Pilsen/München.
Das triste Ambiente in Pilsen besaß Symbolcharakter. Ein Hotel am Rande einer Plattenbausiedlung hatte sich der FC Bayern für seine Dienstreise ausgesucht. Als Uli Hoeneß dort gestern mit der Mannschaft eintraf, war das anstehende Spiel beim tschechischen Meister längst zur Nebensache geraten. Es ging nun vor allem um Hoeneß – und die Frage, ob er ins Gefängnis muss.
Am Vormittag hatte die Pressestelle des Oberlandesgerichts München II mitgeteilt, dass die Anklage der Staatsanwaltschaft München II gegen den 61-Jährigen wegen Steuerhinterziehung „unverändert“ zur Hauptverhandlung zugelassen wird. Der Prozess soll am 10. März 2014 beginnen, angesetzt sind vier Verhandlungstage.
Beim FC Bayern hatte man es kommen sehen: Kaum war die Pressemeldung der Justiz in der Welt, ging auch schon eine Stellungnahme des FCB-Aufsichtsrats online, der zufolge Hoeneß nicht zurücktreten soll. Der Rat mit fünf Vertretern großer Konzerne, in denen man üblicherweise peinlich genau auf ein sauberes Image bedacht ist, hatte sich mit einem Gutachten renommierter Juristen munitioniert. Demnach verstößt der Aufsichtsrat nicht gegen seine Pflichten, wenn er an Hoeneß festhält, obwohl ein Hauptsacheverfahren eröffnet wird.
Das alles musste von langer Hand vorbereitet sein. Dennoch gab sich Hoeneß in Pilsen verwundert. Er wirkte konzentriert und angespannt, vorsichtig wählte er seine Worte. „Ich bin überrascht, dass die Selbstanzeige nicht als wirksam erachtet wird“, sagte er. Man wolle alles tun, um das Gericht noch bis zum März von „unseren Argumenten“ zu überzeugen. Offenbar glaubt Hoeneß, den Prozess doch noch verhindern zu können. Dass ein Gericht nach unveränderter Zulassung der Anklage und Anberaumung von Verhandlungsterminen die Hauptverhandlung noch abbläst, wäre freilich ziemlich einmalig in der deutschen Rechtsgeschichte.
Sollte sich Hoeneß etwas vormachen, so sieht der Aufsichtsrat die Sache realistisch und baute für den Fall einer Verurteilung schon einmal vor: Selbst wenn es dazu komme, bedeute dies kein Amtsverbot, hieß es in der Stellungnahme: Vielmehr gebe es „hinreichend Beispiele für Fälle, in denen Vorstands- und Aufsichtsratsmitglieder selbst börsennotierter Gesellschaften ihr Mandat behalten haben, obwohl ihnen der Vorwurf gemacht wurde, in anderen Lebensbereichen strafrechtliche Pflichten verletzt zu haben“.
Die Münchener Strafjustiz wird sich nun auf ein neues Medienspektakel vorbereiten, das in seinen Ausmaßen dem laufenden Prozess gegen die Rechtsterrorgruppe NSU kaum nachstehen dürfte. Wie in Steuerstrafverfahren üblich, wurden keine weiteren Angaben über den Inhalt der Anklage gemacht. Umso mehr war über die Hintergründe spekuliert worden. Fest steht, dass Hoeneß mit Hilfe von Steuerfachleuten eine Selbstanzeige gestartet hatte, die aber offenbar schief gegangen ist. Die Staatsanwaltschaft klagte die Steuerhinterziehung auch nicht vor dem Amtsgericht, sondern vor dem Landgericht an, was ebenso wie der gegen Kaution außer Kraft gesetzt Haftbefehl auf eine größere Dimension hinweist.
Über ein Konto in der Schweiz soll der Bayern-Präsident und Würstelfabrikant im Laufe mehrerer Jahre 3,2 Millionen Euro Steuern hinterzogen haben. Wenn sich dies vor Gericht bestätigt, droht der Fußball-Legende Gefängnis. Mehrfach hat der Bundesgerichtshof festgestellt, dass bei mehr als einer Million Euro an hinterzogenen Steuern eine Strafaussetzung zur Bewährung nicht mehr in Frage kommt. Darum wird es für Hoeneß jetzt in erster Linie gehen: Eine Bewährungs- und keine Gefängnisstrafe zu bekommen, die im schlechtesten Fall bis zu zehn Jahre betragen könnte. Straffrei aus der Sache zu gehen, das ist seit gestern mindestens unwahrscheinlicher geworden.
Zumindest Hoeneß weitere Aussage in Pilsen, er sei nicht überrascht, weiter vom Aufsichtsrat gestützt zu werden, ließ sich nachvollziehen. „Von Anfang an“ sei das ja so gewesen, sagte er, das habe ihm und seiner Frau „extrem geholfen“. Vor allem rechtlichen Beistand wird Hoeneß auch in Zukunft gut gebrauchen können.
Zum Thema:
RückblickJanuar 2013: Hoeneß erstattet beim Finanzamt Selbstanzeige – wegen nicht abgeführter Steuern auf Kapitalerträge durch Gelder auf einem Schweizer Privatkonto.20. März: Die Ermittlungsbehörden erwirken einen Haftbefehl und durchsuchen sein Haus am Tegernsee. Der Haftbefehl wird gegen eine Kaution in Millionenhöhe außer Vollzug gesetzt.20. April: Der „Focus“ macht die Selbstanzeige und die Ermittlungen der Staatsanwaltschaft München II wegen des Verdachts der Steuerhinterziehung öffentlich. 22. April: Die „Bild“ berichtet über eine angebliche Spielsucht von Hoeneß an der Börse und ein Millionen-Darlehen des früheren „adidas“-Bosses Robert Louis-Dreyfus. 22. April: Hoeneß schließt einen Rücktritt als Bayern-Präsident und Aufsichtsrats-Chef der Bayern München AG aus.23. April: Hoeneß gesteht in einem Interview einen „schweren Fehler“ ein.1. Mai: Hoeneß räumt in einem Interview seine Zockerleidenschaft ein.30. Juli: Die Staatsanwaltschaft München II erhebt Anklage wegen Steuerhinterziehung. 4. November: Die Wirtschaftsstrafkammer des Oberlandesgerichts München II lässt die Anklage vom 30. Juli 2013 „unverändert“ zur Hauptverhandlung z u. Der Prozess soll am 10. März 2014 beginnen. sid