Fall Gustl Mollath Erste Schritte in die Freiheit

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Nach sieben Jahren in der geschlossenen forensischen Abteilung ist Gustl Mollath ab heute ein freier Mann. Das Strafverfahren, das ihn einst in diese Situation brachte, wird neu aufgerollt. Den Ausschlag dafür gaben zwei Buchstaben auf einem Attest. Mollath darf die Psychiatrie sofort verlassen.

Am Dienstag, 6. August 2013, ist es soweit: Nach sieben Jahren in der forensischen Psychiatrie kommt Gustl Mollath frei. Unverzüglich. Der 1. Strafsenat des Oberlandesgerichts (OLG) Nürnberg hat eine anderslautende Entscheidung des Landgerichts Regensburg kassiert, ein Wiederaufnahmeverfahren beschlossen- und ordnete seine sofortige Freilassung an.

Der Senat des OLG Nürnberg stützt sich bei seiner Entscheidung vor allem auf ein ärztliches Attest, das als “unechte Urkunde” und damit als zwingender Wiederaufnahmegrund im Sinne der Strafprozessordnung gewertet wurde. Der Grund: In dem Attest werde der Name der Praxisinhaberin genannt, die Mollaths Frau damals gar nicht selbst behandelt habe. Entsprechend sei das Gericht damals davon ausgegangen, das Attest stamme von einer erfahrenen Ärztin, nicht von deren Sohn. Das OLG räumt zwar ein, dass bei übermäßiger Vergrößerung der Urkunde ein Vertretungshinweis in Form der Kürzel “i. V.” erkennbar sei – jedoch zu winzig. “Auf dem Attest in  Originalgröße ist dieser Zusatz aber weder für den Senat noch für die Verfahrensbeteiligten im Ausgangsverfahren erkennbar gewesen.”

Gustl Mollath wird die Psychiatrie in Bayreuth daher noch am Nachmittag verlassen. 

+++ Wie es für Gustl Mollath weitergeht +++ 

Die Linken sind jetzt auch da. Und ein Abgeordneter der Freien Wähler. Es ist Wahlkampf in Bayern – wie man auch an den Reaktionen der Politiker deutlich merkt. Unterdessen: Noch mehr Übertragungswagen, noch mehr Journalisten. Aber immer noch kein Gustl Mollath.

Ihn erwartet zu einem noch unbestimmten Termin ein völlig neues Verfahren am Landgericht Regensburg. Dort sollen alle Informationen nochmal ganz neu untersucht werden. Es ist dann auch davon auszugehen, dass die dubiosen Geldgeschäfte, die Mollath der Hypo-Vereinsbank immer wieder angelastet hat, eine größere Rolle spielen werden. Das Ergebnis des Hauptverfahrens entscheidet dann darüber, ob Gustl Mollath ein freier Mann bleibt oder ob er womöglich doch wieder verurteilt wird.

Die Journalisten sind bereit, die Kameras positioniert. Aber immer noch kein Gustl Mollath. Dafür kommt Karsten Schieseck vorbei, der Rechtsanwalt des Klinikums. Er sagt, dass Gustl Mollath sein Entlassungsbescheid “zeitnah” zugestellt worden sei. Dann habe er natürlich Zeit bekommen, seine Sachen zu packen.

Auf Twitter kommentieren seine Unterstützer unterdessen die Entscheidung des Gerichts – natürlich erfreut. Abgehakt ist der Fall damit aber natürlich noch lange nicht. Es werden weiter Informationen ausgetauscht und es wird gezetert, etwa über die Selbstgefälligkeit von Justizministerin Merk oder den Psychiater Klaus Leipziger.

Um kurz vor drei kommt ein bisschen Unruhe auf. Wenn er doch einen anderen Ausgang nimmt? Die Kameraleute diskutieren den besten Standort. Noch ein Vertreter der Piratenpartei fährt vor. Mit dem Wahlkampfmobil auf dem steht: “Leb so wie du bist.”

Noch ist unklar, wohin sich Mollath nun zurückziehen wird. Sein ehemaliges Wohnhaus ist zwangsversteigert; wo seine persönliche Habe geblieben ist, weiß niemand. Es ist davon auszugehen, dass sich Freunde und Unterstützer um Mollath kümmern werden. 

Ein Polizeiauto fährt vor. Wendet und fährt wieder. Es tut sich nichts. Die Journalisten warten. Telefonieren, filmen sich gegenseitig. Ein Politiker der Piratenpartei wartet mit. Sonst sind noch keine Unterstützer von Mollath zu sehen. Im Hintergrund werden jedoch bereits Hilfsmaßnahmen beworben, etwa Spendenaufrufe über Twitter. 

SZ-Reporterin Katja Auer steht zusammen mit einem guten Dutzend weiterer Journalisten vor dem Bezirksklinikum und wartet. Um 15 Uhr soll Gustl Mollath entlassen werden. Noch passiert nichts. Die Kameraleute filmen die Schranke oder die wartenden Kollegen. Ein erster Übertragungswagen fährt vor.

Die Mitarbeiter des Klinikums waren so nett, zwei Kästen Wasser herauszustellen. Gerade kommt die Post. Kein Gustl Mollath. Die Schranke geht auf. Nur ein Besucher. 

Um kurz nach elf Uhr mittags überbringt Gerhard Strate seinem Mandanten Gustl Mollath die besondere Nachricht: er berichtet ihm von seiner bevorstehenden – sofortigen – Freilassung. “Er hat sehr erfreut darauf reagiert.” Strate rechne damit, dass Mollath die Psychiatrie in zwei bis drei Stunden verlassen werde, sagte der Anwalt etwas später.

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+++ Eine Chronologie des Falls Gustl Mollath +++

+++ Reaktionen auf die Freilassung von Gustl Mollath +++

  • Beate Merk (CSU): Bayerns Justizministerin begrüßte die Entscheidung. “Ich bin sehr zufrieden: Mein Ziel, das ich mit dem Wiederaufnahmeantrag und der sofortigen Beschwerde verfolgt habe, den Fall neu aufzurollen, ist erreicht”, erklärte Merk. Die Justiz habe nun Gelegenheit, in einem weiteren öffentlichen Verfahren zu klären, ob Mollath zu Recht untergebracht sei oder nicht. Wie das Justizministerium weiter erklärte, habe Merk mit der Anweisung an den Generalstaatsanwalt, die Wiederaufnahme zu beantragen, “den entscheidenden Schritt” getan.
  • Christian Ude (SPD): Bayerns SPD-Spitzenkandidat für die Landtagswahl, Christian Ude, kritisierte hingegen, dass Merk sich als Freiheitskämpferin für Mollath präsentieren wolle, sei “die verwegenste Geschichtsklitterung der letzten Jahre”. Bei dem Fall handle es sich viel mehr um einen bayerischen Justiz-Alptraum.
  • Horst Seehofer (CSU): Der Ministerpräsident zeigte sich zufrieden, dass Mollath nun das bekomme, was er gewollt habe: “nicht Gnade, sondern Recht”. Jetzt müsse ein faires Wiederaufnahmeverfahren gewährleistet werden. “Am Ende könnte es zwei Gewinner geben: Das eine ist ein fairer Rechtsstaat, das andere ist die Person Gustl Mollath.”
  • Martin Zeil (FDP):Der stellvertretende Ministerpräsident sagte, die OLG-Entscheidung zeige, “dass unser Rechtsstaat funktioniert”. “Die Vorgänge im Fall Mollath haben bei vielen Bürgerinnen und Bürgern bis zuletzt ein ungutes Gefühl hinterlassen. Es entstand der Eindruck, dass ein Mann zu Unrecht seiner Freiheit beraubt wurde. Jetzt wird der Fall neu aufgerollt und Klarheit geschaffen.”
  • Florian Streibl (Freie Wähler): Der stellvertretende Vorsitzende des Mollath-Untersuchungsausschusses im bayerischen Landtag, Florian Streibl von den Freien Wählern, erklärte, nun sei der Weg geebnet, damit Mollath Gerechtigkeit widerfahre. “Darüber hinaus sollen die Verantwortlichen, die Gustl Mollath das angetan haben, zur Rechenschaft gezogen werden.”
  • Hubert Aiwanger (Freie Wähler): “Pünktlich zur Landtagswahl wird der Polit- und Justizskandal Mollath um eine Facette reicher. Eine Person, die vor kurzem von der Staatsregierung noch als gemeingefährlich bezeichnet worden ist, wird freigelassen, um das Wahlergebnis der CSU nicht zu gefährden.” Bayern erhalte dadurch endgültig “den Ruf einer Bananenrepublik”, sagte Freie-Wähler-Chef Aiwanger. 
  • Martin Runge (Grüne): Grünen-Fraktionschef Runge warf Merk und Seehofer “unsägliches Pharisäertum” vor. Schließlich sei die Staatsregierung “aufgrund ihrer Strategie des Vertuschens und Lügens” wesentlich dafür mitverantwortlich, dass Mollath über so viele Jahre weggesperrt gewesen sei. 

Die bisherige Berichterstattung der SZ zum Fall Mollath finden Sie hier

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