Langsam klettert der Mann den Baum hinunter. Ast für Ast tastet er sich voran, er wirkt unsicher. Am Boden blicken fast alle zu ihm hinauf. Sanitäter laufen mit einer Trage herbei, Feuerwehrleute sammeln sich um den Baum. Rund um den Stamm haben sie Kissen in Position gebracht. Laute Rufe seiner Mitstreiter auf einem anderen Baum schallen über den Platz. Die protestierenden Flüchtlinge unterhalten sich kurz, dann steigt der Mann wieder höher.
Seit fast zehn Stunden harren er und die anderen Asylbewerber am Donnerstagmorgen bereits auf dem Platz in der Münchner Innenstadt aus, nachdem die Polizei am Abend ihr Camp geräumt hat. Das Kreisverwaltungsreferat hatte den Einsatz laut Polizei angeordnet, da Ärzte bei den niedrigen Temperaturen eine Unterkühlung der Menschen befürchteten. Am Samstag hatten die Flüchtlinge einen Hungerstreik begonnen: Sie protestieren für ein Bleiberecht in Deutschland und gegen die Unterbringung in Gemeinschaftsunterkünften. Als am Mittwochabend die Polizei anrückt, klettern mehrere Flüchtlinge auf Bäume.
Mit Feuerwehrleitern und Rettungskissen bemühen sich die Einsatzkräfte am frühen Morgen, die Menschen herunterzuholen. „Es besteht ständiger Kontakt mit den Flüchtlingen“, sagt Feuerwehrsprecher Stefan Kießkalt. Die Beamten gehen behutsam vor: kein Flüchtling wird gezwungen, vom Baum herunterzukommen. Immer wieder wird eine Feuerwehrleiter in Position gebracht und jemand spricht mit den Protestierenden.
Von den ursprünglich zwölf Menschen ist am Donnerstagmorgen laut Feuerwehr mehr als die Hälfte wieder heruntergekommen. Sie werden in ein Krankenhaus gebracht und untersucht, schließlich hatten sie mehrere Stunden lang bei eisiger Kälte ausgeharrt. Die eine Decke, die sie mit auf den Baum genommen hatten, gaben sie immer wieder untereinander weiter.
Umringt wird der Platz von zahlreichen Wagen der Polizei und Feuerwehr. Viele der Beamten haben bereits eine längere Schicht hinter sich, einige sind nach drei oder vier Stunden Schlaf zum zweiten Mal vor Ort. Während in den Straßen ringsum der Berufsverkehr beginnt, protestieren Unterstützer gegen die Räumung des Flüchtlingscamps. „Ausländer rein, Reinländer raus“, rufen sie.
dpa