kluge System mit einer extrem mutigen Verteidigungsstrategie. Die endlosen Passstafetten wurden oft schon in der Münchner Hälfte durch Zustellen der Anspielstationen unterbunden. „Ich glaube, wir waren die erste Mannschaft, die hinten zu dritt gegen Bayern gespielt hat, und mit einem Fünfermittelfeld haben wir die Räume eng gemacht“, sagte Kapitän Granit Xhaka. „Wir haben auf dem ganzen Platz Eins gegen Eins gespielt, dadurch mussten die Bayern lange Pässe schlagen.“ Zwar gab es in der ersten Hälfte eine Phase, in der die Münchner trotz der mutigen Gladbacher ihre gewohnte Dominanz entwickelten, zwischen der 19. und der 25 Minute hatten sie fünf richtig gute Chancen. Aber in der zweiten Halbzeit war die Borussia ebenbürtig und nach dem Führungstor sogar eindeutig besser. Schubert sprach von einer „Sensationsleistung“, und berichtete, dass er die Arbeit des nun geschlagenen Kollegen Pep Guardiola sehr inspirierend finde. Der Spanier ein paar Meter weiter, starrte zerknirscht ins Leere.
Damit haben Javier Martínez (li.) und Thomas Müller wohl nicht gerechnet: Gladbach fügt dem FC Bayern die erste Saisonniederlage zu.
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Die Bayern wirkten erstaunlich angeschlagen angesichts der missglückten zweiten Halbzeit. „Wir haben nach dem ersten Tor die Kontrolle verloren“, sagte Guardiola, weil sein Team nach Oscar Wendts 1:0 (54.) eine Phase der Orientierungslosigkeit erlebt hatte, wie es sie beim FC Bayern nur selten gibt. Lars Stindl (66.) und Fabian Johnson (68.) versetzten das Stadion dann endgültig in Ekstase, Manuel Neuer war entsetzt, „Wir dürfen ein Tor kassieren, aber wir dürfen dann nicht die Fassung verlieren“, sagte der Torhüter, und in der Tat ist die Panik, die plötzlich zu sehen war, nur schwer verständlich.
Phasen des Kontrollverlustes
Der Vorsprung in der Tabelle bleibt komfortabel, aber vielleicht zeigte sich hier eine Schattenseite des geradezu fanatischen Erfolgshungers, der die Bayern zu ihren vielen brillanten Spielen treibt. Philipp Lahm sah eine mögliche Erklärung für das innere Chaos in der Tatsache, dass sein Team „nicht gewohnt“ sei, „in Rückstand zu geraten. Und Guardiola fühlte sich an das 1:4 in Wolfsburg zum Rückrundenauftakt der Vorsaison erinnert, wo nach einem frühen Gegentor ebenfalls alle Ordnung verloren ging.
Solche Phasen des Kontrollverlustes nach Gegentreffern sind eine der wenigen Schwächen des FC Bayern unter Guardiola. Im Champions League-Halbfinale gegen Real Madrid 2014 ließen sie beim 4:0 im Heimspiel innerhalb von 18 Minuten drei Gegentore zu, in Barcelona 2015 waren es drei Treffer innerhalb von 13 Minuten, nun war Mönchengladbach innerhalb von 14 Minuten dreimal erfolgreich. Tröstlich war alleine, dass Franck Ribéry sich nach einer neunmonatigen Verletzungspause mit einem Tor zum 3:1 zurückmeldete (81.).
Diese Niederlage zeige, „dass die Mannschaft von diesem Planeten ist“, sagte Matthias Sammer noch, der Sportdirektor schien fast froh, dass er endlich ein vorzeigbares Indiz für diese These hat. Und die anderen 16 Bundesligisten können froh sein, dass mit Schubert ein Trainer eine Strategie geliefert hat, mit der man diesen Bayern tatsächlich weh tun kann.