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Mancher Wiesn-Besucher endet bei den ehrenamtlichen Sanitätern vom Roten Kreuz. Ihnen hilft allerdings der „Kotzhügel“.
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Oktoberfest: Werbung für freies Kiffen
München.Nein, der Mann, geschätzte 70, möchte sich nicht auf der Überwachungsstation des Bayerischen Roten Kreuzes (BRK) erholen. Ja, den Heimweg vom Oktoberfest schafft er ohne fremde Hilfe. Gerade noch lag er bäuchlings in einer Gasse an der „Ochsenbraterei“, da taumelt der Mann auch schon davon. Die gerufenen Sanitäter mussten ihn – nach kurzer Untersuchung und auf eigenes Risiko – gehen lassen. Das Party-Volk nimmt davon kaum Notiz, schräg gegenüber klebt Erbrochenes an der Zeltwand. Normalität auf der Wiesn – auch unter der Woche und obwohl die bisherige Bilanz schlecht ausfällt.
Volksfest, Kirmes, Amüsiermeile – für die jährlich rund sechs Millionen Besucher aus aller Welt ist das Oktoberfest ein Kaleidoskop der Möglichkeiten. Es ist auch: Hemmungslosigkeit, Besäufnis und Ursache unzähliger Verletzungen. Rund sieben Millionen Liter Gerstensaft rinnen innerhalb der 16 Tage durch die durstigen Kehlen. Mancher Wiesn-Gast mutet sich da zu viel zu. Dabei sind die Vielzahl der Patienten keine Alkoholleichen: Kreislaufzusammenbrüche, Schnittwunden, Schürfwunden, das sind die gängigen Baustellen der Rot-Kreuz-Sanitäter und -Ärzte.
Der „Kotzhügel“ hilft
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8000 Patienten wurden 2014 vom BRK versorgt, nur 680 mit einer Alkoholvergiftung. Dass diese Zahl verhältnismäßig gering ist, liegt auch am sogenannten „Kotzhügel“. Die steile Wiese zur Theresienhöhe bietet vielen Halbkomatösen die Gelegenheit, ihren Rausch auszuschlafen. Und zieht vielfach Schaulustige an – ein Selfie mit den Willenlos-Berauschten ist immer drin.
Heute ist der Hügel leer, die Luft nasskalt, der Boden sowieso. Ein einzelner Mann schläft seinen Rausch aus. Ein anderer legt sich kurz dazu, sein Kumpel macht ein Foto. Eine Mordsgaudi.
Die, die sich selbst davor bewahren und es doch nicht nach Hause schaffen, landen dann doch auf der Überwachungsstation des BRK. 14 Betten stehen hier zur Verfügung, über dem Kopfende hängen Monitore, die Sauerstoff-Sättigung im Blut, Puls und Blutdruck überwachen. „Das ist ähnlich wie auf der Intensivstation im Krankenhaus“, sagt Nicole Maya (40), die an diesem Tag den Überwachungsraum verantwortet. So wie alle Sanitäter ist auch ihr Wiesn-Einsatz ehrenamtlich.
„Dann haut’s einen halt zusammen“
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Ein junger Mann in Tracht wird reingerollt, seitlich auf der Trage liegend, den Mund blutverschmiert. „Eigentlich müsste die Lippe genäht werden“, sagt Maya. Allein: Bisher musste der Mann sich übergeben. Für einen anderen Mann endet die Zeit auf der Überwachungsstation jäh – mit der Überfahrt ins Krankenhaus. Trotz eineinhalb Litern Infusion und zwei Stunden Ruhezeit hat er sich nicht erholt. Eine Ausnahme: „Unser erklärtes Ziel ist, die Patienten auf eigenen Füßen zu entlassen“, sagt Maya. An diesem Tag ist es ruhig, viele Plätze sind nicht einmal belegt. An einem Samstag herrscht in den Betten indes fliegender Wechsel.
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Der durchschnittliche Kunde der Wiens-Sanitäter sei zwischen 16 und 30 Jahre alt, meist männlich. Maya: „Die meinen, es passt immer mehr rein – aber irgendwann geht’s an die Luft und dann kommt die große Ohrfeige. Dann haut’s einen halt zusammen.“ Hinzu kämen oft Schnittwunden an Händen und Füßen durch zerbrochene Maßkrüge. Patienten wie diese kämen meist selbstständig zu einer der vier Sanitätsstationen. Falls nicht, müssen die Sanis mit einer Trage ausrücken – 2014 kam das 2119 Mal vor.
Warum tut man sich das an?
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Wenn in den Oktoberfest-Straßen dichtes Gedränge herrscht, komme man da nur „freundlich, aber bestimmt“ durch, sagt Rettungsdiensthelfer Stefan Sonnenberg. Ein Sani geht vorneweg und schlägt eine Schneise in die Masse. Bunte Lichter und laute Musik von allen Seiten. Gerade dröhnt Helene Fischers „Atemlos“ aus irgendwelchen Boxen.
Warum man sich das antut? Nicht alle Patienten sind so, wie der Taumelnde an der „Ochsenbraterei“. „Idealismus, Spaß, Teamwork“, sagt Maya. „Man kann Leuten, denen es schlecht geht, helfen.“ Auf dem Oktoberfest geht es vielen Menschen gut – aber manchen geht es eben auch schlecht. Irgendwann.
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Alles zum Oktoberfest 2015 lesen Sie in unserem MZ-Spezial.
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