Als Aufsichtsratschef wird Uli Hoeness dem FC Bayern mindestens noch so lange erhalten bleiben, bis die Staatsanwaltschaft über seine Selbstanzeige befunden hat. Dass ein Mann, dem Gefängnis droht, dem Rekordmeister als Chef des Kontrollgremiums weiter dient, das ist in Deutschland mehr als eine Nachricht. Es ist eine Sensation.
Keine der Prognosen vor der Aufsichtsratssitzung hatte sich erfüllt: Hoeness würde von den Wirtschaftsvertretern im Gremium (darunter die Konzernchefs von Adidas, VW, Audi und der Telekom) zum Rücktritt gedrängt werden, sagten die einen. Gewöhnlich gut informierte Kreise meinten, die Mitglieder hofften auf die Einsicht und den damit verbundenen Rückzug Hoeness’, den dieser vor dem Final in der Champions League aber ausgeschlossen hatte.
Doch die Variante, die am Ende herauskam, verblüffte selbst hartgesottene Beobachter. Hoeness bot seinen Rücktritt an. Doch er wurde angefleht, im Amt zu bleiben. Die Entrüstung ist gross. Hatten sich die Medien in Sachen Hoeness auffallend zurückhaltend gegeben im Vergleich zu anderen Steuersündern, so prasselt die Kritik nun unerbittlich ein auf den Klub und seinen Aufsichtsrat. Dass Peer Steinbrück, der SPD-Kanzlerkandidat, sich gegen die Entscheidung wandte (Hoeness gehörte einst zu seinem Beraterkreis), verwundert nicht: Die Diskussion um Steuersünder taugt in einem an Themen armen Wahlkampf zum Schlager.
«Völlig widersinnig»
Ein harter Kritiker ist auch der Journalist Hans Leyendecker von der «Süddeutschen Zeitung». Am Morgen nach der Sitzung äusserte er sich sichtbar erregt am Fernsehen («völlig widersinnig»), später kommentierte er in einer Schärfe, die die Leser nicht von dem Blatt in Sachen Hoeness gewohnt waren. Bisher war der Umgang mit Hoeness recht pfleglich, ein recht prominenter Leitartikler des Blattes fabulierte sogar vom «Tsunami an Vorverurteilungen». Solchen Einschätzungen widersprach Leyendecker: «Mit der Unschuldsvermutung darf niemand in seinem Fall kommen, denn Hoeness hat ja ein Geständnis abgelegt. Er hat eingestanden, dass er 3,2 Millionen Euro dem Fiskus vorenthalten hat.» Schleierhaft sei, wie Konzernchefs im Aufsichtsrat in ihren Unternehmen bei Verstössen «Nulltoleranz predigen wollen. Oder sagen sie dann ‹Mia san mia›? Und uns kann keiner?» Das Fazit des Münchner Weltblattes war niederschmetternd: «Armer Aufsichtsrat, armer Verein.»
«Ohne-Hoeness-Bayern»
Das Votum der Räte, so die einhellige Meinung, sei aber bestenfalls ein Etappensieg, Hoeness würde etwas Zeit geborgt, damit er den Champions-League-Final der Bayern gegen Dortmund noch als Chef mit allen Kompetenzen ansehen kann. Dass Hoeness dem Klub noch lange vorsteht, glaubt kaum jemand. Bereits wird über die Nachfolge gemutmasst, auch das Massenblatt «Bild» prophezeit eine baldige Wiederkehr des Themas auf die Tagesordnung. Die «FAZ» hält die Bayern trotz der Affäre für unwiderstehlich – und blickt in die nicht allzu ferne Zukunft: «Natürlich will keiner der grossen Geschäftspartner die Verbindung mit dem deutschen Vorzeigeklub gefährden. Sie positionieren sich dabei bereits für den Übergang von den Hoeness-Bayern zu den Ohne-Hoeness-Bayern. Weil aber noch niemand weiss, wie man diesen Übergang ohne grösseren Schaden hinbekommt, vertagte man ihn eben.»
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