Keiner der nicht selbst depressiv ist oder war, kann nachvollziehen, wie es sich anfühlt, wenn plötzlich die Welt um einen herum enger wird, die Farbe verliert, den Geschmack, den Geruch und die Lust. Auch nicht Ärzte und Betreuer, die einem im besten Fall zur Seite stehen – egal wie gut ausgebildet und erfahren sie sind. Das gilt auch für andere psychische Probleme. Deshalb arbeiten manche Einrichtungen inzwischen mit sogenannten Genesungsbegleitern zusammen: Menschen, die selbst depressiv waren oder andere Psychiatrieerfahrung haben, und die anderen helfen, ihre Krankheit zu überwinden.
Hoffnungsträger für andere und sich selbst
Genesungsbegleiter verstehen psychische Krisen oft besser als das Fachpersonal, weil sie sie von sich selbst kennen, gleichzeitig können sie für andere Betroffene Vorbilder und Hoffnungsträger sein, denn schließlich haben sie es „auch geschafft“. Andererseits hilft die Arbeit auch den Genesungsbegleitern selbst, sich wieder einen Alltag aufzubauen, eine Beschäftigung zu finden und die eigene Krankheit langfristig zu überwinden.
Arbeit macht uns krank und gesund
Ins einem Buch “Arbeit – warum unser Glück von ihr abhängt und wie sie uns krank macht” ergründet der Autor Joachim Bauer das Wesen der Arbeit.
Denn Arbeit hat immer ein Doppelgesicht, wie der Neurobiologe und Mediziner Joachim Bauer beschreibt: Aus ihr schöpfen wir Befriedigung, Kreativität und Wohlstand, aber sie kann uns auch krank machen. Wenn Arbeit fehlt weil man keine findet oder weil man wegen einer Erkrankung nicht mehr arbeiten kann, fehlt uns eine grundlegende Möglichkeit an der Gesellschaft teilzuhaben. In seinem Buch „Arbeit – warum unser Glück von ihr abhängt und wie sie uns krank macht“, fasst Joachim Bauer das Potential der Arbeit in einem Satz zusammen: Indem wir arbeiten, begegnen wir der Welt:
“Ohne Arbeit können wir nicht leben. Nicht nur deshalb, weil wir uns selbst erhalten, unser Auskommen verdienen und die Voraussetzungen für unsere biologische Reproduktion schaffen müssen, sondern auch, weil wir über die Arbeit nach etwas streben, ohne dass wir – auch aus neurobiologischen Gründen – nicht leben können: soziale Teilhabe, Wertschätzung, Anerkennung, persönliche Identität und Sinnstiftung.”
Aus: Arbeit – warum unser Glück von ihr abhängt und wie sie uns krank macht, Joachim Bauer
Die Idee hinter der Genesungsbegleitung ist einleuchtend, doch in der Praxis nicht immer leicht umsetzbar.
“Als ich mit der Idee gekommen bin, uns am Projekt vom Bezirk Oberbayern zu beteiligen, kamen natürlich von den Kolleginnen Fragen: Nimmt die uns den Arbeitsplatz weg? Ist die belastbar, wenn sie selbst krank ist? Wir haben im Team viele Gespräche geführt, uns langsam rangearbeitet und die Rollen ausgearbeitet.”
Andreas Ammer, Leiter der Tagesstätte Jedermann in Unterschleißheim, die Genesungsbegleiter einstellt
Genesungsbegleitung: Dialog auf Augenhöhe
In der Tagesstätte Jedermann in Unterschleißheim treffen sich Besucher, Sozialpädagogen und Genesungsbegleiterinnen auf Augenhöhe.
Genesungsbegleitung muss gut im Team verankert sein. Im besten Fall haben die Genesungsbegleiter einen Arbeitsvertrag, der sie absichert, falls die Krankheit wieder schlimmer wird. Dazu braucht es Supervision und Betreuung.
So aufgestellt kann die Genesungsbegleitung aber eine Bereicherung für jede psychiatrische Einrichtung sein. Oft ändert sich durch sie auch das Verhalten der Profis gegenüber der Klienten.
“Dass in Teammeetings zum Beispiel nicht mehr über ‘die da’ geredet wird, wenn es um Patienten geht. Dass Namen benutzt werden, wertschätzend gesprochen wird. Bei uns im Team war das zum Glück nie ein Problem, aber ich kenne Beispiele von anderen, wo sich durch den Genesungsbegleiter bei Teammeetings die Situation wirklich verbessert hat.”
Anja Seidel, Genesungsbegleiterin
Ausbildung zur Genesungsbegleitung
Der Dialog auf Augenhöhe kann durch die Genesungsbegleitung also gestärkt werden. In Bayern laufen gerade mehrere Kurse, in denen man sich zur Genesungsbegleitung ausbilden lassen kann. Voraussetzung: eigene Erfahrung mit der Psychiatrie, aber trotzdem so gefestigt sein, dass man andere bei der Genesung unterstützen kann. Und ein einjähriger Kurs, in verschiedenen bayerischen Städten.
Mehr Informationen über Kurse und Einsatzmöglichkeiten gibt es bei Ex-In Bayern:
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