Mit einem Stück Fleisch kann man jeden schlafenden Hund gefahrlos wecken. Weckt man indes einen schlafenden Bayern, so muss man bessere Argumente vorweisen können. Unsanft bzw. unnötig geweckte Bayern neigen zu cholerischen Anfällen. Der Grund hierfür ist weniger in der jeweiligen Persönlichkeit, als vielmehr in der bayerischen Schlafkultur zu suchen.
“Schlaf ist nicht gleich Schlaf. Es gibt den Schlaf der geschlafen wird, es gibt den Schlaf, der erforscht wird und es gibt den Schlaf, der, nennen wir es vorsichtig, ‘betrachtet’ wird. Eine der berühmtesten Schlaf-‘Betrachtungen’ formulierte Platon:
‘Der Schlaf ist ein kurzer Tod, der Tod ein langer Schlaf’.”
(Thomas Kernert)
Oft schlief die ganze Familie im Stall
Familie schläft im Heu
Der Bayer musste jahrhundertelang früh aufstehen. Auch kannte er lange Zeit weder Schlafzimmer, noch Schlafanzug, noch Federkernmatratze. Oft schlief die ganze Familie bei den Tieren im Stall. Der Schlaf war ein kostbares, meist knapp bemessenes Gut, das man sich nicht gerne entwenden ließ. Brach die Nacht herein, wurde das Licht gelöscht, der Bürgersteig hochgeklappt und fleißig geschlummert.
“Der Bayer ist sehr normal. Mit 8 Stunden und 22 Minuten legt er ein bemerkenswert verantwortungsbewusstes Schlafverhalten an den Tag bzw. in die Nacht und nimmt den Schlaf mindestens so ernst wie seinen Hauptberuf. – Zum Vergleich: Briten bringen es nach Angaben der amerikanischen ‘National Sleep Foundation’ auf sieben Stunden und 20 Minuten, Amerikaner auf sieben Stunden und 13 Minuten und Japaner auf sechs Stunden und 22 Minuten, also volle zwei Stunden weniger als die Bayern.”
(Thomas Kernert)
Sind Bayerische Dörfer auch heute noch verschlafen?
Selig schlafender kleiner Junge
Erst das 19. Jahrhundert erfand die Großstadtnacht mit ihren Zerstreuungen, ihren Beleuchtungen, ihrem Nachtleben und ihren moralisch zweifelhaften “Nachtseiten”. Bayerische Dörfer hingegen befinden sich bis heute fest in der Hand von Hypnos, dem Gott des Schlafes, auch wenn ARD und RTL längst schon keinen Sendeschluss mehr kennen. Der Bayer weiß: Wer mehrere Nächte hintereinander nur sechs Stunden lang schläft, befindet sich, was Leistungsvermögen, Reaktionsgeschwindigkeit, Gedächtnis und Urteilskraft angeht, in einem Zustand, als hätte er ein Promille Alkohol im Blut. Dann doch lieber schlafen, träumen und saufen! Besonders im Winter, wenn auch der Bär nicht mehr steppt, sondern sich in seine Höhle verkriecht, um auf bessere Zeiten zu warten.
“Und irgendwann dann kommt die Nacht. Über den Schlafoptimisten früher und länger, über den Schlafpessimisten später und kürzer, über den Boxspringbettbesitzer höher, den Futonfan japanischer, über den König repräsentativer, den Büßer härter, den Schnarcher nasaler, den Schlafmittelschläfer dunkler, den Frottee-Pyjamaträger flauschiger. Eine Gleichmacherin ist die Nacht nicht, eher eine, die es schafft, die Perspektiven substantiell zu verrücken …”
(Thomas Kernert)
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