Wenn es bei den Bayern nach dem letzten Hinrundenspieltag noch mal besinnlich wird, dann ziehen sich die hohen Herrschaften gern ins Seehaus im Englischen Garten zurück. Es ist gut möglich, dass sie es heute Abend wieder tun und sich nach der Rückkehr aus Hannover am Kamin bei einem guten Glas Rotwein zu einem großen halben Jahr beglückwünschen. Vielleicht weinen sie auch bittere Tränen in das große Glas, weil sie bald ein Verein ohne Pep sein werden.
Das sind tatsächlich schreckliche Aussichten. Pep Guardiola (44), der weltweit anerkannte Wunderheiler aus Katalonien, wird den Klub wohl verlassen. Und wenn er der Einschätzung seiner derzeitigen Arbeitgeber entspricht, wird er zum Abschied über den Kleinhesseloher See zum Parkplatz gehen.
Noch hat der Trainer nicht offiziell bestätigt, was spanische und englische Medien seit Tagen mit großer Begeisterung melden. Am Freitag bei der üblichen Pressekonferenz zum Spiel in Hannover erklärte er lediglich: “Der Verein, Karl-Heinz Rummenigge und ich haben viele Male gesagt, dass wir nach dem Spiel in Hannover sprechen werden. Dabei bleibt es.” Immerhin ließ er erkennen, dass die Entscheidung über den weiteren Lebensweg gefallen ist. “Rummenigge”, sagte der Katalane, “weiß alles.” Deshalb weiß der große Vorsitzende sicher auch, ob sein wichtigster Angestellter im Sommer ein Sabbatjahr einlegen wird, wie er es 2012 nach dem Abschied aus Barcelona schon mal gemacht hat. Die spanische Zeitung “El Pais” glaubt das.
An eine Vertragsverlängerung bei den Bayern glaubt offenbar niemand mehr. Deshalb steht erst im Sommer fest, ob Guardiola krönen kann, was sein Berater José Maria Orotbig vor drei Jahren beim Vertragsabschluss “das beste Projekt unter vielen interessierten Vereinen” nannte. Die Bayern machten 2013 das Rennen um den Trainer gegen Konkurrenten wie Manchester City, Manchester United, dem FC Chelsea und den AC Mailand. Sie versprachen sich natürlich neben nationalen Meistertiteln, die unterdessen im Range einer Selbstverständlichkeit stehen, den erneuten Sieg in der Champions League. Das wäre die Vollendung des Projekts Bayern/Guardiola. In den ersten beiden Jahren der Zusammenarbeit war im Halbfinale der Meisterklasse Endstation. Niemand weiß, wie weit der Klub diesmal kommt. Das Projekt könnte unvollendet bleiben.
Daran ändern auch die Lobeshymnen für den manchmal nahezu perfekten Fußball nichts, den Guardiolas Mannschaft seit einiger Zeit aufführt. Die Währung des internationalen Fußballs sind Titel und nicht die weichen Faktoren. Die Schönheit des Spiels wird allenfalls anerkannt. Sollten die Bayern erneut in der Champions League scheitern, sind alle gelungenen Doppelpässe, 95 Prozent Ballbesitz und die höchste Passquote der Welt Kunst um der Kunst willen.
Guardiola vermittelt gern den Eindruck, dass es ihm vor allem darum geht, um Vollendung, Ästhetik, spielerische Perfektion. Dass er genauso eitel auf Titel schielt wie seine Mitbewerber, unterschlägt er öffentlich. Das ist der Verehrung selbstverständlich nicht abträglich. Weil Guardiola sich mit dem leisen Zauber des Fußball-Feingeists inszeniert, haben ihn die Fans längst überhöht. In der Wahrnehmung seiner Anhänger, und zu denen gehört Bayern Münchens komplette Führungsriege, hat er sich von irdischen Maßstäben gelöst.
Daneben verblassen Trainer, deren Job es mal war, Fußballmannschaften auf Fußballspiele vorzubereiten, zu schnöden Arbeitskräften im ausgebeulten Sportdress. Guardiola hat dem Fußball den Weg ins hochgeistige Fach gewiesen. Ganz nebenbei hat er nicht nur die Taktik an sich, sondern auch das Trainerwesen überhaupt und ganz bestimmt den Fußball neu erfunden. Die Umstellung von Dreier- auf Viererkette innerhalb des Spiels wird gefeiert wie die Mondlandung. Und dass gelegentlich sogar mal weite Diagonalpässe erlaubt sind, ist natürlich ein Beleg für die Weite von Guardiolas Gedanken.
Wenn die Bayern über ihn sprechen, dann strahlen die Superlative wie die Leuchtreklame in der Einkaufszone. Und man hört die Ausrufezeichen. Pep! Das Genie! Der Tüftler! Der Perfektionist! Kaum zu glauben, dass in München auch schon vor der Ankunft dieses Halbgottes bereits Fußball gespielt wurde. Unmittelbar vor der neuen Zeitrechnung, dem Jahr 1 im Pep-Kalender (für normale Wesen war es das Jahr 2013), sogar recht erfolgreich in Gestalt des Triples aus Meisterschaft, Champions-League-Sieg und Gewinn des DFB-Pokals. Für jüngere Menschen: Diese Leistung verantwortete Jupp Heynckes als Trainer, der sich dafür nicht mit der Aura eines geheimnisvollen Fußball-Mönchs umgeben musste.
Für ganz Aufgeregte hier ein sachdienlicher Hinweis: In München wird auch nach der Pep-Ära Fußball gespielt. Diesen Job verrichten zum Glück ja immer noch die Spieler, worauf die Trainer gern hinweisen, wenn sie a) Bescheidenheit vortäuschen oder b) mit miesen Ergebnissen der Mannschaft nichts zu tun haben wollen.
Es ist den Bayern zuzutrauen, dass sie mit einem Aufgebot an ziemlich guten Spielern und mit außerordentlich gut gefüllten Kassen einen großen Trainer zum Dienst an der Säbener Straße überreden können. Vielleicht gelingt es ihnen nicht, einen Außerirdischen wie Guardiola zu verpflichten. Aber sie müssen auch nicht in den bayerischen A-Ligen suchen.
Und wenn sie Glück haben, finden sie jemanden, der sich damit begnügt, die Mannschaft zu trainieren, statt nebenbei noch das Ärzteteam neu aufzustellen. Nur einen, der so unvergleichliche Anweisungen in vier Sprachen zur gleichen Zeit aufs Feld ruft, finden sie nicht.
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