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Konservative Trachtenmode und Grüne wählen: Auf dem Marktplatz von Prien ist das kein Widerspruch
Vor einigen Jahren hätten Claudia Stamm und Ulla Zeitlmann noch die große bayerische Seinsfrage provoziert: Ja, wo samma denn? Zwei Töchter aus dem CSU-Adel, die bei den Grünen Karriere machen, mitten im Chiemgau, dem Traumland Ludwigs II. – das wäre so unwirklich erschienen wie im 19. Jahrhundert der Nachbau des Schlosses Versailles in der bayerischen Seen- und Bergwelt. Doch Ludwigs Phantasmagorie ist längst steingewordene Selbstverständlichkeit – mancher Besucher aus Asien oder den beiden Amerikas, der auf großer Europa-Tour ist, mag den Eindruck haben, das Original stehe auf Herrenchiemsee und die Kopie in Frankreich. Bei der CSU und den Grünen verhält es sich mittlerweile ähnlich: Auch hier fällt es schwer, zwischen Original und Kopie zu unterscheiden. Wenn Horst Seehofer sich im Landtagswahlkampf als „Vater der Energiewende“ feiert, hilft den Zuhörern zur Selbstvergewisserung nur ein Blick auf das Parteilogo des Rednerpults.
Die Vermessung, wer sich bei dieser politischen Kontinentalverschiebung auf wen zubewegt hat – die CSU auf die Grünen, die Grünen auf die CSU -, hängt vom Standpunkt des Betrachters ab. Jedenfalls sind beide Parteien an jenem ominösen Ort angelangt, der als Mitte der Gesellschaft apostrophiert wird. Ebendort, wo Claudia Stamm und Ulla Zeitlmann an einem schönen Spätsommertag stehen, mitten auf dem Priener Wochenmarkt. Sie brauchen sich zwischen den Obst-, Wurst- und Käseständen nicht einmal mit einem „Do samma!“ zu behaupten.
Es wird für selbstverständlich genommen, dass sie für die Grünen und für sich werben – Claudia Stamm kandidiert für den Landtag, dem sie schon angehört, Ulla Zeitlmann für den Bundestag, in dem sie eine Novizin wäre. Und mancher, der stehen bleibt und wie die Inkarnation eines CSU-Wählers ausschaut, im Trachtenoutfit, den Autoschlüssel am Bandl, outet sich gleich im ersten Satz als Grünen-Wähler: „Mei Stimm habt’s eh.“

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Claudia Stamm …
Künftigen Historikergenerationen, die eine biographische Notiz über Barbara Stamm verfassen, könnte drohen, dass sie sich korrigieren lassen müssen: Die sei zwar Sozialministerin und später Landtagspräsidentin, aber mitnichten bei den Grünen, sondern bei der CSU gewesen. Und zwar zu Zeiten, in denen die CSU noch vehement gegen eine Ganztagsbetreuung von Kindern gefochten hätte – auch wenn Seehofer 2016 bei seinem Ausscheiden aus den Ämtern des bayerischen Ministerpräsidenten und CSU-Vorsitzenden als Vater der Ganztagsbetreuung gerühmt worden sei.
Bei den Grünen sei ihre Tochter Claudia Stamm gewesen – und bei den Grünen habe es sich auch nicht um eine Unterorganisation der CSU gehandelt. Zu ihrer Entlastung könnten die so Gescholtenen nur Rekurs auf Archivalien nehmen, die belegen, dass es schon anno 2013 schwierig gewesen ist, beide Parteien auseinanderzuhalten.
Kein schwarz-grünes Gemunkel im Wahlkampf
Der Werbeflyer, den Claudia Stamm an diesem Tag in Prien verteilt, ist jedenfalls wenig geeignet zu einer Differentialdiagnostik zwischen CSU und Grünen. Sie ist für ein Bayern „ohne Zubetonieren unserer Natur und ohne Gentechnik“. Für „eine Gesellschaft, die gerechter ist“. Für „gleiche Chancen für alle Menschen und für eine humane Flüchtlingspolitik“. Seehofer könnte dabei immerzu ein herzhaftes „Ich aber auch und wie!“ ausstoßen, samt seiner unvergleichlichen Intonation des Wortes Chancen: „Schaasen“. Und das große Abschlussbekenntnis von Claudia Stamm müsste eigentlich unvermeidlich in den Ruf in ein Kabinett Seehofer münden, in das Heimatministerium, das er nach der Wahl einrichten will: „Damit es auch morgen und übermorgen lebendige Städte und Gemeinden gibt, mit Schulen und Nahversorgern, einer gewachsenen Infrastruktur, schnellem Internet und vernünftigen Nahverkehr.“

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… und Ursula Zeitlmann machen bei den Grünen Karriere
Es gibt allerdings kein schwarz-grünes Gemunkel im bayerischen Landtagswahlkampf – aus einem banalen Grund: Die CSU kann, sollte sie eine eigene Mehrheit verfehlen, darauf setzen, dass ihr die FDP oder die Freien Wähler ein Weiterregieren erlauben ohne lästige Identitätsfragen. Seehofer wird weiterhin sagen können, er habe den sanften Donauausbau durchgesetzt und für die Abschaffung der Studiengebühren gesorgt – ohne einen quengeligen Koalitionspartner, der auf Urheberrechte pocht. Was sollte Seehofer auch reiten, den unerschütterlichen Koalitionspazifisten Martin Zeil von der FDP – unter CSU-Granden „Da Matin“ genannt und längst reif für den Friedennobelpreis, so stoisch hat er in den vergangenen fünf Jahren die Attacken der CSU ertragen – gegen die scharfzüngige, bellizistische Margarete Bause, die Spitzenkandidatin der Grünen, einzutauschen? Seehofer mag hohe Einsätze beim politischen Spiel – er will aber der große Gewinner sein, der allenfalls noch kleine Gewinner an seiner Seite duldet.
Sind die Grünen die sympathischste CSU?
Zumal bei einer schwarz-grünen Koalition – die schon 2008 eine satte Mehrheit aufbieten hätte können, mit 43,4 Prozent der Stimmen für die CSU und 9,4 Prozent für die Grünen – die Verwechslungsgefahr noch größer sein könnte, als sie jetzt schon ist. Bei Wolfgang Zeitlmann, dem Vater von Ulla Zeitlmann, bedürfte es allerdings keiner allzu aufwendigen Dokumentation, um nachzuweisen, dass er nicht von 1987 bis 2005 für die Grünen im Bundestag saß, sondern für die CSU. Einige seiner damaligen Reden gegen die doppelte Staatsbürgerschaft dürften reichen. Einer seiner Lieblingsgegner war der Grüne Volker Beck, der mittlerweile so gravitätisch-staatsmännisch, so beeindruckt von der eigenen Größe auftritt und argumentiert, dass Markus Söder wie ein in die Jahre gekommener Sponti wirkt. Wer will, kann Wolfgang Zeitlmann, der mit Gerda Hasselfeldt, der Vorsitzenden der CSU-Landesgruppe, verheiratet ist, als Exponent einer CSU-Epoche betrachten, als die Partei noch nicht von der Seehoferschen Kontinentaldrift erfasst worden war.
Wer sich anstrengt, kann noch einige Differenzpunkte zwischen Schwarz und Grün finden – das Betreuungsgeld hält Ulla Zeitlmann für „total verfehlt“. Ihre Unterscheidungskraft hat die politische Farbenlehre auch noch im Streit um den Bau einer dritten Startbahn am Münchner Flughafen nicht ganz eingebüßt. Oder in der Energiepolitik, aber halt, da wird es schon wieder schwierig. Sie kämpfe für „eine saubere, sichere und bezahlbare Energieversorgung in Bürgerhand – mit hundert Prozent erneuerbarer Energie“, steht auf einer Werbekarte, die Ulla Zeitlmann in Prien verteilt. Auch im „Bayernplan“ der CSU wird das Hohelied der „Energiewende von unten“ und der „Bürgerenergie“ gesungen – und das Ziel genannt, spätestens bis 2022 die Hälfte des in Bayern benötigten Stroms aus erneuerbaren Energien zu beziehen. Das Wort „Atomkraft“ kommt bei der CSU in ihrem „Bayernplan“ gar nicht mehr vor, auch nicht so sperrige Begriffe wie „Brückentechnologie“ für ihre friedliche Nutzung.
Zumindest an diesem sonnigen Tag in Prien ist die Frage unausweichlich: Sind die Grünen die sympathischste CSU, die es je gab? Sie gehören jedenfalls längst zum schönen Bayern – zum Land der Rohrnudeln, Schuxen und Auszognen, die am Markt feilgeboten werden; Letztere sind auch für Gegner von Selbstentblößungen unbedenklich genießbar. Oder ist die CSU die wirksamste Grünen-Formation, die es je gab – mit einem Seehofer, der durchsetzt, was Bause und ihre Mitstreiter fordern? Die Integrationskraft in Bayern ist schon immer groß gewesen, nicht nur bei französischen Königsschlössern; wer einmal im Spiegelsaal auf Herrenchiemsee war, will gar nicht mehr nach Versailles.
Quelle: F.A.Z.
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CSU und Grüne: Vergleiche Seehofer, Horst (2008)
CSU und Grüne
Vergleiche Seehofer, Horst (2008)
Von Albert Schäffer, Prien am Chiemsee
Der Landtagswahlkampf in Bayern hat seine ganz eigene Plagiatsaffäre. Bei CSU und Grünen fällt es den Wählern schwer, zwischen Original und Kopie zu unterscheiden.
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