Bayerns Zittern und die Demütigung von 2014 gegen Real

Man stellt sich das vor wie damals bei Boris Becker, im Sommer 1991, bei der berühmten Niederlage gegen Michael Stich. In einer der Wechselpausen verschwand Boris Becker unter seinem Handtuch, man sah nur noch einen Arm und eine Banane heraushängen, und unter dem Handtuch hörte man es hervor wimmern: «Im Wimbledon-Endspiel . . ., mein schlechtestes Tennis! Mist!»

So ähnlich muss das mit Pep Guardiola auch gewesen sein, nur möglicherweise ohne Banane.

Es ist jetzt ein knappes Jahr her, dass Pep Guardiola sein Michael-Stich-Erlebnis hatte, es war am 29. April 2014, als der FC Bayern gegen Real Madrid 0:4 verlor. Wobei: Verlor ist nicht das richtige Wort. Der FC Bayern wurde im Halbfinal-Rückspiel von Real gedemütigt, ­geduckt und schwer geschlagen, der ­Titelverteidiger aus München wurde aus der Champions League regelrecht hinausgejagt, und nachts, in seinem Trainerbüro, soll Pep Guardiola dann diese borisbeckerhaften Sätze gesagt haben: «Die ganze Saison habe ich mich geweigert, 4-2-4 zu spielen. Habe mich immer dagegen gewehrt. Und dann, am wichtigsten Tag des Jahres, mache ich genau das . . . Verdammte Scheisse . . .!»

Heute Dienstag kommt der FC Porto in die Münchner Arena, eine Runde früher als Real Madrid 2014. Guardiola und seine Mannschaft haben sich den bösen Abend von damals inzwischen von der Seele gespielt, aber pünktlich zu diesem Rückspiel im Viertelfinal spuken die Geister wieder durch die Stadt. Vieles ist im April 2015 anders als im April 2014, zum Beispiel tragen einige Spieler inzwischen den vertrauenerweckenden Titel «Weltmeister» am Revers, aber eines ­erinnert doch fatal an die ­Situation vor dem Rückspiel gegen Real. Es ist die ­Ausgangsposition, die das Spiel des FC Bayern wieder zu einer Gratwanderung macht.

Peps Konflikt mit Pep

Vor einem Jahr reichte schon ein 0:1 im Hinspiel, um die Bayern und ihren Trainer zum Verlust jeglicher Souveränität zu zwingen. Aktuell müssen sie sogar ein 1:3 aufholen. Sie müssen also auf­machen, wie das in der Fachsprache heisst, aber sie dürfen dabei das Zu­machen nicht vergessen. Sie müssen auf ­Risiko gehen, aber es darf auf gar keinen Fall zu viel Risiko sein. Ein gegnerischer Konter könnte unter Umständen schon ein gegnerischer Konter zu viel sein.

Im Buch «Herr Guardiola» des spanischen Journalisten Martí Perarnau wird noch einmal der Konflikt nachgezeichnet, den Pep Guardiola damals vor dem Rückspiel gegen Real ausgerechnet mit jener Person auszutragen hatte, deren Meinung er am meisten schätzt: mit Pep Guardiola.

Schon am Tag nach dem Spiel drangen ja erste Gerüchte über eine Mannschaftsaufstellung nach aussen, die der Trainer wider besseres Wissen angefertigt hatte. Er hatte offenbar einen ­unglaublichen Verrat begangen, und man muss sich die Grösse dieses Verrats ungefähr so vorstellen, als würde ein vier Jahrzehnte dienender Teamarzt fünf Tage vor einem grossen Spiel plötzlich wegen eines ramponierten Vertrauensverhältnisses seinen Rücktritt ein­reichen (das ist natürlich nur ein fiktives Beispiel, so was kommt in der Wirklichkeit bestimmt nicht vor).

Allerdings hatte Guardiola damals nur sich selbst verraten. Sich selbst und all das, was ihm am Fussball heilig ist.

Guardiola kann saukomisch, herz­ergreifend oder eiskalt berechnend ­wirken, wenn er in seinem saukomischen Deutsch die Schuld auf sich nimmt, seine Mea-culpa-Attacken sind inzwischen berüchtigt. Aber selten war es ihm so ernst wie damals. Er hat sich grob zusammengefasst von den Spielern eine Taktik einsingen lassen, die er ­keinesfalls wollte. Die Kritiken waren nach dem 0:1 im Hinspiel nicht besonders, die Form einiger Spieler war mittel bis mässig, und so hat sich Pep stichprobenartig durchs Team gefragt. Er wollte wissen, mit welcher Taktik seine Profis sich am wohlsten fühlen, und Helden wie Ribéry oder Schweinsteiger plädierten offenkundig für weniger Kontrolle, sondern für hemmungslose Attacke. Also machte Guardiola seine Mannschaft nackt, er liess Ribéry, Robben, Müller und Mandzukic stürmen und schickte sein Mittelfeld ohne was auf die Bühne. Martínez war angeschlagen, also mussten Schweinsteiger und Kroos im Zentrum alleine gegen Real Madrid spielen. Das konnte nicht gut gehen, und es ging nicht gut.

Mit ihrem besten Tennis

Diese kleine Geschichtsstunde ist nötig, um einschätzen zu können, was in diesem Trainer vorgeht. Guardiola wird das Mittelfeld heute nicht mehr entblössen, er wird auch kein 2:0 nach zehn Minuten fordern, und anders als gegen Real darf man davon ausgehen, dass seine Spieler das auch so sehen. «Was uns nicht passieren darf, ist, dass wir überdreht ins Spiel gehen und zu viel wollen», sagt Thomas Müller, «wir müssen klug spielen, nicht Kamikaze.»

Was die Aufstellung angeht, so wird Guardiola diesmal keine empirischen Umfragen starten, er hat ja kaum eine Wahl. Der grosse Würzmeister kann sich schon deshalb nicht in der Würz­mischung vergreifen, weil entscheidende Zutaten (Robben, Ribéry, Alaba) diesmal gar nicht greifbar sind. Nur Philipp Lahm wird zurückerwartet, und er wird, anders als gegen Real, im Zentrum spielen.

Pep Guardiola weiss, dass die Champions League die Definitionsebene für einen Verein wie Bayern München ist. In so grossen Clubs, sagte Guardiola am Montag, sei nur das Triple genug. Um ­ihren Trainer aus allen Debatten herauszuhalten, werden die Spieler ihr bestes Tennis brauchen.

(Tages-Anzeiger)

(Erstellt: 21.04.2015, 06:33 Uhr)

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