Das Objekt der Begierde

Berlin.
Der DFB hat sich Mühe gegeben, vermutlich noch zwei junge, hippe Mediengestalter aufgetrieben, die sich auf Inszenierung verstehen. Und so flimmern die schnell geschnittenen Bilder vom Siegeszug des FC Bayern München durch den diesjährigen Pokalwettbewerb über die Mattscheiben in der Aufwärmhalle des Berliner Olympiastadions. Jupp Heynckes sitzt daneben, die Bilderflut interessiert ihn eher beiläufig. Der Bayern-Trainer weiß: Die tiefere Wahrheit über die Rekord-Bayern verraten sie nicht. Denn Berlin, das war vor gut einem Jahr der Tiefpunkt, der Beginn einer Reise, die nun, am heutigen Samstag, mit dem Finale gegen den VfB Stuttgart (20 Uhr, ARD) im Triumph enden soll.

Am 12. Mai 2012 wurde der FC Bayern nebenan im Olympiastadion vom Rivalen Borussia Dortmund beim 2:5 vorgeführt, ja verprügelt. Der Schmerz der Niederlage, extrem verstärkt durch das „Drama dahoam“ eine Woche später gegen Chelsea, war der Ausgangspunkt für eine Saison der Superlative. Nun stehen die Bayern in Berlin, „um etwas Historisches zu schaffen, etwas, was in Deutschland noch nie jemand vollbracht hat“, wie es Chefdiplomat Philipp Lahm gewohnt staatstragend formuliert. Das Triple hat inzwischen beste Chancen, zum Wort des Jahres gekürt zu werden – und vermutlich käme bei einem Pokalerfolg die Idee auf, dass die Weiter-immer-weiter-Bayern mit Weltpokal und Supercup nun doch bitte schön das, äh, Quintuple in Angriff nehmen sollten.

Doch der DFB hat zuvor das Pokalfinale angesetzt, zu dem mit dem VfB Stuttgart ein Ernst zu nehmender Gegner erscheinen wird. Zumindest auf dem Papier, denn längst spielen die Bayern vor allem gegen die Geschichte an: jene des finalen Scheiterns haben sie mit dem Sieg in Wembley umgeschrieben, nun geht es um ein neues Kapitel für die Annalen des Fußballs.

Es ist die größte Klippe, die der FC Bayern zu nehmen hat; weniger das Potenzial des VfB Stuttgart als vielmehr nach der Gefühlsexplosion von London ein letztes Mal Willen zu transportieren am Ende einer langen Dienstreise. „Es war sicher sehr schwer, wieder zur Normalität zu kommen“, gesteht Jupp Heynckes, der dabei allerdings so normal wirkt, als wäre er nie in Wembley gewesen. Aber seit Mittwoch sei er doch sicher, „dass wir den Hebel wieder umlegen können. Wir sind noch gierig.“

Das gilt auch für den 68-Jährigen selbst, der in seiner langen Karriere schon allerhand hübsche Trophäen gewonnen hat – einzig der DFB-Pokal war in seiner Trainerlaufbahn nie dabei. Es wäre eine hübsche Pointe für den Mann vom Niederrhein, in seinem mutmaßlich letzten Spiel auf der Bank nun auch diese kleine Lücke im heimischen Vitrinenschrank zu füllen. Jupp Heynckes begegnet solchen Einordnungen eher gelangweilt: „Es ist jetzt keine furchtbare Obsession.“ Man darf ihm das glauben, weil bei diesem wohltemperierten Herrn nichts obsessiv wirkt.

Äußert sich Heynckes Samstag?

Und wenn dieser Josef Heynckes von irgendetwas besessen wäre, dann wohl nur von der Vorstellung, noch einmal Real Madrid zu trainieren. Erstaunlich hartnäckig halten sich die Spekulationen, Heynckes könne das Leben in Spanien dem mit Frau Iris und Schäferhund Cando auf seinem Landsitz in Fischeln vorziehen.

Der 68-Jährige hat längst Gefallen daran gefunden, mit seiner Zukunft zu kokettieren. Er, der vielen noch vor kurzer Zeit als Mann der Vergangenheit galt, verkörpert in der kurzatmigen Branche plötzlich ein Objekt der Begierde. Heynckes kann das genießen. Zumindest ein paar Tage noch. Kommende Woche will er sich erklären. Spätestens. „Wenn ich gut aufgelegt bin, sage ich vielleicht am Samstag was zu meiner näheren Zukunft.“ Er dürfte wissen: Größer, strahlender als jetzt wird die Figur Jupp Heynckes nie erscheinen.

Dirk Graalmann

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