«Der Trainer ist heute Taktiker, Musiker und Psychologe»
Von Res Strehle.

Triumph der Spielintelligenz: Der FC Bayern hat mit Pep Guardiola den Vertreter des neuen Trainertyps schlechthin.
Bild: Peter Kneffel/Keystone

Klaus Theweleit, 71, ist Literaturwissenschaftler und Kulturtheoretiker in Freiburg (D). Bekannt wurde er Ende der 70er-Jahre mit einem zweibändigen Standardwerk über die deutschen Freikorps («Männerfantasien»). Seither publizierte er zahlreiche weitere Bücher, zuletzt das «Buch der Königstöchter», in dem er sich mit Sagen und Erzählungen über die griechische Sagengestalt Medea und die indianische Häuptlingstochter Pocahontas auseinandersetzt. Über Fussball schrieb Theweleit das Buch «Tor zur Welt: Fussball als Realitätsmodell» (2004). Er hat diverse Lehraufträge in und ausserhalb Deutschlands – diesen Sommer etwa ein Gastsemester in Charlottesville (USA). (rs)
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Übertreiben wir, wenn wir jetzt gleich auf einer ganzen Seite im Kulturteil über Fussball reden?
Ja, wir übertreiben. Andererseits, man kann dafür gute Gründe nennen: Mir ist kürzlich im Gespräch mit der Literaturkritikerin Sigrid Löffler aufgefallen, wie gut sie über die Spielerwechsel informiert war. Sie sagte: Wenn man länger in Deutschland lebt, muss man über Fussball mitreden können. In Wien wars anders: Da reichte es, wenn ich übers Burgtheater mitdiskutieren konnte.
Man muss heute Fussballkenntnisse haben, um am Gesellschaftsleben vollwertig teilzunehmen?
So scheint es. In den Sechzigerjahren musste man über Musik und Film Bescheid wissen, sonst war man aus vielen sozialen Zusammenhängen ausgeschlossen. Heute muss man über Fussball mitreden können. Vermutlich hat das mit dem Verlust von politischen Utopien zu tun. In den früheren Musik- oder Filmdebatten steckte ja stets noch so was wie eine Utopie, im Fussball nicht mehr: Da gehts um Tempo, Taktik, Kampfkraft, Spiel, Akrobatik, vielleicht Tanz noch – aber nicht um eine politische Utopie.
Der Fussball war einst eng mit der Industrialisierung verbunden. Erstaunlich, dass er seinen Stellenwert in der postindustriellen Gesellschaft hat halten können.
Weil er sich gewandelt hat. Spielintelligenz ist viel wichtiger geworden, ein Team ist heute ein Netzwerk. Gleichzeitig werden an die Physis immer höhere Anforderungen gestellt, der Fussball ist ja noch immer stark körperlich geprägt. Wenn Sie im Tor einer guten Mannschaft ein, zwei Bälle unterbringen wollen – dafür braucht es oft schon akrobatische Leistungen.
Der deutsche Clubfussball hat mit Pep Guardiola einen neuen Trainerstar. An ihn richten sich fast schon messianische Erwartungen.
Wer hat die? Die Bayern?
Die Fans.
Die Bayern haben schon alles gewonnen. Jetzt werden die Erwartungen überirdisch. Aber das ist Quatsch, Boulevardunfug. Jeder vernünftige Fussballfan weiss, dass die Bayern auch mit Guardiola hin und wieder verlieren werden.
Guardiola lässt Tiki-Taka-Fussball spielen – den Fussball, des FC Barcelona: mit schnellen Kurzpässen, Überzahl in Ballnähe, Dominanz durch Ballbesitz.
Diesen Fussball spielt längst nicht mehr nur Barcelona. Man nannte ihn die Jahre zuvor auch ICE-Fussball, oder One-Touch-Fussball, weil jeder Spieler den Ball nur kurz berührt, um ihn gleich weiterzuspielen. Dazu gehören hohe Technik und eine starke physische Präsenz, die Verteidigung beginnt schon in der Offensive. Bei Ballverlust greift man sofort vorne an, das ist ein grosser Fortschritt im taktischen Denken.
Guardiola ist auch Musiker und Psychologe. Gehören solche Leidenschaften zum neuen Trainertyp?
Ja, denn Fitnesstrainer müssen sie nicht mehr sein, dafür haben die grossen Clubs eigene Leute angestellt. Der Trainer selber ist heute Taktiker, Musiker, Psychologe – von allem ein bisschen. Wichtige Spiele werden heute im Kopf entschieden, aber natürlich müssen die Beine das auch mitmachen. Schliesslich läuft ein Spieler in den neunzig Minuten heute im Durchschnitt rund einen Kilometer mehr als noch vor fünf Jahren.
Was kann ein Musiker einbringen? Gefühl für den Rhythmus?
Das kann sicher helfen. Besser ist noch das Einüben von Spielsituationen auf der Playstation in elektronischer Form. Das hat etwa der Barcelona-Star Lionel Messi bestätigt, wenn er sagt, er sei als Messi an der Playstation noch besser als der körperliche Messi auf dem Platz. Im aktuellen Fussball ist viel mehr feinstoffliches Denken als im alten.
Das bedeutet, dass militärisch zackige Trainertypen wie Alex Ferguson oder Otto Rehhagel nicht mehr gefragt sind?
Sehr wahrscheinlich nicht. Wobei die beiden ja auch taktisch ausgefuchst waren. Ein aktuelles Beispiel wäre vielleicht Thomas Schaaf. Er hat Bremen über ein Jahrzehnt sehr erfolgreich trainiert, aber in den vergangenen zwei Jahren hat sich gezeigt, dass seine Art des traditionellen Fussballs etwas überholt ist.
Lebt dieser Typus noch weiter in der Person des Fussballpräsidenten?
In den Präsidenten und oft auch in den Fussballmanagern. Ein Matthias Sammer etwa ist bei den Bayern bekannt für seine polternde Art. Das kann eine Saison lang funktionieren, aber auf Dauer eher nicht. So ein Typ verunsichert. Beim modernen Kurzpassspiel zum Beispiel sind Fehlpässe in der Abwehr tödlich. Die Spieler müssen folglich mit einer gewissen Ruhe und Ausgeglichenheit auf dem Platz stehen. Dafür brauchen sie neben Spieltechnik auch psychische Sicherheit, die kann ihnen dieser Managertyp nicht vermitteln.
Der Schriftsteller Albert Camus war in seiner Jugend in Algier Torhüter. Er hat später geschrieben, alles, was er über den Menschen wisse, wisse er vom Fussball.
Das hat was. Wobei dies für alle Bereiche gilt, in denen eine hohe Intensität da ist: Druck, Auseinandersetzung, Startum und so weiter. Wer eine Banklehre bis zu einer hohen Position durchläuft oder eine Unikarriere von ganz unten bis oben absolviert, wird über den Menschen auch alles lernen. Und so ist es im Spitzenfussball – man lernt alles; ausser der Intensität sexueller Liebe.
Auch Homosexualität scheint im Fussball tabu zu bleiben.
Dieses Tabu hat sich ein wenig aufgeweicht, vor allem auch dank dem Frauenfussball, wo sich eine Spielerin leichter als lesbisch outen kann. Der neue Trainertyp wird einen Spieler, der sich outet, nicht mehr verdammen oder ihn als schwule Tunte bezeichnen. Eher droht ihm Gefahr von Mitkonkurrenten um seinen Stammplatz oder von den Medien.
Homoerotische Szenen gibt es im Torjubel ja oft. Was halten Sie von den neuen Triumphgesten einzelner Starfussballer wie Mario Balotelli?
Einzeltriumphe empfinde ich generell als unsympathisch, das ist altes Macho-Ausstellertum. Am sympathischsten ist es noch, wenn sich ein Spieler auf den Rasen wirft und die Mannschaft als Traube darüber.
Und wenn sich einer aus Freude das Shirt vom Leib reisst?
Das hat mich nie gestört. Wenn ihm der Schiedsrichter dafür die Gelbe Karte zeigt, ist das eine typische Disziplinierungsgeste des Verbandes. Fussballer sind nach wie vor so unfrei wie Arbeiter – die jubeln ja auch nicht, wenn sie ein Auto fertig gebaut haben. Man meint, sie zähmen zu müssen wie wilde Tiere.
Ist der Starkult heute durch die Massenmedien stärker ausgeprägt?
Eindeutig. Aber er hat auch mit fachlicher Anerkennung zu tun. Millionen spielen Fussball oder fahren Rad und haben damit ein ganz anderes Verständnis, welche Leistung einer erbringt, wenn er eine Pyrenäen-Etappe in hohem Tempo meistert. Interessant ist auch, wie technische Entwicklungen im Radsport auf Freizeiträder übertragen wurden.
Zeigt sich im Starkult auch der Wunsch, sich als Fan eine fremde Identität überzustülpen?
Natürlich. Aber diesen Wunsch hatten wir als Kinder schon. Wenn wir auf der Strasse gespielt haben, war jeder ein berühmter Spieler. Spiele überhaupt unterscheiden sich ja von anderen sozialen Ereignissen, dass man jederzeit die Figuration wechseln kann.
Sehen Sie die Fankultur im Fussball eher positiv oder negativ?
Das Negative überwiegt. Viele Fangruppen nehmen den Fussball nur zum Anlass für anderes – meist für Gewaltausübung. Ich habe Spiele erlebt, da stand die Hälfte der Fans mit dem Rücken zum Spiel in einer völlig selbstreferenziellen Welt. Das waren jedenfalls keine leidenschaftlichen Fussballfans, die das Spiel hautnah mitverfolgen und mitlesen.
Welcher Charaktertyp zeigt sich bei den «negativen» Fans?
Ich glaube, dass sich da oft junge Männer sammeln, die im Leben nicht gut zurechtkommen; sie fühlen sich gesellschaftlich geringgeschätzt und suchen dann oft physische Gewalt als Bestätigung ihrer Lebenswelt. Von der Psychophysiologie kann ich das ganz gut verstehen. Nicht alle können solche Bedürfnisse im Militär ausleben, bei der Polizei oder in politischen Verbänden. Deshalb erstaunt mich auch nicht, dass es in einzelnen gewalttätigen Fangruppen Überschneidungen mit der Neonaziszene gibt.
Im Frauenfussball gibts das alles nicht, trotzdem kann er sich nicht richtig durchsetzen.
Nur bei Grossereignissen wie Welt- oder Europameisterschaft.
Eine Frage der Zeit, bis sich das ändern wird?
Hauptproblem ist, dass Tempo und Kampfkraft im Männerfussball höher sind. Frauenfussball kann ausgesprochen spannend sein, man darf ihn einfach nicht mit dem Männerfussball vergleichen. Die beste Frauenmannschaft wird gegen ein B-Nachwuchsteam von Männern verlieren – einfach, weil die jungen Männer zwei Tick schneller am Ball sind als die Frauen.
Im Frauenfussball lässt sich im Unterschied zu den Männern nicht gross Geld verdienen. Was sagt es über eine Gesellschaft aus, wenn Starfussballer gleich viel verdienen wie Topmanager, man es den Fussballern aber nicht neidet?
Bei Managern sieht man nicht, was sie tun und wessen Verdienst es war, wenn es einer Firma gut geht. Bei einem Fussballer sieht man die artistische Leistung auf dem Platz und kann sie mit dem eigenen Körper nachvollziehen; deshalb gönnt man ihm das Geld ebenso wie einem Schauspieler oder einer Sängerin. Star gleich Star. Und Star heisst: Sonderkonditionen – ohne Neid.
(Tages-Anzeiger)
Erstellt: 10.08.2013, 10:43 Uhr
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