München – Elend, Chaos und Frust in der Erstaufnahme-Einrichtung des Freistaates für Asylbewerber in der Bayern-Kaserne: Bei den Ankömmlingen und den Anwohnern. Der tz-Report:
Sie sind vor Krieg und Verfolgung geflüchtet, viele ihrer Freunde haben bei der Fahrt übers Mittelmeer das Leben gelassen: Derzeit fristen 1900 Asylbewerber in der Erstaufnahme-Einrichtung des Freistaates in der Bayernkaserne ihr Dasein, obwohl dort maximal 1400 Menschen Platz haben. Folge: Elend, Chaos und Frust: Bei den Ankömmlingen und den Anwohnern. Der tz-Report:
Seit 2011 mahnte die Stadt weitere Erstaufnahme-Einrichtungen an, Ex-Sozialministerin Christine Haderthauer (CSU) lehnte das lange ab mit der Begründung: Die Asylbewerberzahlen sinken. Ein verhängnisvoller Trugschluss: Ende Juni mussten in der Bayernkaserne in Garagen Notbetten aufgestellt werden. „Es ist ein Armutszeugnis, wie hier die Menschen zusammengepfercht werden“, bedauert Pfarrer Norbert Ellinger von der evangelischen Hoffnungskirche in Freimann. Nur vier bis fünf Mitarbeiter der Inneren Mission sind für die Sozialbetreuung der Asylbewerber vor Ort.
2000 Menschen verschiedenster Nationalitäten auf engstem Raum mit minimaler Betreuung – das bleibt nicht ohne Folgen: Anwohner beschweren sich über Männer, die in der Heidemannstraße vor der Kaserne im Grünstreifen Bier trinken, dort ihre Notdurft verrichten und Passanten anpöbeln würden. In der Aufnahmeeinrichtung selbst herrscht striktes Alkoholverbot. Klagen gibt es auch über Scherben an Spielplätzen. 200 Anwohner baten Mitte Juli um Abhilfe in einem Schreiben an OB Dieter Reiter (SPD) sowie an die Regierung von Oberbayern, die die Einrichtung betreibt.
Bei Facebook macht eine Gruppe mit 1700 Mitgliedern Stimmung gegen die Asylbewerber, dort mischten sich unter besorgte Anwohner Rechtsradikale mit Hetzparolen, wie Marcus Buschmüller von der Münchner Fachstelle für Rechtsextremismus beobachtet. Es werden wilde Gerüchte in Umlauf gebracht (siehe rechts). Patric Wolf (CSU), Vize des Bezirksausschusses Schwabing-Freimann, erklärt sich die Ängste der Anwohner so: „Diese Asylbewerber sind sichtbar und fallen auf, weil sie eine andere Hautfarbe haben.“ Die Alkohol-Exzesse seien mit dem Oktoberfest vergleichbar. „Bis jetzt sind mir aber keine Straftaten gegen Anwohner bekannt geworden.“
Johannes Welte
Gerüchte und Wahrheiten
Kriminalität rund um die Kaserne: Rund um die Kaserne kreisen die wildesten Gerüchte über angebliche Straftaten der Asylbewerber. Auch der tz werden Fälle gemeldet, in denen angeblich Kinder zu sexuellen Handlungen gezwungen worden sein sollen. Auch von Einbrüchen ist die Rede. Fragt man nach Details, bekommt man keine Antwort. Was die Lage vor Ort betrifft, berichtet Münchens Polizeisprecher Wolfgang Wenger tatsächlich von einem „Anstieg der Straftaten“, vor allem von Körperverletzungsdelikten, allerdings „vorwiegend unter den Asylbewerbern selbst“. Auch die Zahlen der Beschwerden wegen Ruhestörung und Verunreinigungen hätten zugenommen, auch von Belästigung auf sexueller Ebene ist die Rede. Wenger: „Wo sich 2000 Menschen rund um die Uhr aufhalten, passiert eben auch mehr.“ Von handfesten Sexualdelikten gegenüber Anwohnern ist Wenger allerdings nichts bekannt.
Sozialleistungen für Asylbewerber: Oft heißt es, Asylbewerber kommen nur wegen der Sozialleistungen. Der Großteil der Flüchtlinge in der Bayernkaserne stammt aus den Bürgerkriegsländern Syrien, Nigeria oder Somalia. Eine große Gruppe stammt aus Eritrea, wo reihenweise Menschen spurlos verschwinden, Folter, willkürliche Tötungen und Verhaftungen an der Tagesordnung sind. Nur 9 von 1045 Asylanträgen der Eritreer wurden heuer im ersten Habjahr abgelehnt. Auf der Flucht über das Mittelmeer sind Schätzungen zufolge seit 2008 bis zu 40 000 Menschen im Mittelmeer ertrunken – ein Viertel der Flüchtlinge. „Die Menschen sind nicht grundlos hier“, betont Günther Bauer, Vorstand der Inneren Mission München. Ein alleinstehender Asylbewerber hat Anspruch auf 140 Euro „Taschengeld“ im Monat. Partner 126 Euro, Kinder und Jugendliche zwischen 82 und 90 Euro.
Krankheiten im Lager: Es kursieren Gerüchte über Tuberkulose (TBC) und Ebola, darum habe man Spielplätze gesperrt. Tatsächlich werden alle ankommenden Asylbewerber auf TBC und andere Krankheiten untersucht, bislang wurde bei rund 50 Patienten TBC festgestellt, außerhalb der Kaserne in München übrigens noch mal so viel. „TBC-Patienten werden sofort isoliert und kommen dann mit einer Mund- und Nasenmaske per Krankenwagen in die Klinik, wo sie behandelt werden“, erklärt Katrin Zettler vom Gesundheitsreferat. „Nach der Behandlung sind sie nicht mehr ansteckend.“ Und außerdem: „Um sich mit TBC anzustecken, muss man einen ganzen Tag in sehr engem Kontakt mit dem Kranken verbringen.“ Ebola ist gar kein Thema, denn das grassiert nur in Westafrika, wo keine Asylbewerber herkommen. Der Spielplatz wurde wegen Scherben gesperrt.
Antragsteller gehen keiner Arbeit nach: „Derzeit dürfen Asylbewerber gemäß den Bundesgesetzen erst nach neun Monaten einer Arbeitstätigkeit nachgehen“, erklärt Daniela Schürf, Sprecherin des bayerischen Sozialministeriums. Auch wenn die Bundesregierung die Frist auf drei Monate verkürzen will, hat das für die Asylbewerber in der Bayernkaserne keine Bedeutung, da es die erste Anlaufstelle für sie ist und sie hier nur vier bis sechs Wochen bleiben, bevor sie in ein Asylbewerberheim kommen. Da sie zentral bekocht werden, verbringen sie auch keine Zeit mit Einkaufen oder dem Zubereiten der Speisen. Das Kommunalreferat versucht, die Asylbewerber mit Spiel- und Sportplätzen, einer Boulderhalle und einer Fahrradwerkstatt zu beschäftigen. Für Kinder wurde ein Streichelzoo mit Hühnern und Alpacas eingerichtet, außerdem gibt es eine Hüpfburg.
Was tut der Staat, dass sich die Lage entspannt?
Die Verweildauer in der Aufnahmeeinrichtung soll durch die Beschleunigung der medizinischen Untersuchungen verkürzt werden.
Die Polizei hat ihre Streifen rund um die Bayernkaserne verstärkt, es reiten auch Polizisten zu Pferd durch die Heidemannstraße.
Die Regierung von Oberbayern hat 21 Ordnungskräfte eingestellt, die die Grünanlagen begehen.
Die Stadt reinigt die Straßen und Grünanlagen im Umfeld der Kaserne jetzt täglich.
Es wird erwogen, mobile Toiletten und Mülleimer rund um die Kaserne aufzustellen.
Es wird außerdem geprüft, ob man in einem Bereich der Kaserne das Trinken erlaubt.
Die Zahl der Sozialarbeiter wird erhöht.
Die Regierung eröffnet in den kommenden Wochen in der Funkkaserne ein neues Lager mit 300 Plätzen.
In Deggendorf soll im Januar eine neue Erstaufnahmeeinrichtung mit 600 Plätzen eröffnen, die nächste Ende 2015 in Regensburg, auch in Unter- und Oberfranken und Schwaben sind weitere Lager geplant.
Und das sagen die Nachbarn
Brave Leute: Ich weiß, dass viele über die Asylbewerber schimpfen. Doch bei mir haben sie brav ihr Geschirr aufgeräumt, obwohl sie kein Wort Deutsch verstehen. Und Dreck habe ich auch nicht vor der Haustüre. Richard Wolf (66), Imbiß an der Heidemannstraße
Mit ihnen reden: Ich muss um 21 Uhr zusperren, weil unsere Gäste Angst vor den Flüchtlingen haben, die in den Bushäuschen sitzen – weil diese schwarz sind und sich manchmal schlecht benehmen. Aber niemand versucht, mit den Flüchtlingen ein gutes Wort zu sprechen. Fanny Fonsatti, Pizzeria Romantica Venezia
Arm dran: Es sind arme Leute, die aus guten Gründen geflüchtet sind und eine lebensgefährliche Reise hinter sich haben. Ich habe sie bei uns Fußball schauen lassen, auch wenn sie kein Geld hatten, um bei uns was zu trinken zu kaufen. Metin Kocademir (55), Heidemann Stüberl
Einbruch im Keller: Ich wohne in einem Hochhaus neben der Kaserne, bei uns wurde jetzt in die Kellerabteile eingebrochen. Und der Spielplatz bei uns ist voller Dreck und Müll. Meine Frau muss da in der Früh vorbei und hat Angst, wenn da die Asylanten herumhängen. Paul Gestner (31), Controller
Johannes Welte
Lampedusa: Flüchtlingselend in Italien
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