Es waren noch zehn Minuten zu spielen im Bundesliga-Eröffnungsspiel am 22. August in München, als der seinerzeit dem deutschen Publikum nahezu unbekannte Junior Malanda alleine vor Manuel Neuer auftauchte. Den Schuss des Wolfsburgers lenkte Neuer an die Latte, von wo der Ball Malanda wieder vor die Füße fiel. Aus weniger als zwei Metern verfehlte der Belgier das Bayern-Tor. Wolfsburg unterlag 1:2. Die Bayern kassierten in der gesamten Hinrunde nur noch drei weitere Gegentreffer und verloren kein einziges Saisonspiel. Die an jenem Abend so unglücklichen Niedersachsen schafften es ihrerseits als einziger Klub, die Unbezwingbaren aus München nicht noch viel uneinholbarer entkommen zu lassen, als das ohnehin schon der Fall ist. Im nunmehr dritten Spieljahr in Folge: Die Saison 2012/13 gewannen die Bayern mit 25 Punkten Abstand, 2013/14 holten sie sich mit 19 Zählern Vorsprung den Titel.
Die Bayern haben die Fußball-Wahrheit, die Menschen gingen nur deshalb ins Stadion, weil sie vorher nicht wissen, wer gewinnt, ad absurdum geführt. Sie gewinnen (fast) immer und mobilisieren dennoch die Massen. Es geht weniger um Spannung, als vielmehr um das perfekte Spiel sehr berühmter und beliebter Menschen. Die Bayern werden betrachtet wie das Kunstwerk eines berühmten Malers. Sowohl auswärts als auch zu Hause spielen sie stets vor ausverkauften Häusern, weit mehr als 200 000 zumeist passive Mitglieder stehen in ihrer Kartei, eine halbe Milliarde Euro fließen pro Saison in die Kasse (und zum großen Teil wieder heraus), sie haben Büros in Amerika und bald auch in China, sie sind der einzige deutsche Global Player, der stabil mit Real Madrid, Manchester United, dem FC Chelsea und dem FC Barcelona mithalten kann.
Allofs weiß, wie man Bayern schlägt
Heute Abend um 20.30 Uhr empfängt der VfL Wolfsburg den Tabellenführer zum Rückspiel. Für die Gastgeber hat sich jemand den Leitspruch „Fußball ist alles“ ausgedacht. Man sieht ihn in Wolfsburg auf Postern und Plakaten. Vor dem Hintergrund, dass Junior Malanda nach seinem tragischen Unfalltod in der Winterpause nie mehr eine Großchance für den VfL Wolfsburg vergeben kann, wirkt die Losung umso mehr wie eine hohle Phrase. Die fürs Sportliche zuständigen Trainer Dieter Hecking und Manager Klaus Allofs haben das Ableben des im Team zuvor so beliebten 20-Jährigen sehr einfühlsam moderiert. Aber niemand kann voraussagen, wie die Mannschaft den Tod von Malanda verarbeitet.
Grundsäzlich ist Klaus Allofs ein Mann, der weiß, wie man die Bayern ärgern kann. In Bremen hat er eine Mannschaft geformt, die im drittletzten Saisonspiel 2003/04 im Münchner Olympiastadion, angeführt vom großartigen Johan Micoud, Katz und Maus mit den Gastgebern spielte und sich dort die Meisterschaft sicherte, wo es den Bayern am meisten wehtut. Uli Hoeneß hatte zuvor martialisch angekündigt, Werder werde von den Bayern „niedergemacht“ und „weggefegt“. Allofs hatte sich an derartiger Rhetorik nie beteiligt. Das war klug. Allzu lange hat es dann auch nicht mehr gedauert, ehe die Bayern Bremen regelmäßig niedermachten und wegfegten.
Dass sich nun der VfL in den selben Farben wie Werder anschickt, es mit den Bayern aufzunehmen, ist purer Zufall. Dass wieder Klaus Allofs dabei eine bedeutende Rolle spielt, eher nicht. Und dass einer Tochter-Gesellschaft eines global operierenden Automobilkonzerns, der im Jahr 200 Milliarden Euro umsetzt, die finanziellen Möglichkeiten eröffnet werden, die etablierte, von einer ungleich größeren Fangemeinde und Mitgliederschaft unterstützte nationale Konkurrenz zu überholen, ist ganz sicher kein Zufall.
Allofs ist ehrlich genug, einzuräumen, dass er inzwischen als Angestellter eines Werksklubs eine andere Wahrnehmung hat als seinerzeit in Bremen. Damals hätte er das inzwischen von der Uefa initiierte Financial Fairplay unterstützt, mittlerweile argumentiert er anders: „Wenn die Uefa ihren Kurs so konsequent verfolgt wie angekündigt, wird es keine Möglichkeit geben für irgendeinen Klub, in die Phalanx der ganz Großen einzudringen.“ Denn laut Financial Fairplay sind durch Investoren – seien sie nun reiche Scheichs, reiche Russen, reiche Autobauer, reiche Chemieunternehmen, ein reicher Mäzen oder reicher Brausehersteller – zugeführte Gelder verboten. Klubs müssen sich laut der gestrengen Regeln des Financial Fairplay aus sich heraus finanzieren: mit TV-Geldern, Trikotwerbung, Sponsoren- und Zuschauereinnahmen.
Die Wolfsburger befinden sich deshalb in komplizierten Gesprächen mit der Uefa. Allofs argumentiert: „Wenn zum Beispiel Bayer, Red Bull, Volkswagen oder Herrn Hopp untersagt wird, mehr zu investieren, dann sind die Karten verteilt und werden nicht mehr neu gemischt.“ Will heißen: Dann würde zukünftig kein Paris Saint Germain, kein FC Chelsea und erst recht kein VfL Wolfsburg mehr zu den Top-Ten Europas gehören können. Und dann, so Allofs, wäre „die Vormachtstellung der Bayern nicht nur sportlich, sondern auch wirtschaftlich zementiert.“ Und Allofs ist sicher, dass es einen Aufstand der Neureichen geben wird, sollte der Europäische Fußballdachverband seine strikte Linie beibehalten. Es klingt fast wie eine Drohung.
Wie viel Geld die VfL Wolfsburg Fußball GmbH tatsächlich einnimmt und ausgibt und wie viel sie vom Volkswagen-Konzern zugeführt bekommt, bleibt der Öffentlichkeit vorenthalten. Im Bundesanzeiger verzichtet die AutoVision GmbH, Wolfsburg, als „alleinige Gesellschafterin der VfL Wolfsburg-Fußball GmbH“ aus den gemäß der Paragraphen 325 ff. des Handelsgesetzbuches HGB folgenden Offenlegungspflichten. Transparenz sieht anders aus. So bleibt der VfL (wie auch die Bayer Leverkusen Fußball GmbH) eine Black Box. Andernfalls wäre es wahrscheinlich, dass der Europa-League-Teilnehmer Wolfsburg, genau wie Champions-League-Team Leverkusen, in der Top-30-Rangliste der umsatzstärksten europäischen Klubs vertreten wäre.
Nicht jeder passt nach England
Das Unbehagen der nationalen Konkurrenz darüber, dass Klubs wie Wolfsburg, Leverkusen, Hoffenheim, potenziell eher auch RB Leipzig als der durch Audi nur moderat unterstützte FC Ingolstadt, mit ihrer Finanzkraft schwerlich aufzuhalten sind, erscheint nachvollziehbar. Zumal gerade Wolfsburg, Hoffenheim, Leverkusen und nun auch Leipzig schon in der Jugendarbeit und Talentsichtung finanziell, personell und konzeptionell Benchmarks setzen und sich zunehmend aggressiv auf einem Markt bewegen, auf dem vor allem auch englische Klubs mit erhöhter Aufmerksamkeit unterwegs sind.
Nach England hat Klaus Allofs sich zuletzt mit gesteigertem Interessen orientiert. Dort, wo Ablösesummen von 30 Millionen Euro für einen Mittelklassespieler eines Mittelklassevereins gezahlt werden, hat er Kevin de Bruyne für weniger als 20 Millionen Euro vom FC Chelsea abgelöst. Allofs ist sicher: „Die Premier League mit ihrem extrem körperlichen Spielstil ist für manche Spielertypen nicht die richtige Liga.“ Der Belgier de Bruyne, im ersten Halbjahr dieser Saison zum Weltklassemann gereift, gehört dazu. André Schürrle, der sich beim FC Chelsea bislang genauso wenig durchsetzen konnte wie zuvor de Bruyne, vermutlich auch. Noch bis Montag bleibt Allofs Zeit, den Transfer schon in der Winterpause fix zu machen. Das Geld dazu, so steht zu vermuten, liegt bereit.