Später war Schweinsteiger doch noch in der Arena. Mitte der ersten Halbzeit lief er auf den Platz, er dribbelte und passte, schloss auch mal ab. Er wirkte überhaupt nicht wie einer, der schon zu alt ist, um mit den anderen großen Namen des FC Bayern mithalten zu können. Es war sogar so, dass Schweinsteiger im Vergleich zu den Kollegen eher jugendlich daherkam. Allein, da kickten ja nicht die Profis, sondern die Allstars gegen Legenden von Inter Mailand. Und jener Schweinsteiger, den die Fans dabei neben Roy Makaay, Paul Breitner und anderen zu sehen bekamen, hört auf den Vornamen Tobias und ist 33 Jahre alt. Der jüngere Bruder Bastian, 30, um den es bei der Kaderpräsentation vor allem ging, war da schon auf dem Weg in seinen neuen Lebensabschnitt. „Ich war bei ihm zu Hause. Er war wie immer. Von großer Aufregung habe ich nichts gespürt“, erzählte Bruder Tobias später.
Bastian Schweinsteiger wird künftig für Manchester United spielen. Am Freitagabend hatte er sich in einem Gespräch mit dem Vorstandsvorsitzenden Karl-Heinz Rummenigge auf den Wechsel verständigt. Irgendwo zwischen 15 und gut 20 Millionen Euro soll die Ablöse liegen. Schweinsteiger erhält bei ManU einen Vertrag über drei Jahre.
Gleich auf USA-Reise
In München wäre sein Arbeitspapier nach der nun anstehenden Saison ausgelaufen. An diesem Montag wird er sich noch weiter von seiner oberbayerischen Heimat entfernen, wenn er sich mit seiner neuen Mannschaft des ehemaligen Bayern-Trainers Louis van Gaal auf USA-Reise begibt. In den Testspielen gegen Paris Saint-Germain und den FC Barcelona könnte Schweinsteiger seinen Einstand geben.
Es ist das abrupte Ende einer 17 Jahre andauernden Beziehung, das am Wochenende von Vereinsseite eher geschäftsmäßig vollzogen worden ist. Immer hat der Profi Schweinsteiger für den FC Bayern gespielt, er gehörte zu dem Klub beinahe so fest wie das Wappen. Der ehemalige Lausbub aus Kolbermoor, früher der Schweini mit bunten Haaren und lackierten Fingernägeln, heute der ergraute Nationalmannschaftskapitän – der Weltmeister hat sich im Herbst seiner Karriere für eine neue Erfahrung entschieden. Nach vielen Titeln, darunter acht deutsche Meisterschaften, sieben Pokalsiege, der Champions-League-Titel 2013 – und weil er sich seiner Zukunft in München nicht mehr sicher sein konnte. „Leider ist auch bei jeder Identifikationsfigur die Karriere irgendwann zu Ende“, sagte Rummenigge, „es ist nun einmal so, dass sich dann die Wege trennen.“ Mit Trainer Pep Guardiola habe das aber nichts zu tun gehabt. „Dass er jetzt gar geflüchtet ist, kann man total vergessen“, sagte Rummenigge.
Vielleicht stimmt das. Es stimmt aber auch, dass Schweinsteiger nicht jenes Vertrauen vom Verein und Trainer spürte, das ihm sein ehemaliger Förderer van Gaal entgegenbringt. Der Niederländer machte aus Schweinsteiger einst in München jenen kämpfenden Strategen im Zentrum des Spiels, als der er seine Karriere im Vorjahr mit dem WM-Titel krönte. Bei seinen ehemaligen Kollegen hinterlässt sein so stiller wie plötzlicher Abschied ein Gefühl der Wehmut. „Es ist einfach absolut schade, auch für den Verein, weil er ein bayerischer Bua ist“, sagte Philipp Lahm. Der Kapitän hat nahezu seine gesamte Karriere gemeinsam mit Schweinsteiger gespielt. „Für mich ist das sehr, sehr traurig, weil wir viel miteinander erlebt haben“, sagte Lahm. Torwart Manuel Neuer sagte: „Mir persönlich tut es ein bisschen weh.“ Er habe bereits mit Schweinsteiger Kontakt gehabt, „aber da war er wohl schon im Flieger und der Pilot wollte nicht mehr umdrehen“. Doch auch Schweinsteiger wollte das nicht. Er wollte sich ebenso wenig verabschieden von den Fans, die ihn als Fußballgott verehren, als Klubidol. „Bastian ist ein sehr sensibler Mensch“, sagte Rummenigge dazu. Das ließ sich durchaus als Hinweis auf eine gewisse Kränkung bei Schweinsteiger interpretieren.
Sein Verkauf an Manchester United gibt Einblicke in die neue Vereinskultur des FC Bayern. Und was nüchtern betrachtet sportlich für alle Beteiligten Sinn ergibt, sorgt vor allem bei den Fans für Unbehagen. Sie pfiffen Rummenigge aus, als dieser den Transfer am Stadionmikrofon verkündete. „Ich habe totales Verständnis dafür, dass das bei den Fans zu großen Diskussionen führt“, rief Rummenigge rasch. Aber es wäre „hartherzig“ gewesen, befand er, einem solch verdienten Spieler den „nachvollziehbaren Wunsch“ abzuschlagen. Es gab danach ein bisschen Beifall.
Die neue Kühle
Unbedingt halten wollte der FCB Schweinsteiger aber nicht. Weil die Münchner ohnehin einen Generationswechsel vollziehen müssen, weil Jüngere mehr Verantwortung übernehmen sollen und sich nun die Chance dafür eröffnen kann. Und weil sie Schweinsteigers lange Verletzungsakte ins Kalkül zogen und die Ahnung, dass sein Körper dem Hochfrequenzfußball mittelfristig nicht mehr standhalten könnte. Es war eine Vernunftentscheidung. Schweinsteigers Abgang so nüchtern zu betrachten, steht zugleich für den neuen Stil des FC Bayern. Nach und nach werden Personen mehr oder weniger aussortiert, die den Verein verkörperten. Zuletzt waren es der Mannschaftsarzt Hans-Wilhelm Müller-Wohlfahrt und der Physio Fredi Binder, nun ist es der „Fußballgott“. Jedes Mal spielte Guardiola eine Rolle. Und dass Rummenigge knapp zu verstehen gab, der ehemalige Patron Uli Hoeneß, für Schweinsteiger beinahe eine Vaterfigur, sei in diese Entscheidung nicht eingebunden gewesen, ist für die Anhänger jene Kühle, in der sie ihren Verein nicht wiedererkennen. Bei ihnen wächst das Gefühl, der FC Bayern entwickele sich immer mehr zu einem Unternehmen, das seine Seele hergibt.