Botschaftsflüchtlinge: Alles aufgegeben für Freiheit

Die Gnade der späten Geburt? Davon hält Konrad Felber, Jahrgang 1953, nichts. Er war im Neuen Forum aktiv, saß in der ersten frei gewählten (und letzten) Volkskammer der DDR. Er war Abgeordneter im Bundestag, kümmerte sich frühzeitig um die Aufarbeitung und Bewertung der Stasi-Vergangenheit. Seit 1988 ist er leitet er die Außenstelle Dresden des Bundesbeauftragten für die Stasi-Unterlagen. Felber ist froh, dass er dabei war, als die friedliche Revolution anfing, mutige Menschen für ihre Freiheit aufgestanden sind. „Was war ein Glück, dass man da dabei sein konnte“, sagt er bei seinem Vortrag im Bayernkolleg.

Im Zentrum sollen eigentlich die Prager Botschaftsflüchtlinge stehen, aber Felber hat viel zu erzählen. Über die Stimmung in der DDR damals, die Entscheidungen, die Menschen getroffen haben. Mitmachen oder aufstehen. Gehen oder bleiben. „Wir überlassen unser Haus doch nicht den Kommunisten, wir bleiben“, hat seine Frau gesagt. Sie sind geblieben, auf die Straße gegangen, haben demonstriert, argumentiert, gekämpft. Irgendwann nicht nur für Freiheit, gegen ein menschenverachtendes System, sondern auch für eine Zukunft in einem vereinten Deutschland.

Kelber hat das auch zu einem Kämpfer für Demokratie, Rechtsstaat, die freiheitlich demokratische Grundordnung gemacht. Deswegen macht es ihn zornig und ein bisschen verzweifelt, wenn Leute nicht wählen gehen, sich nicht engagieren. Oder einfach die Freiheit nicht schätzen, für die andere Menschen vor 25 Jahren buchstäblich alles aufgegeben haben.

Kelber schwenkt bei seinem Vortrag immer mal wieder zu einem neuen Thema. Dem Politbüro zum Beispiel. Mit Günter Schabowski, der damals am 9. November 1989 die Reisefreiheit für DDR-Bürger verkündete, hat er sich mal über die Arbeit dort unterhalten. Es gab keine Sitzordnung, hat er erfahren. „Der Erich war vorne und neben dem Mielke wollte keiner sitzen.“ Abnicken war angesagt, nicht diskutieren. Nur vor Weihnachten, sagte ihm Schabowski, wurde heftig diskutiert. Das Politbüro musste da entscheiden, ob die Orangen fürs Fest aus Kuba (günstig, aber nicht gut) oder Algerien (teuer, aber gut) kommen sollten.

Wäre alles anders gekommen, wenn die Staatsführung reagiert hätte, egal, ob mit Gewalt oder Einlenken? Die Frage taucht auf. „Gut, dass das damals alles alte Betonköpfe waren“, sagt Kelber. Die alten, satten Männer an der Spitze wollten nicht wahrhaben, das es im Land brodelt. Es konnte nicht sein, was nicht sein durfte. Sie blieben in einer Scheinwelt, ließen keine jungen Kräfte nachkommen, die vielleicht versucht hätten, auf die Bürger zuzugehen, das System zu reformieren, um es zu erhalten. Kleber spricht vom Vorteil einer Diktatur: „Ohne Befehle von oben macht keiner was.“ Auch deswegen blieb die Lage wohl friedlich damals.

Trotzdem haben Kelber und die anderen in der Demokratiebewegung befürchtet, die Stasi-Leute könnten sich militarisieren. Das haben sie nicht. „Die haben sich mit ihren sozialen Rechten vertraut gemacht“, sagt er mit einer Spur Verbitterung in der Stimme. Sich Renten erklagt, Netze geknüpft, gute Posten besorgt, oder kurz vor dem Zusammenbruch des Systems einen Doktor an einer Stasi- Schmiede oder eine Anwaltszulassung bekommen.

Kelber hat in den 25 Jahren viel gelernt. „Wollen Sie die Diktatur aufarbeiten oder fortsetzen?“, hat ihn damals Ministerpräsident Kurt Biedenkopf gefragt, als Kelber dafür war, einen Stasi-Mann in Beugehaft zu nehmen. Botschaft: Im Rechtsstaat fängt man mit dem mildesten Mittel an, nicht gleich mit der Keule. Einige, die mit ihm im neuen Forum waren, wollten Gerechtigkeit, nicht Recht. „Recht kann man nicht moralisch anwenden“, hat er gelernt. Der Rechtsstaat ist eine Garantie für Gerechtigkeit, das ist sein Mantra. „Die andere Gerechtigkeit gibt es auf hoher See und vor Gott.“ Trotzdem, fordert er, kann man aber Opfer unbürokratischer behandeln, sie nicht noch mal Unrecht erleben lassen, um zum Beispiel eine Entschädigung, eine Opferrente zu bekommen.

Banalität und Schrecken, für Kelber die Essenz des Systems Stasi. Deswegen hat er eine dieser typischen Friedhofs-Gießkannen mitgebracht zu seinem Vortrag. In einem doppelten Boden ist eine Kamera eingebaut, der Auslöser sitzt am Griff. Gut, um Leute auszuspionieren, aber mit Denkfehler. Die Kamera war so eingebaut, dass der Agent die Kamera falsch rum, mit der Tülle nach hinten hätte tragen müssen, um mehr zu fotografieren, als die Knie der Leute hinter ihm.

Aber auch für so was war wohl bedarf, das zeigt die Ausstellung „Feind ist, wer anders denkt“ im Bayernkolleg (wir berichteten.) Da kann man sich beim Blättern in Stasi-Akten vertraut machen mit dem Diktaturdeutsch, das Kelber so unerträglich findet. Und man bekommt auch ein Gespür dafür, was für ein System sich Menschen erdacht haben, um andere Menschen im Griff zu haben. Schulleiter Peter Rottmann erinnert sich in diesem Zusammenhang an ein Zitat von Erich Honecker im Fernsehen 1989. Den Botschaftsflüchtlingen solle man keine Träne nachweinen, hat er gesagt. Und dann war kurz danach EE. Erichs Ende, das war übrigens das Kennzeichen von Joachim Gaucks erstem West-Auto, erzählt sein Weggefährte Kelber. HR-EE-89.

Die Ausstellung „Feind ist, wer anders denkt“ ist im Bayernkolleg bis 15. Oktober für Schüler Montag bis Freitag von 9 bis 13 Uhr und für externe Besucher Montag bis Donnerstag von 13 bis 17 Uhr geöffnet. Führungen für Gruppen können unter Tel. (01 72) 8 13 31 34 oder per E-Mail unter ausstellungen@bstu.bund.de vereinbart werden.

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