Erich Gillmann, Bildhauer aus Marktheidenfeld, feiert im Mai seinen 90. Geburtstag. Er war noch ein Junge, als sein Onkel Franz May ein Relief schnitzte, das die Geburt Jesu darstellt. Über 80 Jahre lang schlummerte das Kunstwerk in Mays Werkstätten in Gemünden und Wernfeld, dann in der Gillmanns in Marktheidenfeld. Bis der betagte Bildhauer es jetzt aus dem Dornröschenschlaf weckte, ja, ihm Leben einhauchte, wie er selbst sagt: Gillmann hat es farblich gefasst – und ist seitdem hellauf begeistert von der Darstellung.
Acht Semester Holzbildhauerei
Franz May, geboren 1892 als Sohn eines Gemündener Postbeamten, hatte acht Semester Holzbildhauerei an der Akademie in München gelernt und danach noch sechs Semester lang die Kunstgewerbeschule in Nürnberg besucht, erzählt Gillmann aus dem Leben seines Onkels. „Er hatte eine gute Ausbildung – aber keine Aufträge.“
Obwohl er speziell im Raum Gemünden und Lohr, aber auch über die Landkreisgrenzen hinaus viele Arbeiten hinterlassen hat: Berühmt ist er deswegen nicht geworden, und reich schon gleich gar nicht. Im Gegenteil: Als er aufs Rentenalter zuging und sein Vater starb, so schildert Gillmann, habe er die Beamtenwohnung verlassen müssen. Weil er sich in Gemünden keine Wohnung leisten konnte, habe er sich für die letzten zehn Jahre seines Lebens mit einer bescheideneren Bleibe in Wernfeld abfinden müssen, von der Fürsorge unterstützt. „Ich hab Dir immer gesagt: Wärst’e zur Post . . .“.
Diese Worte von Mays Vater an seinen Sohn klingen Gillmann heute noch im Ohr. Er hat sie des öfteren gehört, als er selbst bei seinem Onkel in die Lehre ging. May war ihm eine Vaterfigur, sein Schicksal eine Lehre: Er wurde Berufsschullehrer in Marktheidenfeld. Die Kunst blieb zunächst sein Hobby, dem er sich erst nach seiner Pensionierung mit voller Kraft widmete.
Seinem Vater hatte er sich noch widersetzt. Gillmann, der Polizistensohn aus Rimpar, sollte nach dessen Wunsch etwas anders werden als ein „dahergelaufener Steineklopfer“. Staatsanwalt oder Richter hätte dem Vater gefallen. Doch bevor er seinen Brotberuf aufnahm, ging Erich Gillmann erst einmal bei seinem Onkel in die Lehre.
Rucksack voller Kruzifixe
In den zwei Jahren bei ihm in Gemünden ist er oft die 20 Kilometer nach Lohr geradelt – mit einem Rucksack voller Kruzifixe und geschnitzter Holzteller mit Heimatmotiven im Rucksack. An Ansichten aus Lohr, an betende Hände erinnert sich Gillmann als Motive. Abgeliefert hat er die Ware bei der Familie Lurz, die ein Geschäft mit Kunstgewerbe betrieb und bei der May zeitweise sogar eine zweite Werkstatt gehabt hat, soweit Gillmann weiß.
Mit den Lurzens hatte May nicht nur eine Geschäftsbeziehung. Er hatte auch persönliche Bande geknüpft, war mit der Tochter des Hauses gar verlobt. Zur Heirat indes ist es nicht gekommen: May blieb zeitlebens Junggeselle.
Als Gillmann nach dessen Tod 1966 sein Erbe antrat und die Werkstatt ausräumte, fiel ihm auch das Krippen-Relief in die Hände. Geschnitzt aus Lindenholz, machte es keinen sonderlichen Eindruck auf ihn. Lindenholz ist weich, hat keine eigene Struktur. „Es war tot“, sagt Gillmann. Deshalb verstaubte es auch fast ein halbes Jahrhundert in seiner Keller-Werkstatt in Marktheidenfeld.
Vom Stil her hat es ihm schon gefallen. Sein Onkel hat in den 1930er Jahren „etwas stilisierend“ gearbeitet, ähnlich wie die Schiestl-Brüder, deren Familie aus dem Zillertal stammte und sich 1873 in Würzburg niedergelassen hatte. „Etwas urwüchsig halt“, beschreibt es Gillmann. „Dann hab ich einen Anfall gekriegt“, schildert der impulsive Bildhauer sein Erlebnis vor zwei Jahren. Er griff zu Pinsel und Farbtopf, fasste die Schnitzerei ein, wie der Fachmann sagt, trug dezente Farben auf. Das Ergebnis hat ihn schier vom Hocker gehauen: „Auf einmal, schlagartig hat es gelebt!“
Krippe täglich im Blick
Seitdem steht die Krippe bei Gillmann im Wohnzimmer. Wenn er auf dem Stuhl sitzt, dessen Lehnen ebenfalls ein Werk seines Onkels ist, hat er es täglich im Blick. Und den mag er gar nicht abwenden, jetzt in der Weihnachtszeit. „Das wär auch interessant fürs Spessartmuseum“, ist sich Gillmann sicher.
Doch sind die familiären Bande stärker. „Das bleibt in Familienbesitz“, sagt er fest. Mögen die drei Kinder nach seinem Tod über sein Erbe entscheiden. Solange er lebt, will er sich selbst an diesem Gemeinschaftswerk zweier Holzbildhauer erfreuen. Und dies tut er täglich: „Es ist wunderschön . . !“