Bruno und Luca unterbrechen an diesem Morgen plötzlich ihr Gespräch, sie haben über Pep gegen Guardiola geredet, das emotionale Rendezvous des Katalanen mit seiner Vergangenheit, Bayern gegen Barcelona, und über die neue Bar am Zürichsee, die Bruno kürzlich entdeckt hat, mehr geplaudert als diskutiert, aber jetzt werden sie hellhörig. Am Nebentisch sitzt einer, sie kennen sein Gesicht, weil er immer wieder mal ins Bistro kommt, er muss im Fussballbusiness tätig sein, aber wie er heisst, wissen sie nicht. Er telefoniert viel, trifft manchmal Leute zu einem Kaffee, mit denen er über Transfers und Geld spricht, über Verhandlungen und Verträge, Spieler und Clubs, wenn sie Namen nennen, reden sie jeweils leiser, manchmal flüstern sie mehr. Auch jetzt verstehen Bruno und Luca kaum, was der Unbekannte am Handy bespricht, aber zu Beginn des Gesprächs hat Bruno diesen Satz mitbekommen: «Canepa hätte ihn gerne als neuen Trainer geholt, wir haben mit ihm verhandelt, aber es klappte nicht, der Trainer hat sich anders entschieden.» Und das Wort «Bundesliga» vernahm Bruno noch.
«Canepa.»
«Neuer Trainer.»
«Bundesliga.»
Bruno macht sich Gedanken. Ancillo Canepa hat er durch einen gemeinsamen Freund einmal kennen gelernt, und er hat natürlich gelesen, was der Präsident, der in seinem Club auch Mehrheitsaktionär und Sportchef und eigentlich für alles zuständig ist, kürzlich gesagt hat, besonders deutlich in einem Interview mit der NZZ, die er wie andere Zeitungen lange boykottiert hat, inzwischen aber spricht er mit ausgewählten Journalisten wieder. Canepa sagte in diesem Interview: «Wir sind ein Team, im sportlichen Erfolg wie auch im Misserfolg. Wir werden gemeinsam aus dieser Situation herauskommen.» Und mit Sicherheit werde er mit Trainer Urs Meier in die neue Saison gehen, «auch wenn wir absteigen», war seine letzte Antwort.
Aber: «Neuer Trainer» und «Bundesliga» hat der Mann am Nebentisch in sein Handy gesprochen.
Von der Bundesliga fasziniert
Bruno weiss, wie fasziniert Canepa von der Bundesliga ist, im Arbeitszimmer seines Hauses in Rüschlikon hat er eine mehrere Meter lange Bibliothek mit allen Ausgaben des deutschen Magazins «Kicker» seit 1952, als weltweit Einziger, und er ist sehr stolz darauf. Es war für Canepa wie Weihnachten, als er vor einem Champions-League-Spiel auf dem Uetliberg die Bayern-Bosse Hoeness und Rummenigge empfangen und eine Ansprache halten durfte. Und als der FCZ einen neuen Trainer suchte und sich unter sehr vielen auch Lothar Matthäus um die Stelle bewarb, bekam er leuchtende Augen – Matthäus beim FCZ! – und hätte ihn am liebsten gleich verpflichtet.
Jetzt aber ist Urs Meier der Trainer, er war nur seine Wahl gewesen, und Canepa verteidigt ihn nach jeder Niederlage, es sind inzwischen einige, wie ein Vater seinen Sohn. Wenigstens nach aussen. Die ganze Wahrheit ist es aber offenbar nicht. Canepa hat andere Namen im Kopf, er führt Gespräche, und wenn sich dieser Trainer anders entschieden hat, wie der Unbekannte am Nebentisch sagte, dann war es vielleicht Bruno Labbadia – oder dann Michael Frontzeck.
«Und?», fragt Luca, «willst du jetzt über Moral im Fussball reden? Was Canepa macht, ist doch legitim, und er wird sagen, es sei seine Pflicht, sich darüber Gedanken zu machen, wenn es mit Meier nicht mehr gehen sollte . . .»
. . . Bruno unterbricht ihn: «Wie hat doch der französische Philosoph Albert Camus gesagt: Alles, was ich über Moral und die Pflichten der Menschen weiss, verdanke ich dem Fussball.» Die beidenhoffen, dass der Unbekannte am Nebentisch bald wieder ins Bistro kommt. (Tages-Anzeiger)
(Erstellt: 27.04.2015, 21:49 Uhr)