FC Bayern: Matthias Sammer im tz-Interview Teil 1 – bayerische Fankultur


München – Im großen tz-Interview spricht Bayern-Sportvorstand Matthias Sammer über seine Familie, die bayerische Fankultur, Marco Reus und das Verhältnis zwischen Arzt und Trainer.

Herr Sammer, derzeit ist Länderspielpause. Geht es da ein bisschen ruhiger zu? Oder gibt es das bei Ihnen nicht, Ruhe?


Sammer: Es gibt immer gewisse Zyklen, die sind aber nicht abhängig von Länderspielpausen. Jetzt gilt es mit denen, die da sind, gut zu trainieren. Und natürlich in den vermeintlich etwas ruhigen Phasen, die perspektivischen Entscheidungen voranzutreiben, zum Beispiel auch unsere Trainingslager sowohl für den Winter als auch schon für den Sommer zu planen. Und was das Wichtigste ist: Überlegungen für den Kader anzustellen.

Beim Training schauen Sie trotzdem immer zu.

Sammer: Das ist mir wichtig, und das wird auch immer so bleiben. Natürlich stelle ich nicht die Mannschaft auf und plane auch nicht das Training, das ist Aufgabe des Trainers und des gesamten Staffs. Aber der Staff ist Bayern München. Der Trainer führt die Mannschaft. Ich muss zusehen, dass das ganze Drumherum funktioniert.

Worauf achten Sie genau?

Sammer: Fußball ist komplex. Ich beobachte das Training immer unter fünf Gesichtspunkten: Die Belastung und die entsprechende Steuerung, die athletische Komponente, den Rhythmus unter physischen Aspekten. Dazu was unter technischen und taktischen Gesichtspunkten trainiert wird. Und natürlich das Persönlichkeitsprofil eines Spielers, so dass jeder einen Wiedererkennungswert hat. Für mich ist es wichtig, diese Punkte zu erkennen, um zu sehen, wie der Stand bei jedem Einzelnen ist.

Woher nehmen Sie die Inspiration für die tägliche Arbeit?

Sammer: Vor allem ist es das Gefühl für die Situation. Das zu beschreiben, ist sehr schwierig. Das muss man fühlen können. Auf der einen Seite ist es wunderbar, erfolgreich zu sein. Auf der anderen aber muss man wissen, dass Fußball ein Tagesgeschäft ist und Du Dir Deinen Erfolg wirklich jeden Tag wieder erarbeiten musst – damit muss man umgehen können.

Sammer: “Ich liebe die Streitkultur”

Ein Tagesgeschäft, in dem Sie seit über 20 Jahren dabei sind. In Ihrer Zeit beim BVB hat man Ihnen den Spitznamen „Motzki“ verpasst. Hat Sie das geärgert?

Sammer (schmunzelt): Den hatte eine immer sachlich und ruhig titelnde Boulevard-Zeitung in die Welt gesetzt, und ganz viele Leute haben ihn übernommen. Ich habe mich daran aber nie gestört, weil die Bezeichnung ja irgendwie auch ein Bild darstellt, dem ich auch nicht widersprechen will. Ob das der richtige Begriff ist, weiß ich nicht. Ich liebe die Diskussion, ich liebe die Streitkultur. Und ich liebe auch in guten Phasen das Detail zur Verbesserung und das auch immer wieder anzusprechen. Aber: Das alles hat nichts damit zu tun, dass ich Dinge nicht genießen und zufrieden sein zu könnte.

Heute hat man schon mit einer unbedachten Aktion schnell ein Image weg, wird sofort in eine Schublade gesteckt…

Sammer: Sie sprechen von der Scheinheiligkeit des Geschäfts. Da sie aber keine Substanz hat, ist sie für mich auch nicht relevant. Sie interessiert mich überhaupt nicht. Für mich ist es sehr wichtig, dass mein unmittelbares Umfeld – meine Familie und der FC Bayern – weiß, dass ich auch ganz andere Eigenschaften habe. Dass wir im Vertrauen gewisse Dinge miteinander auch in Ruhe besprechen können. Dass das veröffentliche Bild oftmals ein anderes ist, wissen Sie doch auch.

Ihr Image bedeutet Ihnen also nichts?

Sammer: Gar nichts. Image ist Schein. Wollen Sie mehr Schein oder mehr Sein?

Es hat ja auch schöne Seiten. Als BVB-Spieler ließen Sie sich am Spielfeldrand die blutende Augenbraue tackern und spielten danach weiter. So wird man Fanliebling!

Sammer: Auch das hat mir nichts bedeutet. Ich würde mich immer wieder tackern lassen. Das hatte ja auch einen Grund: Das Spiel ist viel zu schön, um nicht daran teilzunehmen. Und damals ging das halt nicht anders. Für mich war es nichts Besonderes. Ich habe dieses Spiel immer geliebt. Ich habe jede Minute vermisst, in der ich nicht auf dem Platz stand. Aber das Spiel damals in Gladbach regt mich heute noch auf, weil wir sie an die Wand gespielt haben und es trotzdem nur 3:3 ausging (lacht).

Und dennoch wurden Sie als Vorbild wahrgenommen. Gibt es diese Fanlieblinge heute noch? Es ist alles viel professioneller geworden, es geht immer mehr ums Geld…


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Sammer: Das glaube ich schon. Ich bin der Meinung, dass unsere Mannschaft sich von so einer Scheinheiligkeit abhebt. Das ist extrem wohltuend. Die Mannschaft ist unheimlich gefestigt und geht selbst in der aktuellen Phase so souverän mit Kritik und Selbstkritik um, das ist für mich fast schon besorgniserregend. Der Typus, den unsere Mannschaft verkörpert, ist sympathisch. Er ist selbstbewusst, selbstkritisch und vor allem weiterhin erfolgshungrig. Das lieben unsere Fans. Die anderen finden es blöd, weil sie merken, dass wir nicht nachlassen. Und das ist auch mein Naturell: Was heute gut ist, muss es morgen schon nicht mehr sein.

Ist eine Identifikation mit dem Verein, wie ein Thomas Müller sie lebt, denn heute noch selbstverständlich?

Sammer: Ich weiß, was Sie meinen. Aber auch da ist Bayern München das totale Gegenteil. Die Fannähe unserer Spieler ist total ausgeprägt. Und trotz Internationalisierung werden wir immer unser sicheres Standbein in der Region behalten. Ich bin ohnehin der Meinung, dass die bayerische Fankultur eine komplett andere ist.

Inwiefern?

Sammer: Sie wird manchmal aufgrund der großen Emotionalität, die es woanders gibt, etwas kritischer gesehen. Ich finde, die bayerische Fankultur hat viel mehr Tiefe. Sie hat viel mehr Sachverstand, eine viel größere Beobachtungsgabe und hat viel mehr Zuneigung. Unsere Mannschaft ist im Laufe der Jahre extrem gereift in ihrer Persönlichkeit, und daran hat die Fangemeinde meiner Meinung nach einen ganz großen Anteil. Sie ist von einem großen Fachwissen geprägt und hier steht nun mal die Leistung sehr stark im Mittelpunkt.

Vor rund 15 Jahren hatten Sie ein einschneidendes Erlebnis. Nach einer missglückten Knie-OP schwebten Sie kurzzeitig in Lebensgefahr, eine Amputation drohte. Warum wirken Sie heute dennoch so verbissen? Relativiert so eine Erfahrung nicht vieles im täglichen Leben?

Sammer: Ich persönlich habe das Gefühl, selber die totale Ruhe zu sein. Aber Sie haben schon Recht, das war damals grenzwertig. Nicht nur das, was damals passiert ist – sondern vor allem die Gefahr, die große Liebe im Leben, die eigene Familie zu verlieren. Das war wirklich nicht einfach. Diese Geschichte hat einen längeren Prozess mit sich getragen, der aber auch eine Verpflichtung bedeutete. Ich habe einen Mittelweg gefunden, den Ehrgeiz nicht zu verlieren, aber in bestimmten Situationen auch eine gewisse Gelassenheit zu haben. Doch wenn es um Sieg oder Niederlage geht, da werden Sie mich nie gelassen erleben. Ganz einfach, weil ich es nicht akzeptiere, dem anderen in einem sportlichen Wettkampf gerne zu gratulieren. Das bleibt drin, unabhängig von meiner Infektionsgeschichte.

Zurück zu den Geschehnissen von damals: Alleine übersteht man so eine Situation doch nicht…

Sammer: Ohne meine Familie wäre das unmöglich gewesen. Aber daran hat sich bis heute nichts geändert. Unsere Kinder werden größer, werden zu Mitratgebern und in immer mehr Entscheidungen miteinbezogen. Das ist ein unglaublich spannender Prozess und macht uns auch stolz. Mein wichtigster Bezugspunkt ist natürlich meine Frau.

Welche Werte sind Ihnen in der Erziehung wichtig?

Sammer: Anstand, Vertrauen und die Gruppe, in der man sich bewegt, mehr zu respektieren als sich selber. Ich habe vor kurzem mit meinem Vater telefoniert. Der hat zuvor nach längerer Zeit mal wieder mit unserem Jüngsten telefoniert und danach zu mir gesagt: ‚Welch ein Anstand, wie der Junge gesprochen hat.‘ Der Opa hat sich gefreut, das war schön für mich zu hören. Aber da will ich mich nicht mit loben, meine Frau hat da einen weitaus größeren Anteil als ich (grinst).

Ist die Familie gleichzeitig auch Ihr Rückzugsort?

Sammer: Die Familie ist für mich so wichtig. In dem Job, in dem wir arbeiten, brauchst du Rückzug, Rat, Wärme, Ruhe und gute Freunde. Wir haben nicht viele, aber gute Freunde. Dennoch glaube ich sagen zu können, dass meine Familie meine besten Freunde sind. Vor allem meine Frau und unsere beiden Großen. Das Gefühl, dass die Familie füreinander da ist, ist für mich sehr wichtig.

Bilder: Das ist die neue Machtstruktur des FC Bayern

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Karl-Heinz Rummenigge sprach zuletzt von einer „Van-gaalisierung“ unter Ex-Coach Louis van Gaal, die dem Klub nicht gut getan hätte. Sind Sie der Aufpasser, dass es keine Guardiolisierung gibt?

Sammer: Ich habe ein absolutes Vertrauensverhältnis zu Pep. Und ich glaube, dass der FC Bayern unheimlich stabil aufgestellt ist. Da ist mit Pep ein Fachmann, der das Gesicht dieser Mannschaft nochmal verfeinert hat. Und natürlich gibt es da auch einen Co-Trainer, einen Fitnesstrainer und jemanden, der für die Analyse ist, aus dem Bereich Guardiola. Aber da ist auch die Stabilität des FC Bayern. Da ist Co-Trainer Hermann Gerland, Torwarttrainer Toni Tapalovic, fünf Leute des Klubs sind für die Videoanalyse zuständig. Der medizinische Bereich ist der FC Bayern, die Ärzte sind vom FC Bayern, die Fitnesstrainer auch. Diese Plattform FC Bayern ist stärker denn je. Gleichzeitig ist es meine Aufgabe, eine gute Balance im Klub zu finden. Wer das genau beobachtet, wird feststellen, dass es einen sehr guten Weg gibt zwischen dem, was Pep und sein Stab einbringen und was die Tradition und die Stabilität des FC Bayern betrifft.

Dann klären Sie uns doch mal auf. Gab oder es gibt es Probleme zwischen Pep und Dr. Müller-Wohlfahrt?

Sammer: In ihrem Verhältnis gibt es keine Probleme. Pep kennt aus Spanien und Italien andere Organisationsformen. Da waren gleich mehrere Ärzte jeden Tag beim Training vor Ort. Zur Historie des FC Bayern gehört Müller-Wohlfahrt mit seiner Praxis, die nur 20 Minuten von der Säbener Straße entfernt ist. Auch da geht es darum, die beiden Denkweisen zu verbinden. Ich beobachte das ja auch, aber größere Probleme haben wir nicht erkannt.

Es gibt Gerüchte, nach denen der FC Bayern und Marco Reus längst einig miteinander sind. Können Sie das klar mit „nein“ beantworten?

Sammer: Ich sage Ihnen ehrlich: Alles, was bisher öffentlich von uns zu diesem Thema kam, entspricht der absoluten Wahrheit. Mehr werden Sie von mir zum Thema Marco Reus nicht hören.

Jürgen Klopp hat gesagt: „Wer sich im Erfolg schlecht verhält, kriegt es irgendwann zurück.“ Ärgert Sie das?

Sammer: Das kommentiere ich nicht.

Er hat auch gesagt, dass Sie dem lieben Gott danken müssten, weil sie beim FCB sind…

Sammer (grinst): Ja, und ich verspüre keine Notwendigkeit darauf zu antworten.

Teil 2 des großen Interviews mit Matthias Sammer finden Sie am Sonntag ab 10 Uhr auf www.tz.de.

Matthias Sammer: Das ist der FCB-Sportvorstand

Matthias Sammer wurde am 5. September 1967 in Dresden geboren. 1989 wurde er mit Dynamo Dresden DDR-Meister, ein Jahr später wechselte er zum VfB Stuttgart. Dort lernte er auch seine heutige Frau Karin kennen, mit der er seit 1993 verheiratet ist. 1996 wurde Sammer mit der Nationalmannschaft Europameister, ein Jahr später CL-Sieger mit Borussia Dortmund. 1999 beendete Sammer seine Karriere infolge einer Knie-OP. 2002 führte er den BVB als Trainer zur Meisterschaft und war von 2006 bis 2012 Sportdirektor beim DFB, ehe er zum FC Bayern kam. Heute lebt Sammer mit seiner Familie in Grünwald.

Interview: sw, mic

Große tz-Fanclub-Aktion

Ihr seid ein Fanclub des FC Bayern und habt etwas Außergewöhnliches erlebt oder unternommen? Dann habt Ihr die Chance, eine große Fanclub-Party zu gewinnen! Bewerbt Euch bei uns (Hier!), stellt Euren Fanclub vor und gewinnt mit etwas Glück eine Party für Euren Verein, für die die Paulaner Brauerei neben der Ausstattung mit Biergarnitur, Schirmen und Gläsern auch satte 500 Liter Freibier spendieren wird.

Einsendeschluss ist Montag, der 17.11. um 24.00 Uhr.

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