Flüchtlinge ohne Bleibeperspektive – Warum der Staat keine Zeit für …

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  • Fast 800 Balkanflüchtlinge in allen drei fränkischen Regierungsbezirken, in der Oberpfalz und in Niederbayern bekamen in der vergangenen Woche Post – sie sollten sofort nach Bamberg kommen.
  • In einer früheren US-Kaserne sind dort Flüchtlinge aus den Balkanstaaten untergebracht, die keine Chance auf Asyl haben.
  • Flüchtlingshelfer sind empört angesichts der unnachgiebigen Methode der Regierung.

Geboren 1972 in Wertheim, Baden-Württemberg, aufgewachsen in Bayern. Studium der Germanistik, Geschichte, Politikwissenschaften und Soziologie in Erlangen und Heidelberg. Nach dem Examen Dozent für Neuere Deutsche Literaturwissenschaft und Literaturgeschichte an der Friedrich-Alexander-Universität. Seit 2001 Korrespondent der Süddeutschen Zeitung  in Nordbayern, seit 2008 Leiter des SZ-Büros Franken in Nürnberg.

Lisa Schnell, geboren 1984, ist ein Münchner Kindl und in dritter Generation an der Isar ansässig. Zumindest hat die Überprüfung des Stammbaumverlaufs das ergeben. Sie studierte Politik, Soziologie und Geschichte in München und Prag. Nebenbei fuhr sie mit einem blauen BR-Bus über’s Land und hielt den Leuten in Bayern das Mikro für die Sendung quer unter die Nase. Der Weg über die Deutsche Journalistenschule führte sie zurück zum geschriebenen Wort. Nach einem Jahr als Bayernkorrespondentin für die taz, schreibt sie jetzt für die SZ-Bayernredaktion.

Elfije U. springt vom Sofa, rast rüber ins Schlafzimmer. Dort krümmt sich Muhamet im Gitterbett, er röchelt, sein Körper zuckt. Elfije U. packt ihren Sohn, dreht ihn auf die Seite. Damit der Schleim aus seinem Mund fließen kann, damit Muhamet nicht erstickt. Sie macht das 20-mal am Tag, immer wenn Muhamet einen Krampfanfall hat. Halb so wild, sagt U., hier in Deutschland gebe es gute Medikamente. Die Angst um Muhamets Leben hat sie längst hinter sich gelassen. Doch dann kam dieser Brief.

In dem Brief stand, dass die Familie ihre Koffer packen soll, dass sie in nicht mal 24 Stunden abgeholt und in die Ankunfts- und Rückführungseinrichtung für Balkanflüchtlinge nach Bamberg gebracht wird, manche sagen auch ins “Abschiebelager”. “Wenn wir zurück nach Kosovo müssen”, sagt U., “dann ist es aus mit Muhamet”. Also hat sich die sechsköpfige Familie versteckt, als der Bus kam. Jetzt fürchten sie den nächsten Brief.

Befehl im Briefkasten

Familie U. ist nicht die einzige, die einen Brief von der Regierung von Oberfranken bekommen hat. Fast 800 Balkanflüchtlinge in allen drei fränkischen Regierungsbezirken, in der Oberpfalz und in Niederbayern hatten vergangene Woche den gleichen Befehl im Postkasten: Sofort Koffer packen, ab nach Bamberg, in eine frühere US-Kaserne, in die Flüchtlinge aus den Balkanstaaten kommen, die keine Chance auf Asyl haben. Wer nicht freiwillig mitkommt, dem droht die Behörde mit “Vollstreckung durch unmittelbaren Zwang”, mit Polizeigewalt. Und weiter heißt es: “Eine vorherige Anhörung und eine weitere Begründung” seien “entbehrlich”.

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Es sind Sätze, knallhart wie die neue deutsche Abschiebepraxis: Weil so viele reinkommen, müssen andere raus – und zwar zackig. Der Staat hat keine Zeit mehr für Einzelschicksale. Wo man auch fragt, ob in Weiden, Bamberg, Nürnberg, Regensburg, man findet empörte Flüchtlingshelfer. Viele Flüchtlinge seien Roma, die in ihren Heimatländern ausgegrenzt werden. Eine ethnische Minderheit von einem Tag auf den anderen mit Bussen in ein “Abschiebe-Camp” zu karren, das wecke “ungute Assoziationen”, sagt Stephan Dünnwald vom bayerischen Flüchtlingsrat.


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Flüchtlingshelferin Ulrike Tontsch aus Bamberg sorgt sich vor allem um die Kinder. Viele von ihnen waren schon fast ein Jahr in der Schule, hatten dort Freunde. Ihr Sitzplatz blieb von einem Tag auf den anderen leer, ihre Mitschüler fragen nach ihnen. Sich verabschieden, noch einmal umarmen? Keine Zeit. Nicht mal die Kinder, deren Schulen vom Balkanzentrum einfach zu erreichen wären, dürfen zurück. Familien aus ganz Bayern umzuverteilen sei “unmenschlich”, sagt Christine Kamm von den Grünen. “Und dumm”, denn ihre Verfahren könnten “problemlos von den örtlichen Ausländerbehörden geklärt werden.”

Der Platz wird für andere Flüchtlinge gebraucht

“Wir sind uns bewusst, dass dadurch Freundschaften auseinandergerissen werden können”, heißt es in einem Brief der Regierung an die Schulen, die Aktion sei aber “notwendig”, um Platz für “diejenigen zu schaffen, die anzuerkennende Fluchtgründe besitzen”.


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Und was ist mit Muhamet, dem Epileptiker? Er und seine Familie kommen aus Kosovo. Dort ist die medizinische Versorgung zum Teil so schlecht, dass Muhamet im Falle einer Abschiebung in Lebensgefahr geraten könnte. Es ist nicht nur die Epilepsie, der 14-Jährige ist schwerbehindert, geistig und körperlich, er ist blind, er hört kaum. Sein Vater Rifat U. hat ihn die ganze Flucht über auf dem Arm getragen, sechs Tage lang. Muhamet wog nur noch 13 Kilo. Das war vor eineinhalb Jahren. Inzwischen hat er ein paar Kilo zugenommen, dank Therapie und Medikamenten. “Er wird nicht mehr gesund”, sagt Rifat U., “aber er hat keine Schmerzen mehr.”

Jemand wie Muhamet soll also ins “Abschiebe-Camp”? Obwohl ihm deutsche Ärzte attestiert haben, “dass eine Abschiebung aus kinderärztlicher Sicht eine Gefährdung” sei. Auf “schwere Krankheitsfälle” werde Rücksicht genommen, heißt es von der Regierung. Muhamet war dann wohl ein Versehen. Genau wie die krebskranke Mutter, die in einem Klinikum im Sterben liegt. Auch sie hat einen Bescheid bekommen.

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