Wie sieht es in den Praxen in und um München aus?
Hier ist die Wartezeit für Kassenpatienten auf einen Facharzttermin am kürzesten (23 Tage). Bei Privatpatienten beträgt sie vier Tage. Damit müssen gesetzlich versicherte Münchner allerdings noch 19 Tage länger warten als ihre privat versicherten Mitbürger.
Warum ist die Versorgung auf dem Land schlechter als in der Stadt?
Weil in ländlichen Regionen wie dem Allgäu die Facharztdichte geringer ist als etwa in München. Hinzu kommt, dass außerhalb der Ballungszentren die Bevölkerung älter ist und somit mehr Menschen einen Arzt aufsuchen müssen. Im Raum Hof beispielsweise beträgt das Durchschnittsalter 46 Jahre, in München hingegen sind’s nur 42 Jahre.
„Der demografische Wandel darf nicht dazu führen, dass bestimmte Gebiete bei der Arztversorgung abgehängt werden“, betont Grünen-Abgeordnete Doris Wagner.
Gibt es Unterschiede zwischen den Facharztrichtungen?
Ja. Besonders viel Geduld müssen Kassenpatienten mitbringen, wenn sie einen Termin bei einem Hautarzt oder Neurologen brauchen. Hier müssen sie ganze 31 bzw. 30 Tage länger warten als Privatversicherte.
Etwas geringer sind die Unterschiede bei den Wartezeiten bei Orthopäden (elf Tage mehr), Kardiologen (zwölf) und HNO-Ärzten (14).
Teils drastische Unterschiede gibt es zudem von Praxis zur Praxis. Bei einem Augenarzt in München beispielsweise beträgt die durchschnittliche Wartezeit für einen Kassenpatienten 132 Tage. Ein Privatpatient dagegen würde bereits nach einer Woche einen Termin bekommen.
Wie haben sich die Wartezeiten entwickelt?
Die Grünen-Landtagsfraktion hat bereits 2013 eine nahezu identische Erhebung durchführen lassen. Das Ergebnis damals: Kassenpatienten müssen 17 Tage länger auf einen Facharzttermin warten als Privatversicherte. Damit hat sich die Wartezeit für gesetzlich Versicherte im Vergleich zu Privatpatienten innerhalb von nur zwei Jahren um sechs Tage verlängert.
Warum müssen Kassenpatienten so viel länger warten?
Weil Ärzte für Privatversicherte schlicht mehr Geld erhalten. Laut der Grünen-Studie gibt’s für die Behandlung eines Privatpatienten durchschnittlich zweieinhalb Mal so viel Honorar wie bei einem Kassenpatienten.
Aktuell sind rund 85 Prozent der Bevölkerung gesetzlich krankenversichert und elf Prozent privat. Insgesamt stehen diese elf Prozent jedoch für 25 Prozent aller Einnahmen der Praxen.
„Es ist nicht hinnehmbar, dass es solche Unterschiede gibt, gerade für Kassenpatienten mit ernsthaften Problemen. Wenn Ärzte aber für einen Privatpatienten mehr als das Doppelte an Honorar bekommen, ist eine Bevorzugung bei der Terminvergabe nachvollziehbar“, sagt Wagner.
Was sagen die Ärzte?
Sie argumentieren nach Angaben der Studie damit, dass die längeren Wartezeiten für Kassenpatienten „ohne jeden gesundheitlichen Nachteil“ seien. Notfälle würden stets sofort behandelt, unabhängig von der Versicherungsfrage, betont Jodok Müller, stellvertretender Sprecher der Landesärztekammer.
Doch laut Grünen hätte das Personal der meisten Praxen nicht nach der Dringlichkeit beziehungsweise der Ursache des Terminwunsches gefragt. „Die Terminvergabe orientierte sich also definitiv nicht am Beschwerdebild, sondern an der Art der Versicherung“, heißt es in der achtseitigen Studie.
Die Ärzte argumentieren außerdem, dass auch gesetzlich Versicherte davon profitieren würden, wenn durch die Behandlung von Privatpatienten Mehreinnahmen erzielt werden und somit in medizinische Geräte investiert werden kann.
Was fordern die Grünen?
Sie wollen für gesetzlich und privat Versicherte gleiche Rahmenbedingungen schaffen – und zwar mit einer „Bürgerversicherung“. Wagner: „Hier zahlen alle nach ihrer Leistungsfähigkeit in einen gemeinsamen Topf ein, und der Arzt hat keine Gründe, bestimmte Patienten zu bevorzugen.“
Wie reagiert die Staatsregierung?
Gesundheitsministerin Melanie Huml (CSU) weist die Vorwürfe wegen zu langer Wartezeiten zurück. Die Wartezeiten im Freistaat gehörten sowohl im europäischen als auch im deutschen Vergleich mit zu den kürzesten: „Insgesamt sind Wartezeiten auf Facharzttermine in Bayern allenfalls nur punktuell ein Problem.“ Vier Wochen seien im Rahmen. Diese Frist schreibe auch der Gesetzgeber bei den neuen Terminservicestellen vor, die im kommenden Jahr eingerichtet werden.
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Für die Befragung wurde in ganz Bayern in 350 Arztpraxen je zweimal angerufen und ein Termin vereinbart – einmal als Kassenpatient, das andere Mal als Privatversicherter.