Auf der Bühne des Nou Camp fällt die Maske. Nicht die von Robert Lewandowski hoffentlich, die seine Gesichtsverletzungen schützen soll. Sondern die von Pep Guardiola. Wie sehr ist er immer noch ein Barça-Mann, verhaftet den Idealen, die er dort prägte? Wie sehr ist sein heutiges Team schon ein Guardiola-Team? Wie sehr ist es sein altes noch? Wie wird es sein, quasi gegen sich selbst zu spielen? Und wie sehr ist er bereit, all das beiseitezuschieben, um einfach nur ein Ergebnis zu erzielen?

Autor: Christian Eichler, Sportkorrespondent in München.
Es ist eine der faszinierenden Seiten des Fußballs, dass sich in der Drucksituation ganz bestimmter, großer Partien jenseits taktischer Planungen und personeller Entscheidungen etwas ganz anderes herausbildet, das über Sieg und Niederlage entscheidet: der Charakter einer Mannschaft, ihre Stabilität unter Stress, ihr spielerisches Erbgut. Druck macht authentisch. So wie es die Nationalmannschaft bei der WM in Brasilien zeigte. Sie gewann natürlich auch Partien, weil sie modern agierte und taktisch brillierte. Aber die wichtigsten, die schwersten Siege gelangen durch die Rückbesinnung aufs Wesentliche des Fußballs: kompromisslose Abwehr, Torwartstärke, Zweikämpfe, Standards, Härte gegen sich selbst und andere, die Geduld, auf Fehler zu warten, die Geistesgegenwart, sie zu nutzen. Deutsche Fußballtugenden.
Pragmatischer Partisanenfußball
Es ist deshalb vielleicht gar nicht schlecht für den FC Bayern, in Barcelona zum ersten Mal in dieser Saison als Außenseiter in ein Spiel zu gehen. Wäre der Kader komplett, die Versuchung wäre groß, das Spiel als ein Duell um taktische Deutungshoheit zu verstehen: Welches der beiden dominantesten Teams Europas ist dominanter? Wer macht das Spiel, wem gehört der Ball? Die Bayern können sich, zumal sie zuerst auswärts spielen, auf Wichtigeres konzentrieren. Eine Außenseitertaktik, Partisanenfußball. Darauf, hinten fehlerlos zu agieren, dem Gegner Räume zu nehmen, vielleicht gar mit einer Fünfer-Abwehrkette, mit gutem Gewissen destruktiv zu sein. Niemand nähme es ihnen übel gegen Europas aktuellen Traum-Sturm Messi/Neymar/Suárez, der 108 Saison-Tore erzielt hat und 20 von 23 Barça-Treffern in der Champions League.
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Der Perfektionist Guardiola hat in München bewiesen, dass er auch ein Pragmatiker ist. Nun braucht er den Mut, das auch in seinem eigenen spirituellen Zuhause, vor seinen eigenen Leuten zu zeigen. Die vorhersehbaren Vorwürfe, mit einer „negativen“ Taktik angetreten zu sein, kann man verschmerzen, wenn sie erfolgreich war. Das ist gutes altes Bayern-Erbgut. Guardiola hat es ein Stück weit angenommen, so wie die Bayern sich manches von seiner Fußballidee angeeignet haben.
Zugleich hat Barça-Trainer Luis Enrique die Spielidee der frühen Pep-Jahre mit größerer Bandbreite versehen, in der, anders als unter Guardiola, sogar Platz für einen reinen Abschluss-Stürmer ist, den gefährlichsten seiner Art, Luis Suárez. So haben sich die beiden großen Teams in ihrer Mischung aus Spielidee und Siegesmentalität aufeinander zubewegt. Und am Ende wird vielleicht nicht entscheiden, ob der FC Bayern ein echtes Guardiola-Team geworden ist, sondern Guardiola ein echter Bayern-Trainer.
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