Der Fall Götze: Gehobene Wohlstandsverwahrlosung

Liebe Fußballfreunde,

Fußballstars sind die Ikonen unserer Zeit. Wem sage ich das. Wir verbringen mit ihnen mehr Zeit als mit dem eigenen Partner. Jeden Samstag und Mittwoch, dazu Montag (2. Liga), Dienstag (CL), Donnerstag (EL) und Sonntag (BL). Das hat die Bundesliga der Kirche und der Ehe voraus, wo, nach jüngsten Erhebungen, die früher versprochenen Pflichten (Kirchgang, Sex) nicht mehr gefragt sind. Aber vom Fußball und seinen Helden können wir einfach nicht genug bekommen. Eine Art multiple Ejakulation von Tor, Triumph und Spektakel in unserem ziemlich durchschnittlichen Leben. Aber wahr ist auch: das Millionengeschäft Fußball ist keine charakterbildende Maßanstalt. Die Ikonen bedienen unsere Sehnsüchte nach einem besseren Leben und sind doch, bei genauer Betrachtung, wohlstandsverwahrloste Buben, die der Fußball in seiner grotesken Korrumpierbarkeit missbraucht. Insofern sind etwa ein Mario Götze oder ein Robert Lewandowski, die das System “Fußballgeschäft” in jüngster Zeit in besonderer Weise herausgefordert haben, Archetypen des neuen Spielers: clever und smart, dreist und doof. Dass wir uns richtig verstehen: bei der Kohle wäre ich das auch.

Jede Wette: Götze kassiert für sein Guerilla-Marketing extra

Das Beispiel Mario Götze, 21 Jahre. Als der Hochtalentierte in Dortmund groß und bekannt wurde, war keine Geschichte über ihn zu lesen, in der nicht sein bürgerliches Elternhaus gelobt wurde. Immer mit Verweis auf den Vater, ein anerkannter Professor für Datentechnik mit Yale-Erfahrung, der seinem Sohn einen höheren Bildungskanon mit auf den Weg gegeben habe. Götzes höherer Bildungskanon erschöpft sich heute beim FC Bayern in einer alerten Stenzhaftigkeit: gezupfte Augenbrauen, pomadisierte Haartolle, die übliche Modellfreundin und eine Guerilla-PR seines Ausstatters NIKE, die selbst den größten Werbegurus des Landes Respekt einflößen dürfte. Wer glaubt, dass Götze auch nur einen Cent der fünfstelligen Geldstrafe selbst bezahlen musste, als er im Sommer sein Adidas-Trikot der Bayern im NIKE-T-Shirt der Weltöffentlichkeit präsentierte, der glaubt noch an den Weihnachtsmann. Man muss sogar davon ausgehen, dass die Aktion ihm einen Extra-Bonus seines Ausrüsters eingebracht hat. Wie anders ist es zu erklären, dass Götze jüngst erneut – diesmal im DFB-Team – mit den Socken seines Ausrüsters aufgetreten ist. Dass Götze ein NIKE-Spieler ist, weiß heute jedes Kind – ganz ohne millionenteure Werbekampagne. So zynisch, so das Geschäft.

Kein Fußballer kann heute noch eine gesellschaftliche Diskussion anstoßen

Ich bin ganz ehrlich: ich vermisse Athleten, die qua Haltung mehr sind als nur Sportler, die mehr sind als nur die Summe ihrer Sponsorenüberweisungen. Ein Muhammed Ali, der den Kriegsdienst verweigerte; ein Boris Becker, der Sympathien für die Hausbesetzer in der Hamburger Hafenstrasse entwickelte oder Handball-Punk Stefan Kretzschmar, der in der NPD-Hochburg Magedeburg eine dunkelhäutige Kubanerin ehelichte. Alle drei haben, jeder für sich, über ihren Sport hinaus fasziniert und polarisiert. Sie waren in der Lage eine gesellschaftliche Diskussion in Gang zu bringen, das kann kein Fußballer der heutigen Generation mehr und sei er noch so talentiert. Warum ist das so?

Macht Fußball dumm?

Der Spitzensport, der Hochleistungsfußball zumal, hat für Charakterbildung nichts mehr übrig. Er hält seine Protagonisten intellektuell an der kurzen Leine. Es geht nicht um Reflexion, Erfahrungssuche, Offenheit, Lernen, Wissbegierde. Wenn es darum ginge, könnte sich kein Profi mehr damit begnügen ausschließlich gegen den Ball zu treten. Eine solche charakterliche Monokultur führt zwangsläufig zur kindischen Einfalt. Noch dazu, wenn man dafür mehr Geld verdient als Bundeskanzler, Bundespräsident und Bundestrainer zusammen. Keiner offenbart das gerade besser als Boris Becker, der einmal – so hört man – Wimbledonsieger gewesen sein soll, mit seiner aktuellen Autobiographie (weitere folgen). Bobbele sieht inzwischen aus wie ein Süchtling, aber er benimmt sich wie ein Kleinkind, dem man den Duzi weggenommen hat. Es gibt nicht wenige, die der Meinung sind, dass Sport in seiner Ausschließlichkeit nur Dummköpfe hervorbringt. Insofern muss man froh sein, dass Ali keine Biographie mehr diktieren kann.

Guter Witz: Ausgerechnet Götze ist das Herz der Bayern

Mario Götze ist derweil schon wieder raus den Negativ-Schlagzeilen und mittendrin in seinem stenzhaften Superstardasein. “Götze ist das neue Herz des FC Bayern” schrieb die WELT nach dessen drei Vorlagen im Mainz-Spiel. Ausgerechnet. Götze, dessen Autobiographie wir dringlich erwarten, darf sich also bestätigt fühlen in seiner Rolle als Sonderbotschafter seines Sponsors, der nicht der Bayern-Sponsor ist und er trotzdem das Herz sein darf. So kulant waren Bayern nicht immer. Wie er selbst seine Fauxpas erklärt hat? „Zur Erklärung – dies sind Kompressionsstrümpfe, die ich wegen meiner Verletzung seit längerer Zeit trage.“ Vadder Götze muss sich dringend einen neuen Bildungskanon für den Sohnemann ausdenken.

Einen halbwegs intelligenten Spieltag wünscht,

Thilo Komma-Pöllath

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