Zwei Autos fahren vor, drei Personen steigen aus. Susi Hoeneß, Ehefrau von Uli, läuft mit Tochter Sabine und Sohn Florian über den Parkplatz zum Eingang der Justizvollzugsanstalt Landsberg am Lech. Sie wirken gelöst und scheinen sich auf den Besuch zu freuen. Zwei Stunden des Wiedersehens liegen an diesem Herbsttag vor ihnen. Zwei Stunden mit ihrem Uli.
Seit dem 2. Juni verbüßt Uli Hoeneß seine Haftstrafe in der JVA Landsberg. Der damalige Präsident des FC Bayern München hatte private Geldgeschäfte über ein Schweizer Bankkonto abgewickelt, die Millionengewinne jedoch nicht versteuert. Nach einer Selbstanzeige und einem folgenden Prozess wurde der 62-Jährige schließlich zu einer Freiheitsstrafe von drei Jahren und sechs Monaten verurteilt.
Von außen sieht die Landsberger JVA gar nicht wie ein Gefängnis aus. Das Eingangsgebäude könnte auch zu einem Schloss gehören: zwei Türme, hellgrüne Kuppel, hellgraue Fassade, viele Fenster. Die Gitter vor den Fenstern, die hohen Mauern mit dem Stacheldraht und dem massiven Tor erinnern einen daran, dass die Bewohner nicht freiwillig hier leben. Die JVA wurde bereits 1908 fertiggestellt. Heute verfügt sie über mehr als 550 Haftplätze. Ihr bekanntester Häftling war Adolf Hitler, der ab 1923 insgesamt 264 Tage in Festungshaft saß und während dieser Zeit “Mein Kampf” schrieb.
Nach knapp einem halben Jahr mit dem zweitberühmtesten Häftling Hoeneß ist Anstaltsleiterin Monika Groß misstrauisch. Am Telefon ist sie zwar freundlich, aber eher, weil sich das so gehört. Als sie fragt, worum es geht, kennt sie die Antwort bereits. Um Hoeneß, wie so oft, wenn ihr Telefon klingelt. Für ein persönliches Gespräch hat sie keine Zeit. Einen Rundgang durch die JVA lehnt sie ebenfalls ab. “Das ist hier ein Hochsicherheitsbereich, da lassen wir keinen rein”, gibt sie zu verstehen. Und zu Hoeneß selbst gebe sie erst recht keine Auskunft. Immerhin verrät sie, dass das Interesse an dem Welt- und Europameister nach wie vor groß, insgesamt aber etwas abgeebbt sei. Sie wünscht einen schönen Aufenthalt in Landsberg – und legt auf.
Landsberg ist eine mittelalterlich geprägte Stadt mit knapp 28 000 Einwohnern. Historische Architektur, viele Türme, viele Kirchen und schmale Gassen. In Landsberg heißen Kneipen noch Wirtshaus und Restaurants noch Gaststätte. Der Lech fließt durch die Stadt und verfügt mit dem Lechwehr über eine Art Wasserfall. Nur knapp zwei Kilometer vom Stadtzentrum entfernt liegt das Gefängnis.
Am Mittag ist dort Schichtwechsel. Wer Feierabend hat, läuft zu seinem Auto. Die Mitarbeiter der JVA sind vorsichtig. Nur kein falsches Wort sagen. Immerhin blocken sie Nachfragen aber nicht direkt ab. “Seit Hoeneß’ Inhaftierung hat sich meine Arbeit nicht verändert”, sagt einer im Vorbeigehen. Alles nichts Besonderes.
Ein Kollege beantwortet die Frage nach der Situation in der JVA. “Sie sehen ja, was hier los ist”, sagt er. Er deutet auf den Parkplatz. Selbst um den Grünstreifen herum parken Autos. Zum Ende der Besuchszeit strömen Dutzende Menschen aus der JVA. Das war nicht immer so.
Ein anderer Wärter betont, dass Uli Hoeneß im Gefängnis keinen Sonderstatus genieße. Er werde wie die anderen Häftlinge behandelt. Eine größere Zelle habe er nur bekommen, als er krank gewesen sei. Diese Regelung gelte aber auch für alle anderen Häftlinge.
Eine Gruppe von Schülern läuft vorbei, gut zwei Dutzend Jugendliche um die 13. Zwei Jungs stimmen einen Fangesang an. “Uli, wir lieben dich!” Sie klatschen sechs Mal. Sie kichern. Die anderen grölen, sie können sich vor Lachen kaum noch auf den Beinen halten. Gemeinsam stimmen sie an: “Uli Hoeneß, du bist der beste Mann.” Dann gehen sie weiter.
Bereits mehrmals durfte der Bayern-Patriarch die JVA für einen Freigang verlassen. Er traf seine Familie und war in der Umgebung essen. Experten vermuten, dass er über Weihnachten eine Nacht zu Hause schlafen könnte und zu seinem Geburtstag am 5. Januar dauerhaft Freigänger sein und dann nur noch in der JVA übernachten wird. Voraussetzungen sind gute Führung und ein fester Arbeitsplatz. Beim FC Bayern ist schon die Rede von einem Job in der Jugendabteilung.
In der Gaststätte “Fischerwirt” ist jetzt Mittagszeit. Auf der Karte stehen regionale Spezialitäten wie Krautkrapfen und Leberkäs. Adolf “Adi” Kaufmann (53) und Manfred “Manni” Dinauer (50) sprechen bei Käsespatzen über Hoeneß. Kaufmann ist Vorsitzender des Bayern-München-Fanclubs Gute Freunde Erpfting, Dinauer ist Kassenwart. Seit den 60er Jahren sind die beiden Landsberger Bayern-Fans. Hoeneß ist für sie nur “der Uli”, Beckenbauer “der Franz” und Rummenigge der “Karl-Heinz”, als würden sie sie persönlich kennen, als würden sie neben ihnen sitzen.
“Das, was der Uli gemacht hat, war einfach falsch”, sagt Dinauer und nimmt einen Schluck von einem alkoholfreien Weizenbier. “Adi” Kaufmann stimmt ihm zu: “Es wäre schlimm gewesen, wenn es das Urteil nicht gegeben hätte und er freigesprochen worden wäre”, sagt er. Kaufmann spricht von Moral, von einem Schuldeingeständnis. Es sei sehr wichtig, dass Hoeneß gestanden habe.
Enttäuscht seien sie schon gewesen, als das Steuervergehen ans Licht kam. Hoeneß sei immer ein Moralapostel gewesen. Sein Ansehen habe entsprechend gelitten, beliebt bei den Fans sei er aber noch immer. Mitleid empfinden sie jedoch nicht. Nun habe er genügend Zeit, über seinen Fehler nachzudenken. “Da muss er jetzt durch”, sagt “Manni” Dinauer. Er würde Hoeneß gerne mal besuchen. Einfach schauen, wie er reagieren würde.
Gerade am Anfang sei es schon sehr seltsam gewesen, als Hoeneß während der Spiele nicht mehr auf der Tribüne saß, sagen Kaufmann und Dinauer. Sie gehen davon aus, dass er zurückkehrt. Aber (zunächst) nicht als Präsident. Das ist Karl Hopfner. Hopfner kümmerte sich jahrelang um die Finanzen des Vereins. Er war aber kein Spieler. Und er ist keiner von ihnen. Kaufmann und Dinauer sagen Hopfner, nicht Karl.
Die örtliche Politik möchte sich zu Hoeneß möglichst nicht äußern. Die Begründung: Die Inhaftierung sei weder ein politisches noch ein kommunalpolitisches Thema. Oberbürgermeister Mathias Neuner (CSU) äußert sich zwar, für ihn spielt Hoeneß nur eine untergeordnete Rolle. Die JVA gehöre zur Landsberger Geschichte. “Landsberg hat aber viel mehr zu bieten”, sagt der Oberbürgermeister.
Tatsächlich erinnert in der Stadt nichts an den prominenten Häftling. Keine Plakate, keine Werbesprüche. Die Landsberger sprechen auch kaum noch über ihn. Markthändler, Wirte, Bäcker, Bewohner – die Reaktionen sind stets gleich. Amüsiertes Lächeln, Erstaunen über die Frage. Der Hoeneß sei einfach “koan Thema” mehr. Klar, am Anfang sei der Trubel groß gewesen, und er sei häufig von Gästen darauf angesprochen worden, sagt Eduard Mayer vom Hotel “Goggl”. Das Interesse lasse aber weiter nach. Mayer arbeitet seit den 1980er-Jahren im “Goggl”, das direkt in der Altstadt liegt. “Es ist gut, dass Landsberg durch Hoeneß mehr in der Öffentlichkeit steht”, sagt er.
In der Touristeninformation wird zwar häufig gefragt, wie man zur JVA gelangt. Aber dem Deutschen Hotel- und Gaststättenverband Bayern zufolge dient Hoeneß nicht als Touristenmagnet für Landsberg. Die Besucherzahlen seien nicht gestiegen. Für die JVA und deren Parkplatz gilt das aber wohl nicht.
Nach knapp zwei Stunden Besuchszeit laufen Susi Hoeneß und ihre beiden Kinder wieder über den Parkplatz des Gefängnisses. Sie steigen in ihre Autos und fahren weg. Ohne ihren Uli – wahrscheinlich nicht mehr lange.
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